Nachfolge: Über die Freiheit, Nein zu sagen

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Auf einem Bauernhof mit Milchviehbetrieb aufgewachsen, schien Johanna Speers Weg ins elterliche Unternehmen vorgezeichnet. Doch die Wirtschaftsjuniorin aus dem Kreis Lüneburg – Elbe-Heide-Region entschied sich gegen die klassische Unternehmensnachfolge. Ein Gespräch über den Mut, Erwartungen nicht zu entsprechen, den langen Prozess der Selbst- und Entscheidungsfindung sowie die Erkenntnis, dass Verbundenheit zur Familie keine Frage der Position im Organigramm ist.

Die Nachfolge im Familienunternehmen ist für viele Wirtschaftsjunior:innen mehr als nur ein Karriereschritt. Sie ist oftmals eine für das Fortführen eines Lebenswerks. Doch was, wenn die eigenen Ziele nicht mit dem vorgezeichneten Pfad übereinstimmen? Wirtschaftsjuniorin Johanna Speer hat diese Frage für sich beantwortet. Sie wuchs auf einem Hof südlich von Hamburg auf, den ihre Familie von einem Milchviehbetrieb zu einem innovativen Unternehmen für Tiernahrung mit rund 50 Mitarbeitenden weiterentwickelte. Im Interview erzählt die 35-Jährige, warum sie ihrem großen Freiheitsdrang folgte und wie sie heute als erfolgreiche Freelancerin das Familienunternehmen mit Impulsen von außen bereichert.

Junge Wirtschaft: Johanna, Du bist auf einem Bauernhof groß geworden. Wie sehr war er als Unternehmen Teil Deiner Kindheit?
Unser Familienbetrieb hat eine sehr große Rolle gespielt. Ich habe von klein auf im Melkstand geholfen, Heu in Tüten gestopft und im Haushalt geholfen. Das war alles freiwillig, aber dadurch war ich immer und überall dabei. Am Mittagstisch war Arbeit natürlich auch das Dauerthema. Früher hat meine Mutter noch für die Mitarbeitenden mitgekocht. Die se enge Verbindung ist der Grund, warum ich auch heute noch Lust habe, im Unternehmen mitzuwirken, wenn auch nicht als Nachfolgerin.

Gab es die klare Erwartung Deiner Eltern, dass eines der vier Kinder den Hof übernimmt?
Für mich war eigentlich klar, dass mein Bruder den Betrieb fortführen wird. Aber mein Vater hat immer die Möglichkeit in den Raum gestellt und gesagt: Wenn du Lust hast, kannst du auch mitmachen. Ein direkter Zwang war es nie, aber es bringt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung mit sich. Ich wollte nicht leichtfertig Nein sagen und habe mich intensiv mit der Nachfolgefrage beschäftigt, ebenso meine zwei Schwestern.

Wie lange hat der Übergabeprozess gedauert, bis feststand, wer in die Nachfolge geht. Und wie habt ihr die Phase als Geschwister erlebt?
Als ich 18 wurde, hat mein Vater das Thema erstmals aktiv auf den Tisch gebracht. Spannend war, dass auch meine Schwestern, die schon gute Jobs bei Airbus und Beiersdorf hatten, plötzlich sagten, dass sie es sich auch vorstellen könnten. Ich habe damals nicht damit gerechnet. Es wurde mit der Zeit deutlich, dass mein Bruder super kompetent in der Landwirtschaft ist, ihm aber der wirtschaftliche Background für den herangewachsenen Handelsbetrieb fehlte. Meine älteste Schwester kündigte schließlich ihren Job und stieg ein, meine Eltern blieben in der Geschäftsführung. Aber nach einer Weile merkte meine Schwester, dass Heu nicht ihr Produkt ist. Da stand die Nachfolgefrage wieder im Raum. Es war wirklich ein schwieriger Prozess, der sich über ein Jahrzehnt zog.

Was hast Du beruflich in dieser Zeit gemacht?
Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung bei Tchibo angefangen und ab erste Erfahrungen als Einkäuferin für Lebensmittel gesammelt und anschließend ein Studium in Management und Engineering mit Masterabschluss absolviert. Als nächstes sammelte ich in einer Unternehmensberatung Projektmanagementerfahrung, bis ich eine Reise nach Südamerika antrat.

Wie ging es für Dich weiter – die Nachfolgefrage stand ja weiterhin im Raum…
Ich liebe unser Unternehmen. Aber ich stellte während meiner Auszeit fest, dass ich mehr Freiheit möchte. In der Landwirtschaft arbeitet man, wenn die Sonne scheint – und ich liebe die Sonne. Mir fehlte in unserer Branche die Flexibilität, die ich mir für mich wünschte. Trotzdem stieg ich nach meiner Rückkehr erst einmal ins Familienunternehmen ein als Leitung Qualitäts- und Prozessmanagement und disziplinarische Führung Marketing.

Was war der Auslöser, den Pfad in die Nachfolge nicht weiterzugehen?
Der entscheidende Moment kam in einem Urlaub in Mexiko. Dort habe ich erlebt, wie mein Leben mit Remote- Arbeit aussehen könnte. Als ich dieses Puzzle- Stück für mich gefunden hatte, wusste ich, dass die Selbstständigkeit mein Weg ist. Ich wurde Freelancerin für Content Creation und Social Media Management. Mein Wunsch war, weiterhin in dieser neuen Rolle für die Familie zu arbeiten.

Du arbeitest als externe Dienstleisterin für Deine Familie?
Genau, meine Familie ist auch meine Auftraggeberin. Ich habe mit Social Media angefangen, weil ich fand, dass die Leidenschaft für unser Produkt besser transportiert werden muss. Heute unterstütze ich bei vielen Marketingthemen. Das ist eine tolle Symbiose: Ich kann draußen viele Einblicke sammeln und diese als frische Impulse ins Familienunternehmen tragen. Diese Perspektive von außen hat man ja nicht mehr, wenn man selbst voll im Betrieb steckt.

Wie hast Du Deine Entscheidung damals der Familie mitgeteilt und wie war ihre Reaktion?
Ich hatte schon ein bisschen Angst vor dem Gespräch mit meinem Vater. Er stand mir nie im Weg, aber er tat sich schwerer mit Schritten, die meine Geschwister nicht gemacht haben, wie mein Studium oder die lange Reise. Ich habe zuerst mit meinem Schwager gesprochen, der in der Zwischenzeit mit eingestiegen und nun Geschäftsführer war. Aber da ich dem Unternehmen ja erhalten bleibe und aktiv mitwirke, finden es heute, glaube ich, alle gut, wie es sich entwickelt hat.

Ein historisch gewachsenes Unternehmen aufzuteilen, klingt nach einer enormen Herausforderung. Was waren die größten Knackpunkte?
Es war extrem tricky. Wir hatten immer einen Unternehmensberater an unserer Seite, denn es mussten unzählige Fragen geklärt werden. Es ging um vermeintlich kleine Themen, die aber riesig sind: Der Handelsbetrieb steht auf der Grundstücksfläche des landwirtschaftlichen Betriebs – wird da Miete gezahlt oder eine Fläche herausgelöst? Wie investiert man zukünftig gemeinsam, wenn in der Landwirtschaft immer hohe Summen nötig sind? Es wurden immer wieder verschiedene Szenarien besprochen, um ein Konstrukt zu finden, das allen Geschwistern Sicherheit gibt und die Betriebe funktionsfähig hält. Seit letztem Jahr gibt es nun eine GmbH & Co. KG für den Handelsbetrieb und eine GbR für den landwirtschaftlichen Betrieb, in denen alle meine Geschwister vertraglich verankert sind.

Wenn Du in die Zukunft blickst, was ist Deine Vision?
Ich möchte auf jeden Fall weiter mit meiner Familie zusammenarbeiten, das kann ich mir gar nicht anders vorstellen. Alles, was ich jetzt tue, tue ich ja nicht nur für mich. Ein Teil von dem, was ich verdiene, gebe ich auch wieder an meine Familie weiter, an meine Nichten und Neffen. Das ist meine Art, Verantwortung zu übernehmen. Beruflich will ich den Weg der Workshops und des Mentorings weitergehen, um andere Menschen zu befähigen, das gleiche tun zu können wie ich.

Welchen Rat hast Du für Wirtschaftsjunior: innen, die heute vor einer ähnlichen Entscheidung stehen wie Du damals?

Traut euch, euren eigenen Weg zu gehen, der Rest wird sich zeigen. Diesen Mut aufzubringen, ist das Schwierigste. Aber die Lernkurve ist immens. Zudem rate ich allen, sich in unserem Verband zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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