Manchmal muss man polarisieren und zuspitzen
Zum 70. Geburtstag unterhält sich die Bundesvorsitzende Simone Rechel mit Vorgängerinnen und Vorgängern darüber, was es zu ihrer Zeit bedeutet hat, voranzugehen. Diesmal mit: Dr. Eva Vesterling.
Im Jahr 2010 steckte Deutschland wirtschaftlich ähnlich wie heute in einer schwierigen Lage, und auch wir Wirtschaftsjunioren standen vor der Frage, wie der eigene Verband zukunftssicher aufgestellt werden kann. Es war ein Glücksfall, dass mit Eva Vesterling (geb. Fischer) eine strategisch und visionär denkende Persönlichkeit ins Amt der Bundesvorsitzenden gewählt wurde. So überrascht es nicht, dass Spuren ihrer Arbeit bis heute sichtbar geblieben sind.
Simone: Eva, schön, dass du dir die Zeit für das Gespräch nimmst. Lass uns direkt einsteigen: Du warst 2010 Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren Deutschland. Wie kam es dazu?
Eva: 2010 war ein sehr bewegtes Jahr für mich und für den Verband. Im Jahr zuvor war ich als International Officer Mitglied im Bundesvorstand. Ich besuchte und organisierte sehr viele internationale Gespräche und Konferenzen. Während dieser Zeit trat der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende überraschend zurück. Stefan Kirschsieper, Bundesvorsitzender 2009, fragte mich, ob ich den Vorsitz im kommenden Jahr übernehmen könnte. Die Idee fand ich spannend – ich hatte eine klare Vision, wie wir den Verband weiterentwickeln könnten, und war Feuer und Flamme.
Durch die Wirtschaftsjunioren bin ich erst so richtig in das Unternehmertum hineingewachsen.
Und dann gab es kurze Zeit später überraschend einen Gegenkandidaten. Wie hast du den Wahlkampf erlebt?
Es wurde mit harten Bandagen diskutiert. Der Gegenkandidat und ich tourten durch ganz Deutschland und stellten unsere Ideen vor, was wir mit dem Verband vorhaben. Mir half dabei sehr, dass ich in den Jahren zuvor im Zukunftsforum an der Verbandsstrategie mitgearbeitet hatte. Am Ende konnte ich mich mit einem klaren Ergebnis durchsetzen und wusste, dass jetzt neben Emotionsmanagement noch viel mehr Sacharbeit vor mir lag.
Wie sah die große Strategie für den Verband aus?
Wir entwickelten gemeinsam mit den Kreisen und den Vorständen im Zukunftsforum eine neue Ausrichtung für den Verband. Das Ziel war, herauszuarbeiten, wofür wir Wirtschaftsjunioren stehen. Wir wollten unsere Arbeit mehr bündeln und wegkommen vom großen Projektladen. Mit Christoph Plass hatten wir jemanden im Team, der Strategiearbeit beruflich machte und uns im Prozess unterstützte. Das Ergebnis waren die fünf „strategischen Erfolgspositionen“, fortan Leitfaden und Programm meiner Amtszeit: ehrbares Unternehmertum, Beruf und Familie leben, in Bildung investieren, nationale und internationale Netzwerke knüpfen, ressourcenstark und innovationsbewusst handeln. Diese Säulen gaben Orientierung und bildeten die neue kommunikative Basis. Viele Kreise und Landesverbände richteten ihre Projekte daran aus. Wenn du mich heute um vier Uhr nachts aufweckst und nach den fünf strategischen Erfolgspositionen fragen würdest, könnte ich sie noch immer aufsagen. (lacht)
Mit dem Thema Ressourcenbewusstsein wart ihr früh dran, oder?
Ja, tatsächlich. Nachhaltigkeit hatte damals noch nicht die Bedeutung wie heute. Es ist schön zu sehen, dass wir damit ein bisschen visionär waren.
Was waren die großen Wirtschaftsdebatten während deiner Amtszeit?
Das zentrale Thema war damals die Euro-Krise. Zu Beginn meiner Amtszeit dominerten die hohen Staatsverschuldungen in Ländern wie Griechenland die Medienberichterstattungen. Der Haushalt Griechenlands wurde unter EU-Kontrolle gestellt und den Griechen ein drastisches Sparprogramm aufoktroyiert. Es folgte ein großes Rettungspaket, flankiert von einer Bankenkrise. Die Eurozone stand kurz vor dem Kollaps. Das bewegte natürlich auch die Wirtschaftsjunioren – gerade die Frage, wie Generationengerechtigkeit vor dem Hintergrund hohen Verschuldungen zu wahren sei. Neben diesen Krisenthemen war mir besonders wichtig, Bildung in den Fokus zu rücken – das ist mir bis heute ein persönliches Anliegen.
Warum?
Aus den gleichen Gründen, warum auch du dich für Bildungsthemen engagierst: In Bildung, Aus- und Weiterbildung, liegt die Zukunft unseres Landes. Wir haben einen Bildungsgipfel an der Universität Koblenz abgehalten und präsentierten zur Bundeskonferenz 2010, wie viele Bildungsprojekte auf Kreis- und Bundesebene realisiert wurden. Ungefähr 200.000 Schüler konnten wir binnen eines Jahres erreichen. Ob man das jetzt für viel oder für wenig hält, sei dahingestellt, ich finde diese Leistung im Ehrenamt ist wirklich eine Hausnummer. Mein Herz war immer bei den Kreisen, die sich große Mühe gaben und viele großartige Projekte auf die Beine stellten. Diese ehrenamtliche Arbeit und das Engagement in den Kreisen haben mich sehr bewegt.
In Hinblick auf PISA-Ergebnisse und die Debatten um Schulden gibt es deutliche Parallelen zwischen unseren beiden Amtszeiten.
Ja, wir stehen wieder an einem Scheideweg. Heute haben wir erneut kein Wirtschaftswachstum, die Konjunktur ist eingebrochen, die Unternehmensinsolvenzen steigen. Damals wie heute ist es wichtig, auf Politik einzuwirken und sich strategisch damit auseinanderzusetzen, wie die Zukunft aussehen soll.
Wie lief der Austausch mit der Politik?
Wir waren gut vernetzt und beispielsweise beim Spitzengespräch der Wirtschaft mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geladen, wo ich das Thema Generationengerechtigkeit einbrachte. Wir diskutierten mit Hubertus Heil, Christian Lindner, Olaf Scholz und vielen mehr. Christian Wulff wurde 2010 Bundespräsident – und lud uns ins Schloss Bellevue. Auch die Arbeit in den Kreisen mit den jungen Politikern, die auf dem Weg nach vorne sind, ist so wichtig. Die Jungen von heute, können die Mächtigen von Morgen sein. Die politischen Gespräche gaben zudem sehr viele Anknüpfungspunkte für die Medien.
Wie war die Resonanz der Medien auf die Forderungen der Wirtschaftsjunioren?
Die Medienarbeit war zunächst eine große Herausforderung. Wie erwähnt, wurde intern sehr leidenschaftlich diskutiert. Der Verband war deshalb nicht per se kampagnenfähig – im Sinne von „Die Bundesvorsitzende gibt ein Thema aus und alle gehen mit“. In den Vorjahren kamen Positionen der Wirtschaftsjunioren, trotz guter Pressearbeit, immer weniger vor – auch das war ein Grund für die strategische Neuausrichtung gewesen. Mit Dirk Binding hatte ich einen sehr guten Bundesgeschäftsführer an meiner Seite, der auch bereit war, Themen zuzuspitzen. Wir haben beispielsweise „Geld für gute Schulnoten, um Hartz IV zu durchbrechen“ rausgehauen. Damit sind wir in allen großen Medien gewesen. Manchmal muss man polarisieren und zuspitzen. Danach hörten sie uns zu und wir konnten differenziertere Beiträge platzieren.
Was würdest du als größte Errungenschaft deiner Amtszeit bezeichnen?
Die strategische Neuausrichtung von WJD mit der Entwicklung der strategischen Erfolgspositionen und deren Einführung auf Kreisebene. Für diese Arbeit haben wir beim JCI-Weltkongress in Japan sogar einen Preis für „Outstanding Performance“ gewonnen. Das war ein Moment, auf den wir sehr stolz waren und der auch international ein Zeichen setzte. Wir haben in meinem Jahr auch den Zuschlag für die Europakonferenz in Braunschweig geholt und die Kandidatur für den Weltkongress in Leipzig formal lanciert. Darüber hinaus haben wir 2010 die Vertretung der Interessen junger Unternehmer in der G20 Young Entrepreneurs‘ Alliance (G20 YEA) übernommen. Ich freue mich, dass diese Arbeit weitergeführt wird.
Welche Skills hast du als Bundesvorsitzende entwickelt?
Es ist ein grundlegender Unterschied, ob du Menschen in einer Firma oder ob du sie im Ehrenamt führst. Im Ehrenamt bist du dazu gezwungen, ganz klar zu sagen, was deine Vision ist und wohin du willst. Du musst die Leute begeistern und motivieren, dir zu folgen. Niemand von den ehrenamtlichen Mitgliedern müsste da sitzen. Top down geht eigentlich gar nichts. Zudem sind wir ein Verband von Führungskräften und Unternehmern, was mit einem gewissen Selbstverständnis einhergeht. Dazu kommen politische Gespräche, große Bühnen und auch das Führen von Sitzungen mit dem gesamten juristischen Unterbau. Das alles stellt in der Summe sehr hohe Anforderungen an die eigene Führungsfähigkeit, was meine persönliche Entwicklung vorangebracht hat. Zudem lernte ich, Gegenwind auszuhalten und stehenzubleiben. Wenn man es dann schafft, Projekte umzusetzen und gemeinsam Erfolge erlebt, ist das sehr erfüllend. Am Ende meiner Amtszeit gab ich ein kleines Buch mit verschiedenen Essays zum Thema Führen im Ehrenamt heraus, zu dem Vizekanzler a.D. Franz Müntefering ein Vorwort schrieb – ich habe ihn als WJD-Bundesvorsitzende kennen gelernt.
Was bedeutet der Verband persönlich für dich?
Durch die Wirtschaftsjunioren bin ich erst so richtig in das Unternehmertum hineingewachsen. Ich habe mir ein Netzwerk aufgebaut und ein wichtiges Skill- und Mindset angeeignet. Heute führe ich als Vorstand und Gesellschafter mit meinem Mann zusammen unser Familienunternehmen, die Vesterling Personalberatung für Technologie. Ich bin weiterhin ehrenamtlich in IHK und DIHK aktiv sowie bei DIE FAMILIENUNTERNEHMER in Führungsverantwortung. Die Wirtschaftsjunioren haben mein Leben nachhaltig positiv beeinflusst.
Gibt es rückblickend auch einen Wehmutstropfen?
Vielleicht, dass man nur ein Jahr hat, um wirklich viel zu bewegen. Gerade, wenn man in Fahrt kommt, ist das Jahr auch schon vorbei. Aber das gehört zur Philosophie und zum „One Year To Lead“ der Wirtschaftsjunioren: Möglichst viele junge Menschen sollen die Chance haben, sich in Führungsverantwortung zu beweisen. Das ist auch absolut richtig so.
Wie hast du den Abschied aus dem Amt erlebt?
Das Ende reißt eine Lücke, plötzlich fallen die Verantwortung und der Kontakt zu Medien und politischen Entscheidungsträgern weg. Ich habe mir auferlegt, mich kontrolliert zurückzunehmen und beruflich eine neue Herausforderung zu suchen. Die nachfolgende Person braucht einfach die Freiheit, sich selbst zu erleben und neu zu definieren.
Zum Abschluss: Warum lohnt es sich, sich bei den Wirtschaftsjunioren zu engagieren?
Weil man eine intensive, bereichernde Zeit erleben kann, die einen nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weiterbringt. Der Verband schafft eine Gemeinschaft, in der man wachsen und Verantwortung übernehmen kann. Für mich war es ein Glücksfall.
Vielen Dank für das Gespräch.
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