Wir sind jung, sie sind jünger

Wir Wirtschaftsjunioren sind die Stimme der jungen Wirtschaft. Doch in letzter Zeit machen Unternehmerinnen und Unternehmer der sogenannten Generation Z von sich reden – das sind in etwa die Geburtenjahrgänge 1997 bis 2012. Denise hat einen von ihnen getroffen: Julius de Gruyter, Gründer von krisenchat.

Interview von Denise Schurzmann

Spannend wird es, wenn die gesamte Babyboomer-Generation in Rente ist: Dann ist die Wirtschaft in der Hand der Jungen und die Politik quasi in der Hand der Alten.

Julius de Gruyter

Gründer krisenchat

Lieber Julius, Du bist Mitgründer der Anti-Mobbing-App Exclamo sowie der Beratungsplattform Krisenchat. Erzähl doch mal, wie Du zum Gründen gekommen bist.
Angefangen hat das alles 2018, bei einem Wettbewerb bei uns an der Schule: Business@School von der Boston Consulting Group. Man lernt dabei über ein Jahr hinweg in drei verschiedenen Phasen praxisnah die Wirtschaft kennen. Zuerst analysiert man ein großes Unternehmen, dann ein mittleres Unternehmen und am Ende steht die eigene Geschäftsidee. Und da kam die Idee für Exclamo auf. Eine Whistleblowing- App für Schülerinnen und Schüler, mit der man Mobbing und Diskriminierung melden kann. Die Idee hatte einen Hintergrund: Wir waren auf dem Canisius-Kolleg in Berlin. Das ist die Schule, die vor zehn Jahren traurige Berühmtheit erlangt hat, weil hier die ersten Missbrauchsfälle durch Jesuiten an Schülern in den 70er und 80er Jahren bekannt wurden. Dadurch ist ein Klima und eine Kultur der Aufklärung an der Schule entstanden, was uns sehr geprägt hat. Jedes Jahr fanden Präventionstage statt, wir haben mit Betroffenen gesprochen. Nachdem der Wettbewerb vorbei war, haben wir uns zusammengesetzt und gesagt: Hey wollen wir das nicht mal in der Realität ausprobieren? Weil ich eh noch nicht so genau wusste, was ich nach der Schule machen will, habe ich mich entschieden, erstmal Vollzeit an Exclamo zu arbeiten. Wir haben dann auch erste Schulen gefunden, mit denen wir starten wollten, haben ein Funding von der Telekom bekommen, relativ groß, und wollten richtig durchstarten. Allerdings haben wir schon gemerkt, dass es sehr schwierig wird, mit der App wirklich an viele Schulen zu kommen. Und als der Vertrag mit der Telekom Mitte März 2020 unterschrieben wurde, war ein paar Tage später Lockdown. Uns wurde klar: Das mit Exclamo wird jetzt extrem schwer, die Schulen sind erstmal zu. Aber: Das Thema mentale Gesundheit wird immer wichtiger. Genau jetzt, wenn die Leute zu Hause hocken, ihre Freunde nicht sehen, nicht vor die Tür gehen. Häusliche Gewalt war ein Thema. Und da ist uns aufgefallen, dass es keine adäquaten Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche für mentale Gesundheit gab. Also klar, es gibt die Telefonseelsorge, die machen einen super Job, es gibt die Nummer gegen Kummer, die machen auch einen super Job, aber eben nur per Telefon. Und unsere Hypothese war: Die Generation Z chattet lieber, als dass sie telefoniert. Das ist ein bisschen mehr lowkey.

Was meinst Du damit?
Man kann per Chat Dinge bewusster formulieren. Man muss nicht seine Stimme nutzen, vielleicht in der kleinen Wohnung zu Hause, wo das sofort auffällt, wenn man mit jemandem telefoniert. Das brachte uns auf die Idee für krisenchat. Das gab es schon so ähnlich in den USA. Warum also nicht bei uns? Wir haben da unsere Chance gesehen, eine Nische bespielen zu können. Seit dem 2. Mai 2020 sind wir online mit krisenchat. Wir haben inzwischen 4.000 Beratungen im Monat, über 300 Ehrenamtliche, die aktiv sind, und auch ein festangestelltes Team. krisenchat hat sich von einer Not-Idee zu einem gut funktionierenden Non-Profit-Unternehmen entwickelt. Seit dem Frühjahr 2021 bin ich aus der Geschäftsführung raus, um zu studieren. Ich bin aber weiter Gesellschafter.

Du wurdest letztes Jahr vom Deutschen Start-up Verband als „Social Entrepreneur des Jahres“ ausgezeichnet. Hast Du das Gefühl, für Deinen weiteren Weg ist damit jetzt eine Richtung vorgegeben?
Gute Frage! Ich habe im Sommer Praktika im Bereich Venture Capital und bei BCG gemacht. Mein Mitgründer Kai guckt mich manchmal ein bisschen schief dafür an und versteht nicht, wie ich das machen könne. Also, ich glaube schon, dass man auch im Consulting positiven Impact schaffen kann. Ich will das jetzt erstmal alles sehen. Ich bin jung und ich sehe das nicht so, dass ich jetzt nur das eine machen darf. Die Auszeichnung verbaut mir ja auch erstmal nichts. Aber es ist schon ein Thema. Wenn ich jetzt irgendeine E-Commerce Bude nach dem Studium gründen würde, die nur darauf ausgelegt ist, möglichst schnell viel Geld einzusammeln und möglichst schnell verkauft zu werden, kann ich schon verstehen, wenn ein paar Leute dann komisch gucken. Ich glaube schon, wenn ich nochmal was gründe, dass ich dann Impact schaffen will. Das ist ja auch ein Thema, das unsere Generation sehr beschäftigt.

In diesem Jahr hast Du mit einigen Mitherausgeberinnen und Mitherausgebern das Buch „GenZ für Entscheider:innen“ veröffentlicht. Hattet Ihr das Gefühl, Euch erklären zu müssen?
Jein. Neulich habe ich eine Grafik gesehen, unter der Überschrift: Die Jugend ist faul – und dann wurden da Beispiele für diese Aussage von Napoleon bis heute gezeigt. Das wird wirklich alle zehn Jahre neu diskutiert. Es heißt dann immer: ‚Die Jungen wollen nicht mehr arbeiten heutzutage‘. Und dieses Klischee wird jetzt wieder auf die Generation Z angewendet. Auch die Millennials wurden ja viel kritisiert. Aber ich glaube, dass die Generation Z gerade sehr im Fokus steht. Ich sage nicht, dass unser Buch die eine, einzige Wahrheit über die Generation Z ist. Wir haben im Buch 28 teilweise völlig konträre Meinungen, von denen ich auch nicht jede teile. Aber ich glaube, es war an der Zeit, das mal konsolidiert in so einer engen Form darzustellen. Gerade die Arbeitsmarktdynamik und der War for Talents – das sind momentan essenzielle Themen für Unternehmen, das sind die Nummer-1-Fragen für jede HR-Abteilung. Unsere Motivation war, die Besonderheiten der Generation Z so aufzubereiten, dass gerade mittelständische Unternehmen, Familienunternehmen, aber auch Start-ups, die Möglichkeit haben, die besten Talente zu finden und sich dabei nicht die Finger zu verbrennen.

Seid Ihr als Generation wütend auf die Generationen vor Euch?
Ich glaube, in meiner Generation gibt es diese Wut, ja. Ich persönlich frage mich, was bringt das? Was bringt mir das jetzt, mich den ganzen Tag über die Älteren aufzuregen? Wir sind jetzt leider mit den Gegebenheiten konfrontiert, man kann es jetzt eh nicht mehr rückgängig machen. Am Ende muss man sehen, die Boomer leben noch mindestens 20, 30 Jahre und sind irgendwann der Großteil unserer Gesellschaft. Man muss sie ja trotzdem mitnehmen, denn sie entscheiden Wahlen. Sie bestimmen die Politik, weil sie die meisten Stimmen haben. Und dann bringt Wut wenig, sondern man muss eher fragen: Wie kann man einen gemeinsamen Weg finden? Und das soll nicht heißen, wir schauen jetzt mal 15 Jahre und gucken uns mal langsam um. Sondern nein, das muss trotzdem mit Tempo passieren und mit Druck dahinter. Spannend wird es, wenn die gesamte Babyboomer-Generation in Rente ist: Dann ist die Wirtschaft in der Hand der Jungen und die Politik quasi in der Hand der Alten.

Was können wir uns von Euch superjungen Unternehmerinnen und Unternehmern der GenZ abschauen? Und was könnt Ihr Euch von uns abschauen?
Vielleicht kann man von uns die Attitüde lernen: Was soll schon schiefgehen? Einfach mal machen. Natürlich gibt es auch Leute Mitte 30, auch Unternehmer, die auch diese Risikobereitschaft haben. Aber eine Person unter 20 mit einer guten Idee, die sagt sich eben: Warum machen wir jetzt nicht ein TikTok-Account und produzieren einfach 20 Videos am Tag? Dieses schnelle, digitale Denken ist in der heuten Zeit superwichtig. Bei Krisenchat haben wir vier Wochen gebraucht von Idee bis Umsetzung: einfach gestartet, Guerilla Marketing auf allen Kanälen gehabt, überhaupt keinen Perfektionsansatz. Der ist dann mit der Zeit gekommen. Auf der anderen Seite können wir vielleicht lernen, ab und zu mehr auf Vollständigkeit zu achten. Mehr zu hinterfragen. Ich hatte zwei Chefs in meinen letzten beiden Praktika, die waren jetzt auch erst Ende 20, Anfang 30. Aber ich habe schon das Gefühl, dass die nochmal durch eine andere Art von Schule gegangen sind als wir. Genauer zu gucken, ist alles richtig in dem Text, und sich nochmal einen zweiten Gedanken zu machen, bevor man etwas abschickt. Und das ist manchmal gar nicht so schlecht. Wenn wir uns da irgendwo in der Mitte treffen, zwischen Sachen schnell und iterativ machen und gleichzeitig aber trotzdem dafür sorgen, dass sie inhaltlich richtig und ausgefeilt sind, dann wäre das richtig gut.

Vielen Dank, lieber Julius!

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