Lebenswerk: Vom Abgeben zum Loslassen
Mehr als vier Jahrzehnte leitete Günter Schwarz sein Familienunternehmen. Für den 85-Jährigen ist es Zeit, zu gehen. Abgeben konnte er gut, nur mit
dem Loslassen ist es so eine Sache.
Günter Schwarz packt. Umzugskisten voller Unterlagen und Bücher stehen in seinem großen Büro herum. Den Konferenztisch räumt man kurzerhand frei für ein Gespräch. Eigentlich hat sich der einstige Geschäftsführer der Schwarz- Gruppe aus dem schwäbischen Göppingen bereits Ende 2004 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Längst werden die Geschicke der zehn Firmen von der vierten Familiengeneration geleitet. Doch bis jetzt saß der 85-Jährige Senior noch fast täglich am Schreibtisch. Wie leicht lässt man sein Lebenswerk los nach sechs Jahrzehnten im Unternehmen?
Günter Schwarz ist das, was man einen Vollblutunternehmer nennen würde. Durchaus ein Workaholic, der sein Leben auf die Arbeit ausgerichtet hat. Einer, der selbst am Tag seiner Hochzeit die Feier mehrmals kurz verließ, um ans Telefon zu gehen. „Es gab Entscheidungen im Betrieb zu treffen“, erinnert er sich und lacht. Auch die Hochzeitsreise fiel aus. Seine Frau hat es ihm verziehen. Mit den Jahren hat er mehrere Logistik- und Entsorgungsunternehmen mit rund 800 Mitarbeitenden aufgebaut – und es geschafft, Töchter, Neffen und Großneffen für die Firma zu begeistern.
Träume vs. Erwartungen
Denn obgleich Loslassen ihm schwerfällt, war ihm das rechtzeitige Abgeben sehr wichtig. Wie herausfordernd es sein kann, wenn man wie er völlig widerwillig ins kalte Wasser geworfen wird, weiß Günter Schwarz nur zu gut. Als junger Mann hatte er ganz andere Träume, wollte nicht in die väterliche Spedition. Vielmehr zog es ihn in die große weite Welt. „Ich machte gegen den Willen meines Vaters eine Speditionslehre und ging dann nach Hamburg, um bei einer Hafenspedition zu arbeiten“, sagt er. Der Vater hätte den Junior gern als KfZ-Mechaniker gesehen. „Ich wollte damals aber in die USA.“ Sein Hamburger Chef hatte eine zweite Niederlassung in New York eröffnet. Doch 1957 beorderte Vater Georg Schwarz den Sohn plötzlich nachhause, denn er wurde in der Firma gebraucht. „Das waren andere Zeiten, man gehorchte. Aber zurückkommen zu müssen war grausam“, erzählt er.
Die wahre Probe stand ihm jedoch noch bevor. Im Frühjahr 1963 starb der Vater und Günter Schwarz, damals 27 Jahre alt und in der Akquise tätig, saß da und hatte keine knüpfte ein Netzwerk, wurde später Präsident der Bezirkskammer Göppingen der IHK Region Stuttgart. Und er hatte Ideen. „Meine Ohren waren immer weit offen für neue Geschäftsfelder“, sagt er. Aus der Spedition Wackler wurde die Schwarz-Gruppe. Günter Schwarz baute den Logistikbereich aus, stieg ins kommunale Entsorgungs- und Recyclinggeschäft ein, war 1993 Gründungsmitglied der CargoLine, einer der mittlerweile größten Transport- und Logistikkooperationen.
Die Firma gehört zur Familie
Sein Lebenswerk wollte Günter Schwarz aber nicht in Scherben wissen, daher begann er früh damit, die nächsten Generationen ins Unternehmen einzubeziehen. Nachdem er sich vor 17 Jahren als Geschäftsführer zurückgezogen hat, wurde der Gesellschaftsvertrag entsprechend geändert, gleichzeitig rief man einen Beirat ins Leben, dem Günter Schwarz vorsaß. So begleitete er die folgenden zehn Jahre den Übergang beratend.
Er hatte jedoch auch Glück, denn in die Firma zwingen musste er niemanden. Seine zwei Töchter, Beate und Gabi Schwarz, sind praktisch auf dem Betriebsgelände in Göppingen groß geworden. Fragt man sie, wollten sie nie irgendwo anders hin. „Unser Vater war samstags auch in der Firma. Da nahm er uns als kleine Kinder immer mit“, sagt Gabi. Natürlich hätten sie ihm nicht beim Zeitunglesen zugesehen. Stattdessen schnappten sich die Mädchen in der Umschlaghalle den Hubwagen oder später das Botenfahrzeug, einen Opel Kadett Automatik. „Mit zwölf bin ich eine Runde ums Gelände gefahren“, erinnert sich Gabi mit Freude. Die Firma habe man so schon früh kennengelernt. Mit 14 folgte der erste Ferienjob in der Buchhaltung und auch während dem Studium in den Semesterferien wurde im Familienunternehmen gejobbt. Getreu dem Vorbild des umtriebigen Vaters knüpfte auch die heute 56-jährige Betriebswirtin schon in jungen Jahren Netzwerke, war Mitglied bei den Wirtschaftsjunioren, von 1999 bis 2000 hat sie den Kreis in Göppingen geleitet. „Das war für mich eine Spielwiese. Ich konnte als Vorstand das Thema Führung auf eine ganz andere Weise praktizieren“, sagt sie rückblickend.
Heute ist Gabi Prokuristin der Schwarz-Gruppe, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Bildung. Sie betreut seit 2014 das hauseigene Firmen-Museum. Außerdem baute sie die Schwarz-Akademie auf und kümmert sich um Bildungspartnerschaften. Ihre Schwester Beate leitet die vier mittelständischen Unternehmen im Bereich Entsorgung und Recycling. Günter Schwarz‘ Neffe Oliver ist Geschäftsführer der Wackler Spedition und Logistik. Dessen Sohn Maximilian stieg 2020 als Business Development Manager ein. Und auch Beates Sohn Louis eifert dem Großvater nach. Soeben hat der 19-Jährige seine Ausbildung als Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft abgeschlossen. Auch die Chefin hat Louis als kleines Kind schon mitgenommen. „Ich habe den gesamten Tagesablauf von Grund auf miterlebt. Irgendwann merkte ich: das ist auch meine Leidenschaft“, sagt er. Mit den beiden jungen Männern ist bereits die fünfte Generation an Bord.
Klingt, als müsse sich Günter Schwarz so gar keine Sorgen um die Zukunft des Unternehmens machen. Nun sitzt er da und packt seine Unterlagen zusammen. „Das ist eine Zäsur für mich. Es fällt mir schwer. Da sind Dinge dabei…“, er atmet durch, „…und jetzt geht es ins Altpapier“. Tochter Gabi lächelt. „Es war ein harter Kampf“, sagt sie in Bezug auf den Papierkram. Aber nun kann sich Günter Schwarz beruhigt anderen Dingen widmen. Da wäre noch die Australienreise, die schon lange auf der Wunschliste steht. Greifbar bleibt er dennoch. Ist die letzte Kiste gepackt, richtet er sich einen kleinen Schreibtisch im Vorzimmer ein, um sich um andere Geschäfte zu kümmern. So ganz fernbleiben kann er seinem Lebenswerk nicht, er ist eben Unternehmer durch und durch.