Schneller besser und besser schneller
Ein neues Mindset für Staat, Politik und Verwaltung zu entwerfen und zu etablieren – nicht weniger haben sich Nadine Schön und Thomas Heilmann mit ihrem Buch vom „Neustaat“ vorgenommen. Wir haben Thomas Heilmann ein paar Fragen dazu gestellt.
Thomas, in Eurem Buch macht Ihr 103 Vorschläge an Staat und Politik. Inwiefern betreffen diese Vorschläge junge Unternehmerinnen und Unternehmer? Was würde sich für sie im „Neustaat“ verbessern?
„Neustaat“ ist ein Plädoyer für einen leistungsfähigeren, agileren und schnelleren Staat. Gerade Unternehmer, und hier insbesondere Gründerinnen und Gründer, klagen über die Vielzahl an Vorschriften und die Komplexität und Langwierigkeit staatlicher Verfahren und Prozesse. Das wird nicht selten zur Innovationsbremse. Unser Grundsatz ist: Wir müssen schneller besser und besser schneller werden. Neben der Modernisierung der staatlichen Strukturen findet man in unserem Buch auch eigene Kapitel mit vielen konkreten Vorschlägen, wie wir die Gründungs- und Wachstumsintensität von Startups erhöhen. Mit einer weiteren Säule im Rentensystem wollen wir mehr institutionelles Kapital für Unternehmensgründungen zur Verfügung stellen. Wir haben ein Konzept für die Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen entwickelt und schlagen außerdem Universitätsfonds vor, um Hochschulen, Wissenschaft, Corporates und Start-ups besser zusammen zu bringen.
Welchen etablierten Strukturen wollt Ihr mit Eurem Neustaat-Konzept vor allem an den Kragen?
Das große Ziel ist ein neues Mindset für Staat, Politik und Verwaltung. Die Verwaltung ist der Muskel des Staates. Diese wollen wir stärken und die Strukturen so modernisieren, dass sie in der vernetzten und digitalen Welt gut arbeiten kann. Das beginnt bei der Gesetzgebung, geht über das Personalwesen und endet bei den Abläufen und Prozessen im Vollzug. Im Kern geht es darum, das Silodenken und die starren Strukturen aufbrechen. Außerdem brauchen wir mehr flexible und datengetriebene Politik. Wir nennen das den „lernenden Staat“. Unsere Verwaltung ist 200 Jahre alt. So lange waren Ressortprinzip und Laufbahnen Garant für eine leistungsfähige Verwaltung. Heute ist das nicht mehr der Fall. Deshalb wollen wir hier ran.
Welche Lehren aus der Geschichte werden im Neustaat denn gezogen? Und welche Erkenntnisse aus der Pandemie und dem Lockdown hätten das Buch im Nachhinein vielleicht verändert?
Unsere jüngere Geschichte ist geprägt von großen Herausforderungen, auf die mit weitreichenden Reformen staatlicher Strukturen reagiert wurde. Preußens Aufstieg zur Weltmacht Mitte des 19. Jahrhunderts war zum Beispiel vor allem dem geschuldet, dass der Aufbau und die Arbeitsweise des Staates nach der Niederlage gegen Napoleon völlig neu gedacht wurden – so gesehen ein erfolgreicher Neustaat. Corona hat uns in unseren Forderungen nur bestätigt. Grade anfangs griffen sehr viele Rädchen plötzlich ineinander, weil im Krisenmodus mehr Flexibilität und Anpacken nötig war. Fördermittel brauchten in großen Teilen vom politischen Beschluss bis aufs Konto nur zwei Wochen. Zudem hat Corona gezeigt, dass ein starker Staat wichtig ist und Vertrauen stiftet. Wir brauchen deshalb nicht weniger Staat, sondern effi zientere Strukturen – auch im Normalbetrieb.
Um Interessen zukünftiger Unternehmen und (noch) kleiner Unternehmen Gehör zu verschaff en, wollt Ihr eine „Zukunftslobby“ im Bundestag einrichten. Mit wem wollt Ihr die besetzen? Und was soll die genau machen?
Die Zukunftslobby ist eine Lobby für die Technologien und Geschäftsmodelle der Zukunft. Es wäre zum Beispiel vor zehn Jahren sehr hilfreich gewesen, bei Gesetzesberatungen bereits ökologische, synthetische Kraftstoffe mitzudenken. Dann wäre unsere Mobilitätswende heute vermutlich schon weiter. Ziel ist es, die Fragestellungen der Zukunft heute bereits besser und früher in Gesetzgebung einzubeziehen. Da bestehende Lobbygruppen verständlicherweise eher bewährte Strukturen schützen wollen, braucht es eine Stimme der Innovation, die Trends aus Start-ups und Wissenschaft vertritt. Von da sollten die Vertreter idealerweise auch kommen.
Wie wollt Ihr in Zukunft Start-ups und jungen Unternehmen bessere Chancen, auch im internationalen Wettbewerb, ermöglichen?
Zum einen über die bereits erwähnte Mitarbeiterbeteiligung, damit es leichter wird, um Toptalente zu konkurrieren. Zum anderen aber auch bessere Berücksichtigung bei staatlichen Ausschreibungen. Hier werden Start-ups derzeit trotz starker Produkte nicht genügend bedacht, da eine Kooperation riskanter erscheint. Wir wollen das Risiko über eine Start-up-Versicherung bei öffentlichen Ausschreibungen, die im Falle fi nanzieller Schwierigkeiten greift, verringern und mehr Vertrauen schaffen. In Konkurrenz mit den USA und China muss es aber vor allem darum gehen, mehr Mittel für die Förderung von Start-ups, speziell in der Growth-Phase, zu generieren und das innovative Potenzial, zum Beispiel an Universitäten, zu mehr Gründungen zu bringen.
Wie verortet sich der Neustaat in Europa?
Der Neustaat muss ein gesamteuropäisches Projekt werden. Viele Maßnahmen zur Verwaltungsmodernisierung sind zunächst auf Deutschland zugeschnitten, aber insbesondere unsere Konzepte für die Zukunftsfelder wie Datenregulierung, Klimapolitik oder Förderung junger Unternehmen müssen zwingend europäisch gedacht werden. Die Herausforderungen sind global, unsere Antworten müssen daher auch den Anspruch haben, so groß zu denken.
Vielen Dank für das Gespräch!
Thomas Heilmann und Nadine Schön (Hrsg.), NEUSTAAT: Politik und Staat müssen sich ändern. 64 Abgeordnete & Experten fangen bei sich selbst an – mit 103 Vorschlägen, FinanzBuch Verlag.