Unterschätzt, übersehen und unterrepräsentiert
Die Rolle von Frauen in der Wirtschaft wurde lange Zeit übersehen, argumentiert Claudia Große-Leege. Für die Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VDU) ist die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft längst überfällig.
Wir feiern in diesem Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht. Das ist ein großartiges Jubiläum. Es ruft uns in Erinnerung, wie viel Kraft und Ausdauer nötig waren, um dieses Recht durchzusetzen. Wir haben allen Grund, diese Errungenschaft zu feiern und stolz zu sein auf die mutigen Vorkämpferinnen, die es erstritten haben. Noch mehr Grund haben wir, mit Blick auf die Zukunft gemeinsame Perspektiven für die tatsächliche Umsetzung sowohl der politischen und der gesellschaftlichen als auch der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen zu entwickeln.
Denn das Datum 100 Jahre Frauenwahlrecht unterstreicht, dass wir noch ein gutes Stück von der Verwirklichung entfernt sind. Aktuell müssen wir sogar relevante Rückschritte hinnehmen: Weniger weibliche Abgeordnete im Parlament, leicht sinkende Zahl an unternehmerisch tätigen Frauen. Beides ist mindestens beunruhigend. Je nach Temperament nimmt es die eine oder andere engagierte Frau auch als Alarmzeichen wahr. Für die deutschen Unternehmerinnen ist es in erster Linie ein Ansporn.
Stimme der Unternehmerinnen
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Wirtschaft und Gesellschaft ist Satzungsziel des Verbandes deutscher Unternehmerinnen. Das scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein. Aber ein Blick in unsere Wirklichkeit zeigt, dass die Durchsetzung von eigentlich Selbstverständlichem einen sehr langen Atem erfordert.
Der VdU macht sich seit über sechzig Jahren für die Sache der Frauen in der deutschen Wirtschaft stark. Dabei standen und stehen wir auch auf dem politisch-rechtlichen Fundament, das durch die Durchsetzung des Frauenwahlrechts gelegt wurde. Denn die Unternehmerinnen sehen ihre Aufgabe auch politisch und gesellschaftlich. Sie haben um Respekt und Anerkennung gekämpft, als Frauen in den von Männern dominierten Wirtschaftsverbänden noch Exotenstatus hatten.
Frauen in unternehmerischer Verantwortung wurden bestenfalls als Übergangserscheinung betrachtet und mussten sich als „Nelke im Knopfloch der deutschen Wirtschaft“ bezeichnen lassen. Noch bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts galten despektierliche Bemerkungen wie „Frauen soll man lieben, aber keine Geschäfte mit ihnen machen“ als Bonmots und wurden sogar in Wirtschaftszeitschriften gedruckt.
Unternehmerinnen als Randerscheinung
Offenbar war man vom Katheder aus zu sehr gewohnt, die männliche Unternehmerfigur in den Fokus zu rücken und hat darüber die Leistung der weiblichen Firmenangehörigen vernachlässigt. Prägnantes Beispiel ist die Geschichte des Kruppkonzerns: In der Forschung wurden der Gründerwitwe Therese Krupp eigene unternehmerische Fähigkeiten geradezu abgesprochen, obwohl sie zwanzig Jahre an der Spitze des Unternehmens wirkte – während ihrem Sohn, dem damals vierzehnjährigen Alfred Krupp solche Kompetenzen attestiert wurden. Bekannte Unternehmerinnen wie Margarete Steiff oder Käthe Kruse wurden in der wirtschaftshistorischen Literatur als Ausnahmen in einer männlichen Wirtschaftswelt beschrieben, obwohl Frauen schon immer einen beachtlichen Anteil an der Wirtschaftsleistung unseres Landes hatten. Schon eine Generation vor der Einführung des Frauenwahlrechts stellten Frauen einen Anteil von knapp einem Viertel aller unternehmerisch Tätigen, so weist es die amtliche Gewerbestatistik des Deutschen Kaiserreiches von 1895 aus.
Unterschätzt, übersehen und unterrepräsentiert: Das galt viel zu lange für Frauen in der deutschen Wirtschaft. Öffentlichkeit, Politik und nicht zuletzt auch die wirtschaftshistorische Forschung haben den tatsächlichen Beitrag der Frauen nicht gespiegelt, den sie als Managerin, als Unternehmerin, als Beschäftigte erarbeiten – und natürlich auch in ihrer unbezahlten Arbeit, Stichwort Verantwortung für Familien. Bis heute leisten Frauen hier den Löwenanteil an der Kindererziehung und an der Pflege für ältere Angehörige.
Frauen in unternehmerischer Verantwortung wurden bestenfalls als Übergangserscheinung betrachtet.
Politische Repräsentation
Ähnlich verliefen die Anfänge der politischen Repräsentation von Frauen. Im Winter 1918 fanden die ersten Landtagswahlen mit aktivem und passivem Frauenwahlrecht statt. Am 19. Januar 1919 folgte die erste Reichstagswahl, in der die Frauen ihr neues Mitwirkungsrecht endlich auch auf Reichsebene wahrnehmen konnten. Gewählt wurden immerhin knapp zehn Prozent weibliche Abgeordnete – eine Marge, die über mehrere Jahrzehnte nicht wesentlich überschritten wurde, und die sich bis heute kaum über ein Drittel hinaus entwickelt hat. Und doch, verglichen mit den Frauenanteilen in den Top-Etagen der deutschen Großunternehmen, eine durchaus respektable Zahl.
Immerhin liegt die Politik gegenüber der Wirtschaft in Sachen Spitzenfunktion vorn, auch wenn es von der Durchsetzung des Frauenwahlrechts bis zur ersten Regierungschefin fast neun Jahrzehnte gedauert hat. Nicht zu vergessen allerdings, dass die ökonomische Gleichberechtigung schlechtere Startchancen hatte: Während Frauen in Deutschland schon seit Generationen wählen durften, benötigten sie für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder die Eröffnung eines eigenen Bankkontos noch bis in die siebziger Jahre die Einwilligung ihres Ehemannes.
Fortschritte sichtbar, aber noch nicht am Ziel
Das ist zum Glück längst Geschichte. Die Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung sind unübersehbar, aber wir sind noch nicht am Ziel. In Wirtschaft wie in der Politik stehen nach wie vor meist die Männer im Fokus der Verantwortung. Frauen sind in den Führungsetagen noch immer zu selten vertreten.
Was also brauchen wir? Für den ökonomischen Bereich gibt es eine klare Agenda: Erstens ist eine Förderung weiblichen Unternehmertums wichtig. Frauen in Führungsverantwortung müssen sichtbarer werden. Selbstverständliche und gleichberechtigte Teilhabe ist das Ziel. In den Spitzengremien ebenso wie in den nachgeordneten Leitungsebenen, aus denen sich die Führungskräfte von morgen rekrutieren.
Zweitens brauchen wir eine weitere Förderung der Frauenerwerbstätigkeit. Dabei geht es nicht nur um die Erhöhung der Erwerbsquote, sondern vor allem um eine Harmonisierung der Erwerbsbiografien. Frauen wählen noch immer überwiegend traditionelle Frauenberufe, sind häufig in Niedriglohnsektoren oder in geringen Stundenumfängen erwerbstätig.
Das wirkt sich vielfach aus: In schlechteren Aufstiegschancen, in geringen Verdiensten, in niedrigeren Rentenanwartschaften – ein Teufelskreis, übertragen auf die politische Beteiligung ist das so, als würden Frauen ihr Wahlrecht massenhaft nicht wahrnehmen. In Berufswahl und Erwerbsbiografie liegen auch die wichtigsten Stellschrauben zur Verringerung der Entgeltlücke, Karrierechancen und Aufstiegsmöglichkeiten inklusive.
Es ist an der Zeit für nachhaltige Verbesserungen. Es bleiben dicke Bretter zu bohren. Denn am Ende des Tages ist gleichberechtigte Teilhabe immer auch eine Frage der Macht in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.