Nach der Wahl ist vor dem Koalitionsvertrag
Wenn diese Ausgabe erscheint, hat Deutschland bereits gewählt – doch welche politischen Vorhaben nun Priorität erhalten und wie angekündigte Maßnahmen finanziert werden, steht noch längst nicht fest. Für uns als junge Wirtschaft heißt es jetzt: dranbleiben. Nach intensiven politischen Gesprächen, die bundesweit auch dank vieler engagierter WJ-Kreise stattfanden, gilt es nun, die Koalitionsverhandlungen aktiv zu begleiten und unsere Forderungen einzubringen.
Es liegt in der Natur – und Länge – von Wahlprogrammen, dass Parteien Themen nicht in ihrer gesamten Komplexität darstellen können. In Anbetracht des abrupten Endes der letzten Regierung und des sehr kurzen Wahlkampfes einmal mehr. Umso wichtiger ist es, konkret nachzuhaken. Folgende Aspekte sind aus Sicht der Wirtschaftsjunioren Deutschland in allen Wahlprogrammen zu kurz gekommen, zu unkonkret geblieben oder fehlen vollständig: gezielter Austausch mit junger Wirtschaft, flächendeckende Betreuung von Kindern unter einem Jahr, bessere soziale Absicherung für selbstständige Frauen ( z. B. durch eine Erweiterung der Umlage „U2“ oder flexiblere Arbeitsregelungen im Mutterschutz), Englisch als zweite Amtssprache und Wirtschaft als Unterrichtsfach. Diese Themenbereiche sind gute Aufhänger, um den Dialog zwischen Politik und junger Wirtschaft zu starten oder fortzuführen.
Die Parteien gehen mit ihren Inhalten aus den Wahlprogrammen in die Koalitionsverhandlungen. Wir haben sie analysiert – mit Fokus auf unsere Kernanliegen. Diese kompakte Zusammenfassung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber allen interessierten WJ-Kreisen eine Grundlage für kommende Austauschformate mit der Politik entlang unseres Grundsatzpapiers bieten. Sie soll außerdem dazu beitragen, dass der Verband mit einer Stimme spricht und den wirtschaftspolitischen Kurs der kommenden Legislaturperiode mitgestaltet. Berücksichtigt wurden die Parteien, die zum Redaktionszeitpunkt (Ende Januar) über der Fünf- Prozent-Hürde lagen und eine realistische Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung hatten: SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU [ Reihenfolge nach Wahlergebnis 2021, Anm. d. Redaktion].

Mehr für dich.
Besser für Deutschland.
Bürokratieabbau & Digitalisierung der Verwaltung: Die SPD möchte Verwaltungsprozesse durch Automatisierung und KI effizienter gestalten, u. a. durch die Einführung einer Genehmigungsfiktion und eine Registermodernisierung, die plattformorientierte Lösungen zur Antragsbearbeitung aufbaut. Darüber hinaus sollen alle Zuständigkeiten der Verwaltungsdigitalisierung in einem Ministerium gebündelt werden (S. 38). Statt bürokratischer Förderprogramme soll künftig eine einfachere Investitionsprämie eingeführt werden, die Unternehmensinvestitionen in die Zukunft unterstützt. Erfolgreiche Förderprogramme wie GRW und GAK sollen erhalten bleiben (S. 8).
Standortfaktoren (Innovation & Gründung): Die SPD will steuerliche Entlastungen für Personenunternehmen, die Gewinne reinvestieren. Eine neue Rechtsform, die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen, soll eine treuhändische Nachfolge im Mittelstand erleichtern. Steuerhinterziehung wird dabei ausgeschlossen (S. 8f). Die Erbschaft- und Schenkungsteuer soll reformiert werden, um Privilegien für große Unternehmensvermögen zu verringern. Eine Mindestbesteuerung für große Betriebsvermögen und vermögenshaltende Familienstiftungen soll eingeführt werden (S. 19). Der Breitbandausbau auf dem Land und die Förderung nachhaltiger Mobilität stehen im Fokus (S. 52). Straßen, Brücken und Schienen sollen modernisiert werden, um klimaneutrale, nutzerorientierte Mobilität zu ermöglichen und Deutschland als Standortvorteil zu stärken (S. 6, 16, 34). Die Energiepreise sollen gesenkt und stabilisiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Besonders stromintensive Unternehmen sollen von reduzierten Strompreisen profitieren, während Planungs- und Investitionssicherheit durch stabile Preise (Netzentgelte, Stromsteuer, CO2- Preis) geschaffen wird (S. 6, 7).
Bildung & Fachkräftesicherung: Das Vorbeschäftigungsverbot soll aufgehoben werden, um Rentner:innen einen neuen befristeten Arbeitsvertrag mit dem gleichen Arbeitgeber zu ermöglichen (S. 25). Die SPD möchte eine Fachkräfteoffensive für Kitas und Schulen zur Förderung des Betreuungsausbaus (S. 15). Der Digitalpakt Schule soll fortgesetzt und weiterentwickelt werden (S. 15). Die Berufsorientierung soll weiterhin in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit erfolgen, und die Arbeit mit Jugendberufsagenturen soll verstärkt werden (S.9). Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll unbürokratischer werden, um qualifizierten Arbeitskräften eine schnellere Einreise zu ermöglichen. Qualifikationen und Abschlüsse sollen leichter anerkannt werden, um Integration und Teilhabe zu fördern (S. 55).
Europa und die Welt: Die SPD möchte den Europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen, da dieser entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung und den europäischen Wohlstand ist (S. 9). Die Banken- und Kapitalmarktunion soll vorangetrieben werden und das Umfeld für Innovationen und Zukunftstechnologien durch privates Kapital dauerhaft gestärkt werden. Traditionelle Allianzen und Kooperationen sollen vertieft werden (S. 61).

Zusammen
wachsen
Bürokratieabbau & Digitalisierung der Verwaltung: Die Grünen wollen eine Innovationskultur in der Verwaltung durch antragslose Verfahren, risikobereitere Entscheidungen und den Einsatz von Automatisierung und KI schaffen. Die Modernisierung der Register soll Daten nur einmal erfassen und für alle Ebenen nutzbar machen. Digitale Dienste wie BundID und die Deutschland-App sollen ausgebaut und eine Cloud für Deutschland aufgebaut werden. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Bürokratieabbau für KMU, unterstützt durch den „Praxischeck“ sowie Maßnahmen wie die Reduzierung der Notarpflicht und die Anhebung der Schwellenwerte für die KMU-Definition (S. 10).
Standortfaktoren (Innovation & Gründung): Die Grünen wollen eine neue Gründungskultur durch rechtliche Vereinfachungen und „One-Stop“-Shops für Gründer:innen. Hochschulausgründungen und die EXIST-Hochschulförderung sollen gefördert werden. Mit der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) sollen regionale Innovationsökosysteme unterstützt werden (S. 13). Eine neue Rechtsform soll Familienunternehmen und Start-ups weitere Nachfolgeoptionen anbieten (S. 15). Der Glasfaserausbau soll durch beschleunigte Genehmigungsprozesse und Open Access gefördert werden. Die staatliche Gigabit-Förderung soll für strukturschwache Regionen erhöht werden (S. 19). Beim Verkehrswegeausbau setzen die Grünen auf Sanierung statt Neubau beim Straßennetz und einen Ausbau des Schienennetzes. Ein integrierter Bundesmobilitätsplan soll die Grundlage für klimaneutrale und flächenschonende Mobilität bis 2045 schaffen (S. 24). Um die Energiepreise für Unternehmen zu senken, sollen Stromsteuern auf das europäische Minimum gesenkt und Netzentgelte für überregionale Stromleitungen aus Deutschlandfonds gedeckt werden. Unternehmen im globalen Wettbewerb sollen dauerhaft Strompreiskompensationen erhalten (S. 10).
Bildung & Fachkräftesicherung: Die Grünen wollen Anreize für das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinausschaffen (S. 11). Selbstständige Frauen sollen durch Mutterschaftsgeld abgesichert werden und sich an der Umlagefinanzierung beteiligen (S. 37). Handwerkerinnen und Soloselbstständige sollen ebenfalls während der Mutterschaft abgesichert werden (S. 14). Die Berufsorientierung an Schulen soll praxisorientierter gestaltet werden (S. 36). Investitionen in den Kita- und Betreuungsausbau sollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und die Ausbildung von Erzieher:innen fördern (S. 35). Deutschland soll für internationale Arbeitskräfte durch Online-Arbeitsvisa-Anträge, vereinfachte Anerkennung ausländischer Abschlüsse und eine digitale Einwanderungsagentur attraktiver werden. Arbeitshindernisse für Geflüchtete sollen abgebaut und der Austausch mit Behörden auch auf Englisch ermöglicht werden (S. 11).
Europa & die Welt: Die Grünen setzen auf die Vertiefung des europäischen Binnenmarkts und eine verstärkte Digitalunion (S. 12). Sie verfolgen eine Handelsagenda, die den freien Handel stärkt und hohe soziale, ökologische und ökonomische Standards gewährleistet (S. 15, 16).

Politikwechsel für
Deutschland
Bürokratieabbau & Digitalisierung der Verwaltung: Die CDU/CSU will Bürger: innen und Unternehmen durch Bürokratieabbau und Verwaltungsdigitalisierung entlasten. Ein zentrales Instrument ist die Bürokratiebremse nach dem Prinzip „One in, two out“ ( S. 15). Genehmigungsprozesse sollen durch Fristen und Genehmigungsfiktionen beschleunigt werden (S. 28, 71, 72). Digitale Verwaltungsleistungen sollen Standard werden, sodass Daten nur einmal hinterlegt werden müssen („Once-Only“-Prinzip) (S. 77). Künstliche Intelligenz soll Verwaltungsprozesse effizienter machen, insbesondere durch automatisierte Bescheide mit der Möglichkeit zur individuellen Prüfung (S. 27). Ein Bundesdigitalministerium soll die digitale Transformation koordinieren und einheitliche Standards für die IT- Beschaffung der öffentlichen Hand setzen (S. 28).
Standortfaktoren (Innovation & Gründung): Zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts setzt die CDU/CSU auf eine Unternehmenssteuerlast von maximal 25 Prozent sowie den Abbau regulatorischer Hemmnisse (S. 14). Investitionen in Zukunftstechnologien sollen durch steuerliche Anreize gefördert werden (S. 25). Start-ups sollen von einem „Zukunftsfonds“ und einer „ Gründerschutzzone“ profitieren (S. 26, 27). Besondere Unterstützung gibt es für technologiegetriebene Ausgründungen aus der Wissenschaft sowie Frauen in der Unternehmensgründung (S. 26, 36). Die Rahmenbedingungen für Wagniskapital (S. 27) sollen verbessert werden, um private Investitionen zu erleichtern. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur soll parallel zum Verkehrsausbau vorangetrieben werden (S. 28). Ein Fokus liegt auf der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und der Förderung emissionsfreier Lastenfahrzeuge (S. 73).
Bildung & Fachkräftesicherung: Die CDU/CSU will die Berufsorientierung in Schulen verbessern und die duale Ausbildung stärker mit akademischer Bildung verknüpfen (S. 64, 65). Internationale Fachkräfte sollen gezielt angeworben werden. Hierzu soll eine „ Work-and-Stay-Agentur“ Bewerbungsverfahren, Visavergabe und Arbeitsplatzvermittlung bündeln (S. 16). Rentner:innen können bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei dazuverdienen, auch die Hinzuverdienstgrenzen für Witwenrenten sollen angehoben werden (S. 33). Zudem wird eine bessere Kinderbetreuung angestrebt, um mehr Verlässlichkeit für Familien zu gewährleisten (S. 61).
Europa & die Welt: Die CDU/CSU setzt sich für die Vertiefung des Europäischen Binnenmarkts in den Bereichen Digitalisierung, Energie und Forschung ein. Ein „EU-Forechecking“ soll übermäßige Regulierung verhindern (S. 15). Durch ein „Anti-Gold-Plating-Gesetz“ sollen nationale Vorschriften nicht über EU-Vorgaben hinausgehen, um unnötige Bürokratie für Unternehmen zu vermeiden (S. 15). Handelsabkommen mit strategischen Partnern sollen ausgebaut werden (S. 18). Zudem wollen CDU/ CSU einen Nationalen Sicherheitsrat mit Sitz im Bundeskanzleramt schaffen, um Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Handels-, Europa- und Entwicklungspolitik miteinander zu vernetzen (S. 5).

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