Wir denken die 4-Tage-Woche neu
Wirtschaftsjuniorin Theresa Kaul, 35 Jahre alt, führt die Schreinerei Kaul in der fränkischen Schweiz in fünfter Generation: mit klaren Werten, Respekt gegenüber der Tradition und großem Mut, Veränderungen zu wagen. Ihr Weg steht für die Zukunft des Handwerks in Deutschland.
Junge Wirtschaft: Liebe Theresa, Eure Schreinerei existiert seit 1902 und dies immer familiengeführt. Welche Rolle spielte das Unternehmen bei Deinem Aufwachsen?
Theresa: Unser Wohnhaus in Weingarts ist nur 600 Meter von der Schreinerei entfernt, und meine zwei Schwestern und ich haben viel Zeit dort verbracht. Einige unserer Mitarbeiter kennen mich länger als ich mich selbst. (lacht) Und das ist auch das Schöne an einem Familienbetrieb. Auch wenn meine Eltern viel arbeiteten, war immer jemand nach der Schule da: Meine Oma hat sich um uns gekümmert. Wir sind dadurch, und das muss man einfach sagen, das ist ein großer Vorteil, sehr früh selbstständig geworden. Beim späteren Bewerbungsprozess als Industriekauffrau bei Siemens habe ich beispielsweise alles deutlich schneller und selbstständiger hingekriegt als manch andere.
Trotz der engen Bildung begann Deine berufliche Reise nicht direkt in der Schreinerei. Warum?
Meine Eltern haben uns komplett freie Hand gelassen bei dem, was wir machen möchten. Ich habe mir damals im Alter von 16 Jahren überlegt, dass Industriekauffrau ganz gut zu mir passen könnte und ich bin dann glücklicherweise zu Siemens gekommen. Sie haben weder bei mir noch bei meinen Schwestern Druck gemacht.
Bei einer so langen traditionsreichen Unternehmensgeschichte überrascht das …
Sie wissen um die Vor- und Nachteile so einer Firma, deshalb versuchten sie nie, uns in irgendeine Richtung zu lenken. Meine große Schwester ist heute im IT-Bereich, meine kleine Schwester hat mit ihrem Studium eine pädagogische Richtung eingeschlagen.
Heute bist Du Schreinermeisterin, Betriebswirtin und seit 2010 Teil des Familienunternehmens. Kannst du dich an den Moment erinnern, als du entschieden hast, ins Unternehmen einzusteigen?
Ich erinnere mich tatsächlich immer ganz gerne an eine konkrete Situation zurück. Die Firma war immer die erste Anlaufstelle, wenn beim Auto beispielsweise der Luftdruck nicht stimmte. In der Schreinerei war sämtliches Werkzeug vorhanden und man konnte alles in Ruhe erledigen, statt extra zur Tankstelle fahren zu müssen. Und genau in so einem Moment, auf dem Weg zur Schreinerei, habe ich mir gedacht, wie cool es wäre, wenn das immer mein Arbeitsweg wäre. Dazu kam der größer werdende Wunsch, sich selbst zu verwirklichen. Das war für mich so ein Schlüsselmoment.
Lieber einmal mehr probieren und dann feststellen, dass es nicht funktioniert, als sich immer zu überlegen, was gewesen wäre, wenn man es doch probiert hätte.“
Wie lange warst Du bei Siemens und warum ging Dein Weg dort nicht weiter?
Ich war insgesamt vier Jahre dort, stellte aber relativ schnell fest, dass dieses Leben oder dieses Arbeiten einfach nicht zu dem passt, was ich gerne machen möchte. Ich konnte mich nicht so einbringen, wie ich es mir gewünscht habe.
Industriekauffrau und Schreinerei passen nicht unbedingt zusammen. Was war Dein konkreter Plan?
Ich habe mir gesagt, dass ich mich im Familienunternehmen nur verwirklichen kann, wenn ich die dazugehörigen Grundausbildungen mache.
Wie war die Reaktion Deiner Eltern?
Sie haben mich in meinem Wunsch unterstützt. Wir kamen zu dem Schluss, dass es am besten ist, wenn ich woanders hingehe, um andere Firmen kennenzulernen. Das ist dann aber holprig verlaufen. Nach nur acht Wochen habe ich meinen ersten Ausbildungsbetrieb verlassen.
Warum der Ausbildungsabbruch?
Der Geselle nahm mich als Frau nicht ernst. Er ist nicht damit zurechtgekommen, dass eine Frau Interesse an dem Beruf hat, anpacken und ihn gut ausüben kann. Dementsprechend behandelte er mich. Ich verlor mein Selbstvertrauen innerhalb von nur acht Wochen komplett. Als ich an einem Punkt war, wo ich nicht mehr konnte, habe ich die Ausbildung von heute auf morgen beendet, ohne zu wissen, wie es weitergeht.
Aber es ging weiter.
Zum Glück fand ich einen Betrieb, in dem ich gut aufgenommen wurde. Diese zweite Chance zeigte mir, wie wichtig gegenseitiger Respekt ist – eine Lektion, die mich bis heute begleitet.
Wie würdest Du Deinen Führungsstil beschreiben?
Ich lege keine große Autorität an den Tag, arbeite gern im Team auf Augenhöhe. Ein Grund dafür ist, dass ein Großteil unserer Angestellten älter ist als ich und größere Erfahrungen mitbringen. Ich sage ganz offen, wenn ich Unterstützung brauche. Alle im Team haben Kompetenzen und Qualitäten und deswegen ist es mir ganz wichtig, nicht cholerisch oder diktatorisch zu führen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Deinem Vater?
Er ist jetzt 66 Jahre alt, noch dreieinhalb Tage die Woche vor Ort. Anfang 2025 möchte er sich vollständig zurückziehen. Ich bin der Meinung, wenn ich die Möglichkeit habe, von jemandem zu lernen, der das 40 Jahre lang gemacht hat, sollte ich diese Möglichkeit auch nutzen. Und er weiß aus eigener Erfahrung, dass ich, die nach ihm kommt, nichts Böses und stattdessen das Ganze weiterführen möchte. Es besteht eine gewisse beidseitige Abhängigkeit. Das ist aber etwas Gutes, nur so kann Unternehmensnachfolge gelingen. Übernahmen funktionieren oft dann nicht, wenn eine Person denkt, sie brauche die andere nicht. Ich kann mir vorstellen, dass das schmerzt.
Es gibt keine Konflikte?
Wir sind uns sehr ähnlich und wollen manchmal mit dem Kopf durch die Wand. Natürlich gibt es öfter mal Reibereien, weil wir unterschiedliche Herangehensweisen und Ansichten haben. Aber nicht nur ich muss dazulernen, auch er. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass er wie mein Opa aus einer anderen Zeit kommt, wo Führung noch sehr hierarchisch war. Das ist ein wichtiger Punkt, den man gerade beim Thema Unternehmensnachfolge und Führungswechsel nicht vergessen darf. Ich binde ihn in meine Entscheidungen ein und springe einfach öfter einmal über meinen Schatten.
Eine Eurer größten Innovationen ist die Einführung der wechselnden Vier-Tage-Woche. Wie kam es dazu?
Die Idee kam ursprünglich von einem langjährigen Mitarbeiter, der wegen seiner Familie und der Landwirtschaft nach mehr Flexibilität suchte. Mein Vater und ich waren skeptisch, ob das im Handwerk überhaupt funktioniert. Nachdem er uns verlassen hatte, haben wir es bereut, es nicht ausprobiert zu haben – und taten es schließlich.
Wie genau sieht euer Modell aus?
Wir haben keine klassische Vier-Tage-Woche, bei der die Arbeitszeit reduziert wird. Stattdessen arbeiten wir eine Woche lang freitags länger und haben dann in der nächsten Woche den Freitag komplett frei. Das gibt unseren Mitarbeitenden mehr Flexibilität, ohne dass die Arbeitszeit oder das Gehalt gekürzt werden. Im Grunde ist eine Arbeitszeitverschiebung.
Wie reagierte das Team auf die Veränderung?
Zunächst waren einige skeptisch, die an den halben Freitag gewöhnt waren, der im Handwerk fest verankert ist. Nach einer Testphase waren aber alle überzeugt, weil die Vorteile überwiegen: längere Wochenenden, mehr Zeit für Familie und private Termine.
Worin siehst du aktuell die größten Herausforderungen in deiner Branche?
Wie überall bereitet auch mir der Fachkräftemangel die größten Bauchschmerzen. Bisher hatten wir sehr viel Glück mit der Facharbeitersuche und dadurch eine gemischte Altersstruktur. Aber wer weiß, wie das in ein paar Jahren aussehen wird, wenn wir durch Renteneintritt oder Krankheit neu besetzen müssen. Unser Beruf ist sehr kräftezehrend. Zudem müssen wir aufpassen, dass Deutschland wirtschaftlich nicht auf die hinteren Ränge gerät. Aber ich bin überzeugt, dass wir nach wie vor im Vergleich zu anderen Ländern eine gute Ausgangslage haben. Wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten, Politik und Wirtschaft, dies zu erhalten.
Gibt es auch Momente des Zweifelns, ob Deine Entscheidung, die Schreinerei zu übernehmen, richtig war?
Grundsätzlich bedeutet die Schreinerei mir sehr viel. Trotzdem frage ich mich manchmal, was nach mir kommt. Ich bin erst seit kurzem verheiratet, mein Mann Michael arbeitet mittlerweile auch in der Schreinerei vorrangig im Verkauf. Bisher haben wir keine Kinder. Es ist respekteinflößend, schon bald allein die Führung zu übernehmen und gleichzeitig die Kinderplanung im Hinterkopf zu haben. Ich selbst kenne kaum andere Unternehmerinnen in einer ähnlichen Situation.
Was waren Deine Beweggründe, 2023 Mitglied bei den Wirtschaftsjunioren zu werden?
Ich bin über eine persönliche Empfehlung dazugekommen. Das vielfältige Angebot überzeugte mich, allen voran die Möglichkeit, mich mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern aus der Region, auch außerhalb des Handwerks, auszutauschen und neuen Input zu bekommen.
Wurden Deine Erwartungen erfüllt?
Ja! Ich lerne über die Wirtschaftsjunioren Menschen aus meiner Region kennen, die ich eigentlich längst kennen müsste. Oft schließt sich bei den Treffen der Kreis. Ich fände es schön, wenn noch mehr Wirtschaftsjunioren mit Handwerkshintergrund hinzukommen. Ich würde auch gern häufiger an Veranstaltungen teilnehmen, oft liegen aber Termine meiner anderen Ehrenämter bei der Freiwilligen Feuerwehr und bei der Handwerkerinnung parallel.
Was würdest du anderen raten, die vor der Entscheidung stehen, ein Familienunternehmen zu übernehmen?
Lieber einmal mehr probieren und dann feststellen, dass es nicht funktioniert, als sich immer zu überlegen, was gewesen wäre, wenn man es doch probiert hätte.
Vielen Dank für das Gespräch.
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