Viva la Revoluciòn!
Der FC Viktoria Berlin ist seit diesem Sommer mehr als ein Fußballverein. Er ist ein „Female Movement für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Sport“ – so formulieren es die sechs Frauen, die den Verein übernommen haben. Eine von ihnen, Felicia Mutterer, haben wir getroffen.
Am 6. Juli, dem Tag des Eröffnungsspiels der Fußball-Europameisterschaft der Frauen in England, sorgte eine Meldung für großes öffentliches Aufsehen: Sechs prominente Frauen übernehmen den Regionalligisten FC Viktoria Berlin und rufen eine „Revolution im Fußball“ aus. Es handelt sich dabei um die Unternehmerin und Investorin Verena Pausder, die Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Wärme Berlin AG Tanja Wielgoß, die Sportjournalistin und Unternehmerin Felicia Mutterer, die Mitgründerin und Geschäftsführerin von BRLO Craft Beer Katharina Kurz, die Brand- und Marketingexpertin Lisa Währer sowie die ehemalige deutsche Fußballnationalspielerin und zweimalige Weltmeisterin Ariane Hingst. Die sechs verstehen sich als Sport-Start-up, bezeichnen sich selbst als Gründer:innen und haben als Ziel ausgegeben, in fünf Jahren in der Bundesliga zu spielen. Kurz vor dem Start in die neue Saison treffen wir Felicia Mutterer. Sie ist Journalistin, hat ein eigenes Magazin und sogar ein Medienhaus sowie die Agentur „Achtung! Broadcast“ gegründet – und den Anstoß für das Projekt gegeben.
Liebe Felicia, die Fußball-Europameisterschaft der Frauen liegt gerade hinter uns und hat eine bis dato ungekannte Euphorie ausgelöst. Markiert dieser Sommer eine Zeitenwende im Frauenfußball – aus der Nische in die breite Öffentlichkeit?
Jetzt würde ich gerne uneingeschränkt ja sagen – das kann ich aber leider nicht. Ein Jein ist drin. Dieses EM-Turnier hat ja schon viel eingelöst: Zuschauerrekorde in Deutschland, die Stadien in England waren voll, Rekorde bei den Sponsoringgeldern. Auch in Italien, Frankreich und Spanien wurde ein neues Bewusstsein für den Fußball mit Frauen geweckt. Ich arbeite als Journalistin seit 20 Jahren mit den Themen Frauen und Sport und in den letzten zwei, drei Jahren habe ich eine Entwicklung gesehen, die wirklich rasant war. Als ich 2018 versucht habe, diese Themen zu platzieren, gab es wenig Interesse, eher Widerstände. Diese Türen, die damals zu waren, gehen jetzt auf. Viele Medien und Unternehmen merken jetzt: Oh, bei den Frauen kann man noch richtige Geschichten erzählen. Da ist alles sehr nahbar. Für uns ist es tatsächlich ein bisschen Glück, dass der Männerfußball das Rad überdreht hat. Wir stehen kurz vor einer umstrittenen WM in Katar. Man hat das Gefühl, die Verbände wollen immer mehr Spiele, immer mehr Turniere, immer mehr Modi. Viele Spieler sind wahnsinnig abgehoben – natürlich nicht alle, aber wer ein Salär von 80 durchschnittlichen Jahresgehältern bekommt, dafür, dass er einmal den Fuß raushält, für den ist es schwierig, auf dem Boden zu bleiben. Ich glaube, es gibt eine große Sehnsucht nach „ehrlichem“ Sport. Auf der anderen Seite fehlen den Frauen die Infrastrukturen. Die sind wirklich nicht hype-würdig. Die Sichtbarkeit von Fußball spielenden Frauen ist weiterhin eingeschränkt: Wer guckt sich denn die Bundesligaspiele an? Geschweige denn die 2. Liga oder die Regionalligen? Ich glaube daher, dass es eine dauerhafte Beschallung mit dem Thema braucht und die Bereitschaft der Leute, sich ins Stadion aufzumachen und den Fußballerinnen zuzusehen.
Wie kam diese Gruppe der sechs Gründer:innen zustande? Kanntet Ihr Euch alle vorher?
Tatsächlich kannten sich nicht alle untereinander. Katharina Kurz und ich kennen uns schon länger, begeistern und engagieren uns seit 2019 gemeinsam für das Thema größere Sichtbarkeit für Frauenfußball. In meiner Arbeit als Sportpodcasterin bin ich ziemlich genau vor zwei Jahren auf einen Artikel über den Angel City FC gestoßen (ein Team aus Los Angeles, in der Hand von unter anderem Natalie Portman, Eva Longoria, Mia Hamm und Serena Williams, Anm. d. Red.) und habe gleich Katharina angetwittert, ob wir sowas nicht auch in Deutschland starten wollten. Katharina hat sofort geantwortet ‚Bin dabei!‘. Und dann sind wir losgegangen und haben Mitstreiterinnen gesucht. Unzählige Gespräche geführt. Für einige kam es nicht infrage, als Gründungsmitglied auch in die Verantwortung zu gehen. Jetzt haben wir ein Team zusammen, bei dem jede eine andere Kernkompetenz mitbringt und das sich wahnsinnig gut ergänzt.
„Revolution im Fußball“ – so war die Pressemitteilung Anfang Juli überschrieben. Wie sieht diese Revolution aus?
Das ist natürlich eine sehr starke Überschrift (schmunzelt), aber ich glaube, dass es so etwas noch nie gegeben hat: Ein heterogener Zusammenschluss von sechs Frauen, die ein Fußballteam übernehmen. Auch unsere Form der Ausgründung ist neu – natürlich gilt auch bei uns die 50+1-Regel. Aber wir verstehen uns als Sport-Start-up, das ein Fußballteam übernommen hat und darum herum eine Marke aufbaut. Wir wollen auch ein Entwicklungslabor von breiteren Geschäftsmodellen rund um das Team sein.
Wichtig ist: Unser Ziel ist ja nicht nur sportlicher Erfolg, sondern auch zu gesellschaftlicher Veränderung beizutragen. Wir wollen Werte transportieren. Wir setzen uns für Geschlechtergerechtigkeit ein. Wir leben Offenheit. Dafür stehen wir – und auch unser diverses Netzwerk mit Leuten aus dem Sport, den Medien, der Wirtschaft und der Politik, die diese Werte gemeinsam mit unserem Team auf und neben dem Platz weitertragen. Das gab es meines Wissens in dieser Konstellation noch nie – außer eben beim Angel City FC, von dem wir uns ja zugegebenermaßen haben inspirieren lassen.
Wo siehst Du die größten Hindernisse?
Mädchen und Frauen sind heute meist die letzten, die in den Vereinen bei Trainingszeiten berücksichtigt werden. Die Trainingsklamotten sind nicht vorhanden, selbst im oberen Leistungsbereich. Weil es eben ein A-Team der Männer gibt, dann kommt das zweite Team der Männer, dann gibt es noch die A-Jugend und die B-Jugend und danach kommen irgendwann die Frauen. Unter solchen Voraussetzungen ist es fast unmöglich, dass sich flächendeckend etwas Großes entwickeln kann. Wir sehen es als unsere Aufgabe, diese Strukturen zu verändern. Unsere Spielerinnen bekommen zum Beispiel alle ein Gehalt – das ist in der Regionalliga sonst nicht üblich. Das Gehalt ist momentan leider noch sehr gering, aber es ermöglicht, dass die Spielerinnen versichert sind. Wir haben dafür gesorgt, dass eine richtige Physiobank vorhanden ist und die Physiotherapeutin öfter vorbeikommt. Dass das Team um die Mannschaft herum auch eine Bezahlung bekommt. Es sind die kleinen Dinge, aber an denen sieht man: Da muss Veränderung kommen!
Was versprecht Ihr Euch aus unternehmerischer Sicht von dem Projekt?
Wir wollen sportlichen Erfolg, dafür bauen wir professionelle Strukturen auf. Daneben setzen wir aufs Storytelling. Der erste Schritt ist hier die Vermarktung unserer einzigartigen Geschichte: Wir werden eine Doku-Serie produzieren und natürlich sämtliche verfügbaren digitalen Kanäle bespielen. Außerdem setzen wir in der ersten Phase ganz klassisch auf Merchandise, den wir verkaufen. Hinzu kommen weitere Geschäftsmodelle, die wir in den nächsten Steps, in den nächsten Jahren erarbeiten wollen. Darüber können wir jetzt natürlich noch nicht sprechen – steht aber alles in unserem Business Plan. Klar ist: Niemand, der in das Projekt investiert hat, soll sein Geld verlieren. Wir sind Unternehmerinnen, wir handeln mit Geschäftssinn – aber Geld ist nicht das Motiv, warum wir das machen.
Wir haben jetzt Mitte August, am Wochenende steht die erste Runde im DFB-Pokal an, gegen Stahl Brandenburg. Spürst Du jetzt Erfolgsdruck?
Beim Pokalspiel noch nicht so sehr, aber ich schätze, beim Saisonauftakt in der Regionalliga Nordost werde ich 90 Minuten nicht ansprechbar sein. Unser erstes Heimspiel, gegen Union Berlin. Und wir wollen unbedingt Platz 1 haben am Ende der Saison, um die Chance auf den Aufstieg zu haben. Eigentlich bin ich jetzt schon nervös.
Vielen Dank, liebe Felicia!