Arbeit und Liebe sind keine Gegensätze

Patricia Cammarata, im Internet auch bekannt als dasnuf, ist von Haus aus Psychologin und eine der bekanntesten deutschen Bloggerinnen. Christina Bräutigam hat mit ihr über Care-Arbeit, Mental Load und die Rolle von Unternehmen gesprochen.
Interview von Christina Bräutigam

© Beltz Verlagsgruppe

Liebe Patricia, was ist Care-Arbeit?

Care-Arbeit ist, wenn man sich um Kinder oder andere Angehörige kümmert. Wir müssen uns von dieser moralischen Konnotation lösen, dass das keine Arbeit sein darf, weil wir es aus Liebe machen. Arbeit und Liebe oder Arbeit und Leidenschaft sind keine Gegensätze, denn meine Erwerbsarbeit mache ich ja auch mit Leidenschaft, Einsatz und Freude. Mein Arbeitgeber würde mir auch nicht das Gehalt streichen, weil mir der Job so viel Spaß macht. Aber leider passiert das oft in Diskussionen, dass die Frage aufkommt, warum sprichst du denn über Sorgearbeit? Das ist doch dein Kind, das du dir gewünscht hast! Ich finde, statt von Arbeit und Familie zu sprechen, können wir einfach Sorgearbeit und Erwerbsarbeit sagen.

Du hast in deinem Buch „Raus aus der Mental Load Falle“ ausführlich über das Konzept des „Mental Load“ gesprochen und den Begriff in Deutschland bekannt gemacht. Könntest du uns kurz erklären, was Mental Load genau bedeutet?

Ich finde es immer gut, so eine gedankliche Brücke zu etwas zu schaffen, was viele schon kennen, und Mental Load kann man sich wie Projektmanagement vorstellen. Nur mit dem großen Unterschied, dass Projektmanagement in der Erwerbswelt ein anerkannter und gut bezahlter Job ist und es auch nicht üblich ist, dass die Projektmanagerin dann auch noch das ganze Projekt oder große Teile davon umsetzt. Wir sprechen hier also von Projektmanagement im Privaten. Diese planerische Arbeit ist unsichtbar. Sie wird oft als selbstverständlich hingenommen und ist mit wenig Wertschätzung verbunden.

Diese Last liegt meistens auf den Schultern der Frauen, genau wie die konkrete Umsetzung dieser Aufgaben. Und zwar unabhängig davon, wie die Erwerbsarbeit in den Partnerschaften verteilt ist. Selbst da, wo die Frauen Alleinverdienerinnen sind, übernehmen sie mehr Sorgearbeit als ihre männlichen Partner.

© Sophie Weise-Meißner

Inwiefern beeinflussen Mental Load und Care-Arbeit die Produktivität und das Wohlbefinden von Berufstätigen aus deiner Erfahrung?

Es ist ein Balancieren der Ressourcen. Das gehört zum Leben und ist eine ganz normale Begleiterscheinung. Aber in dem Moment, in dem die persönlichen Ressourcen nicht mehr mit dem Umfang an Aufgaben zusammenpassen, kann das nach und nach kippen und wird zum Mental Overload. Wann es kippt, ist ganz individuell. Hätte ich nicht drei Kinder bekommen, hätte ich diese Belastungsgrenze vielleicht nie gespürt, weil ich gute Rahmenbedingungen und viele Ressourcen hatte. Aber das macht auch blind für die Problematik. Irgendwann fängt man an, Raubbau an sich selbst zu betreiben. Das zeigt sich zum Beispiel dahin, dass Frauen von stressbedingten Ausfällen viel stärker betroffen sind als Männer und ein viel höheres Burnout-Risiko haben. Was wiederum auch wieder viel mit der mangelnden Wertschätzung zu tun hat.

Hast Du einen Tipp, wie man das verhindern kann? Nein sagen lernen. Das ist eine große Aufgabe, die aber tatsächlich Erleichterung bringt. Dass man eben nicht automatisch zu allem sagt, ja, das mache ich jetzt, das kann ich ja, das liegt mir ja, das mache ich ja auch gerne, das mache ich ja auch aus Liebe. Das ist wie im Flugzeug: Wenn bei einem Notfall die Sauerstoffmasken runterfallen, dann muss man erstmal sich selber versorgen, bevor man dann die Kinder und alle, die es selber nicht können, versorgen kann.

Nicht nur der Fachkräftemangel, auch die Forderungen der Gen Z an den Arbeitsmarkt stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen: Dazu gehört auch der Wunsch an die Arbeitgeber:innen, für die psychische und physische Gesundheit der Arbeitnehmer:innen zu sorgen. Wie können Unternehmen dazu beitragen, echte Vereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit zu ermöglichen, vielleicht auch den Mental Load der Arbeitnehmer:innen zu reduzieren? 

Arbeitgeber:innen können tatsächlich in Prävention investieren. Das bedeutet, wirklich frühzeitig – auch also weit vor der Familiengründung – zu sagen, das haben wir als ein Thema erkannt, das im Laufe des Lebens unserer Mitarbeitenden auf die ein oder andere Art eine Rolle spielen wird. Und dann Beratungs- und Aufklärungsangebote anbieten. Natürlich sind das private Fragen, aber je besser das Private organisiert und besprochen ist, umso mehr haben die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ja auch die Möglichkeit, sich in die Erwerbsarbeit einzubringen. Ja, das ist ein Investment, aber auch ein wirklich nachhaltiges Konzept. Wenn man Paare bestärkt, diese Herausforderungen früh anzusprechen und zu verhandeln, stärkt man damit auch die Frauen, für ihre Interessen einzutreten. Zu sagen: Meine Karriere kann dieselbe Priorität haben wie die meines Partners. Es ist eben nicht die Natur, die vorgibt, dass ich zurücktreten muss. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, was das kostet: Erwerbsarbeit zu reduzieren kostet Lebenseinkommen und einer von beiden zahlt das. Die Frage zu besprechen, wie man das aufteilt. Da herrscht ganz viel Unwissen. Die meisten Frauen wissen mit 28 oder 25 nicht, dass es eine Rentenlücke gibt, die fast 60 Prozent beträgt, und wissen auch nicht, dass auch sie selbst als Hauptverdienerin wahrscheinlich einen Großteil der Sorgearbeit übernehmen werden.

Der andere Hebel ist, für konkrete Familienfreundlichkeit zu sorgen. Wirklich auch die Männer mit in die Verantwortung zu nehmen und zu sagen, das geht nur gemeinsam. Auch und gerade wenn es darum geht, wer wie viel Elternzeit nimmt. Studien zeigen, dass je früher und länger sich Männer einbringen und im Idealfall auch Elternzeit eben nicht nur parallel mit der Partnerin, sondern alleine nehmen, desto nachhaltiger wird dieses Engagement auch in Zukunft sein. Und für die Zeit danach braucht es flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeitmodelle, auch für Führungspositionen. Familienfreundlichkeit bedeutet auch, dass man keine elementar wichtigen Meetings vor zehn und nach 16 Uhr legt. Wichtig finde ich außerdem, die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass es verschiedene Lebensphasen gibt, und dass nicht einzelne Arbeitnehmergruppen gegeneinanderstehen: die Kinderlosen gegen die, die Kinder haben, gegen diejenigen, die Angehörige pflegen. Jeder und jede kümmert sich um Dinge, und das ist den anderen oft gar nicht so klar

© Sophie Weise-Meißner

Patricia Cammarata ist Speakerin, Bestseller-Autorin und Podcasterin. Mit ihrem Blog, Das Nuf Advanced, hat sie schon mehrere Preise gewonnen. Ihr neues Buch, „Musterbruch. Überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung“, erscheint Anfang Februar 2024 bei Beltz.

© Krisztian Müller

Christina Bräutigam von den WJ Schweinfurt arbeitet leidenschaftlich gerne in den Bereichen People & Culture + Marketing & Communication. Mit ihrem Unternehmen optING berät sie zu diesen Themen in Workshops, auf Projektbasis oder im Interim-Management.