Gesichter der jungen Wirtschaft: Julia Köhn
Nordish by nature
Die Bremerhavenerin Julia Köhn hat den Lebensmittel-Online-Marktplatz PIELERS entwickelt. Die Idee hinter dem Start-up: Gute Produkte online im Direktvertrieb an die Verbraucher bringen und so regionale Erzeuger stärken. Das Ganze ist weit mehr als eine romantische Idee.
Es gibt immer zwei Arten von Menschen: Frühaufsteher oder Langschläfer, Kaffee- oder Teetrinker, Windows-Fan oder Apple-Victim. Und es gibt Träumer und Macher. Julia Köhn ist eine Macherin. Eine, für die Probleme Chancen sind. Chancen, die das Potenzial bergen, ein kleines Stück der Welt anders zu machen, vielleicht besser. Köhn ist Entwicklerin des Online-Marktplatzes PIELERS. Die Idee dahinter: Gute Produkte online im Direktvertrieb an die Verbraucher bringen und so regionale Erzeuger stärken. Vor anderthalb Jahren ist das digitale Start-up online gegangen. Fisch, Fleisch, Obst, Gemüse, Molkereiprodukte, Pasta, Gewürze, Marmelade und einiges andere mehr können Kunden aus Bremerhaven und dem Umland seitdem online bestellen und sich direkt nach Hause liefern lassen.
Smarte Idee
Köhn hatte sich schon immer daran gestoßen, dass viele regional produzierte Produkte ins Ausland gehen, während gleichzeitig in Deutschland Ware aus dem Ausland verkauft wird. „Drei Kilometer von der eigenen Haustür entfernt werden hochwertige, leckere Produkte hergestellt, aber im Supermarktregal liegt Fleisch aus Polen“, sagt die 32-Jährige. 2016 nahm Köhn sich ein Sabbatical von ihrer Tätigkeit als selbstständige Unternehmensberaterin, um als EXIST-Gründerstipendiatin mit Unterstützung der Hochschule Bremerhaven an der Entwicklung des Start-ups zu arbeiten. Dessen operatives Geschäft ist nachhaltig und ressourcenteilig aufgebaut. „Wir legen Wert darauf, ökonomisch zu arbeiten, sowohl in ökologischer als auch in monetärer Hinsicht“, betont Köhn. So ist die Umverpackung, die das Unternehmen für die Lieferung verwendet, recycelbar und wird in Bremerhaven hergestellt. Eine eigene Fahrzeugflotte gibt es nicht.PIELERS nutzt das dichte Betriebsnetz eines Bremerhavener Unternehmens, das seine eigenen Fahrten mit denen des Start-ups kombinieren konnte. Das schont die CO2-Bilanz. „Ich komme vom Dorf und habe viele Freunde und Bekannte, die Landwirte sind. In Gesprächen merke ich immer wieder, dass gerade die jungen Landwirte, die langsam die unternehmerische Verantwortung für die Höfe übernehmen, ein hohes Bewusstsein für nachhaltige Produktion haben“, sagt Köhn. „Sie wären gerne unabhängiger von den mächtigen Lebensmittelkonzernen, haben aber oft hohen finanziellen Druck. Die können nicht einfach von heute auf morgen alles anders machen.
Mit PIELERS können die Landwirte ohne viel Aufwand in die Direktvermarktung gehen, neue Kundengruppen erschließen und sich langsam ein zweites Standbein aufbauen“, erklärt die promovierte Volkswirtin. Die Erzeuger und Händler verwalten ihr PIELERS-Konto eigenständig, auch die Preise ihrer Produkte bestimmen sie selbst. Kosten entstehen erst, wenn der Kunde bestellt. Dann erhält das Start-up eine Provision von 10 bis 25 Prozent. So finanziert es sich. 45 Erzeuger und Händler bieten ihre Produkte mittlerweile beim Online-Marktplatz an. Rund 300 Kunden, darunter Gastronomen, Kindertagesstätten und Kantinen großer Unternehmen, haben sie. Etwa die Hälfte der Abnehmer sind Privatkunden. „Das sind Menschen, die Wert da rauf legen, gut und frisch zu essen, aber viel unterwegs sind und keine Zeit zum Einkaufen haben. Erst recht nicht, wenn der Bauernladen um 16 Uhr zumacht“, sagt Köhn, die das Problem aus eigener Erfahrung kannte – bevor sie PIELERS gründete. Anderthalb Jahre danach ist klar: Das Konzept ist ein Erfolg – auch, weil es perfekt zur Lebenswirklichkeit der jungen Generation passt.
Vom erhobenen Zeigefinger halte ich nichts. Ich will auch niemanden missionieren. Ich freue mich einfach, wenn jemand durch PIELERS ein Aha-Erlebnis hat.
Keine Missionarin
Vor Kurzem war Köhn wieder bei einem Lebensmitteldiscounter, nach über einem Jahr. Gekauft hat sie nichts. „Ich konnte nicht“, sagt sie. Köhn stellt aber auch klar: „Vom erhobenen Zeigefinger halte ich nichts. Ich will auch niemanden missionieren. Ich freue mich einfach, wenn jemand durch PIELERS ein Aha-Erlebnis hat, was die Herausforderungen der hiesigen Landwirte oder sein eigenes Kaufverhalten angeht. Dann weiß ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das spornt mich an.“ Ansporn und Zuspruch kann Köhn hin und wieder gebrauchen. „Zweifel gehören dazu“, sagt sie über das Leben als Unternehmerin. Eine der größten Herausforderungen des Start-ups ist es, zu vermitteln, dass der Versand der Ware nicht kostenlos erfolgen kann. „Amazon und Co haben die Kunden da stark geprägt“, sagt sie.
Ehrgeizige Pläne
Köhn hat ihr Start-up so konzipiert, dass das PIELERS-Konzept auch in anderen Regionen zum Einsatz kommen kann. Interessenten aus dem ganzen Bundesgebiet gibt es bereits. Köhn denkt deshalb über ein Lizenzmodell für regionale Partner nach. Spruchreif sind die Pläne noch nicht. Ein wichtiger Schritt allerdings steht bereits fest: Demnächst wird das Start-up einen deutschlandweiten Vertrieb anbieten. Dann kann man frische Nordseekrabben auch mit Blick auf die Zugspitze oder den Kölner Dom genießen. „Derzeit sind wir noch eine Ergänzung zum klassischen Handel, zum Hofladen oder zum Online-Versand“, sagt Köhn, „aber die Vision ist klar: 2020 soll PIELERS in ganz Deutschland eine echte Alternative zum Einkauf im stationären Handel sein.“ Damit das bald Realität wird, hat die Gründerin sich Partner gesucht, zwei strategische Investoren sind mittlerweile an Köhns Start-up beteiligt.
Es lohnt sich, Dinge einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und neue Wege zu gehen.
Engagierte Juniorin
Eine Macherin ist Köhn nicht nur, wenn es um PIELERS geht. Die Unternehmerin engagiert sich auch bei den Wirtschaftsjunioren Bremerhaven, ist seit 2015 Mitglied des Vorstandes. Für ihren Kreis hat Köhn die Veranstaltungsreihe „Impulsgeber“ ins Leben gerufen. Es geht um Digitalisierung, Kommunikation, Strategieentwicklung, Vertrieb. Die Vorträge und Workshops der Reihe wollen dazu einladen, neue Richtungen im Denken und Handeln einzuschlagen. Initiatorin Köhn sagt: „Es lohnt sich, Dinge einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und neue Wege zu gehen.“ Sie hat es selbst bewiesen.