Interview: Strukturelle Schwierigkeiten
Liebe Evein, Du bist unter anderem die Antidiskriminierungsbeauftragte der Stadt Heidelberg. Ich könnte mir vorstellen, dass es gerade unter den Unternehmerinnen und Unternehmern viele gibt, die lieber nichts mit Dir zu tun hätten – schließlich kommt eine Antidiskriminierungsbeauftragte immer dann ins Spiel, wenn etwas schief gegangen ist, oder?
Nein, so ist es nicht. Klar haben viele Leute erstmal Angst und denken: Oh je, da wird Diskriminierung gemeldet. Ich habe etwas falsch gemacht. Ich würde es aber andersherum drehen und sagen, dass es total wichtig ist, dass Menschen ihre Rechte wahrnehmen. Und dass sie sich wehren, wenn ihnen Diskriminierung passiert. Hier in Deutschland gibt es das Antidiskriminierungsgesetz. Das bedeutet: Diskriminierung ist nicht erlaubt. Und ich finde es cool, dass es Menschen gibt, die sagen: Hey, ich wehre mich! Oder dass es Unternehmen gibt, in denen Menschen den Mut haben, das anzusprechen – und in denen eine Unternehmenskultur herrscht, wo es dafür ein offenes Ohr gibt.
Sagen wir mal, ich bin ein junger, weißer, heterosexueller Geschäftsführer in Bielefeld. Warum sollte ich mich mit einem Thema wie Rassismus auseinandersetzen?
Erstmal ist es wichtig, darüber Bescheid zu wissen und ein Bewusstsein zu schaffen. Rassismus ist ein strukturelles Phänomen. Das heißt, wir sind alle davon betroffen. Auch der weiße Mann: durch die Privilegien, die er hat. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist total wichtig, um zu verstehen, dass ein weißer Mann nicht einfach normal oder neutral ist, sondern dass auch er eine Positionierung in der Gesellschaft hat – die mit Privilegien einhergeht. Das anzuerkennen, ist oft ein unangenehmes Gefühl. Aber es ist nichts Schlimmes! Mit den Privilegien geht nur eine Verantwortung einher, etwas zu verändern und proaktiv damit umzugehen.
Was kann ich als Unternehmerin oder Unternehmer tun? Auf Diversity setzen?
Tatsächlich gibt es Forschung, die aufzeigt, dass Unternehmen mit divers besetzten Teams erfolgreicher arbeiten. Ich bin damit immer vorsichtig, denn ich finde, man sollte Diversity nicht nur wegen eines Erfolgsversprechens machen. Nach dem Motto: Wir wollen besser werden, also brauchen wir jetzt noch eine Schwarze Person und eine Muslima. Stattdessen sollte es darum gehen, wen man in seinem Unternehmen repräsentiert. Deutschland wird zu einer post-migrantischen Gesellschaft. Zielgruppen werden vielfältiger. Und wenn man das in seinem Unternehmen nicht abbildet, dann holt man gewisse Menschen nicht mehr ab. Dann fehlt es an Wissen, um bestimmte Produkte eine bestimmte Zielgruppe heranzuführen. Gerade in der jüngeren Generation ist der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte sehr hoch. Kaum ein Unternehmen wird es sich in Zukunft leisten können, das zu ignorieren.
Wie kann ich als Privatperson oder als Kollegin sensibler für das Thema Rassismus werden, gerade was Sprache angeht? Ich selbst bin manchmal verunsichert, wie ich jemanden ansprechen oder bezeichnen soll.
Gerade beim Thema Sprache ist es wichtig, sich da fortzubilden und das ernst zu nehmen. Ich kann Dir jetzt hier nicht drei Dinge wie so eine Checkliste nennen, und dann funktioniert das. Man muss dem eben Zeit einräumen. Im Kern geht es darum, Deutungshoheit abzugeben und zu akzeptieren, dass man selbst nicht mehr die Person ist, die entscheidet, wer wie angesprochen werden will. Diese Unsicherheit ist unangenehm. Aber, mal als Beispiel: Menschen, die Rassismus erfahren sind eine sehr heterogene Gruppe. Die wollen nicht alle gleich genannt werden. Im Zweifelsfall muss man nachfragen. Sprache ist ein Prozess, der sich wandelt und der versucht, die Realität abzubilden – und die Realitäten ändern sich.
Du hast das Migration Hub Heidelberg gegründet, bist Autorin beim Rosa Mag und Herausgeberin der Anthologie „Schwarz sein wird großgeschrieben“, bist Koordinatorin der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus. Jetzt bist Du 27 und seit letztem Jahr eben auch Antidiskriminierungsbeauftrage. Warum bist Du vom Aktivismus in die Verwaltung gewechselt, was erhoffst Du Dir?
Beim Aktivismus habe ich gemerkt, dass am Ende des Tages immer das Ziel ist, Strukturen zu verändern. Wenn wir das strukturelle Problem Rassismus wirklich angehen wollen, dann müssen wir in die Strukturen. Hier in Heidelberg ist die erste Struktur, die mich umgibt und die ich aktiv mitgestalten kann, die Stadtverwaltung. Es ist meine Hauptmotivation zu sagen, ich möchte in die Strukturen rein und diese Veränderungen, die von außen an die Strukturen herangetragen werden, von innen umsetzen. Das hat für mich auch mit Verantwortung zu tun, die ich übernehme. Die Institutionen hier in der Stadtverwaltung oder auch im Gemeinderat haben die Aufgabe, die Bürger:innen der Stadt zu repräsentieren. Und die sind super divers. Also muss diese Diversität auch abgebildet werden. Aber natürlich ist es auch herausfordernd für mich, in einer Struktur zu arbeiten, die ich vorher kritisiert habe.
Was würdest Du tun, wenn Du eine Sache an der deutschen Gesellschaft verändern könntest?
(lacht) Das ist eine wahnsinnig schwierige Frage! Aber ich versuche es mal mit zwei Sachen. Als erstes würde ich mir wünsche, dass Menschen akzeptieren, dass Dinge kompliziert sind. Ich höre ständig Wünsche nach einfachen Lösungen, nach schnellen Lösungen. Aber wir arbeiten hier beim Thema Diversität und auch Diskriminierung an strukturellen Phänomenen, die über Jahrhunderte hinweg gewachsen sind. Die sind nicht so einfach! Deshalb wünsche ich mir Akzeptanz dafür, dass es diese einfachen Lösungen nicht gibt und dass man stattdessen darüber diskutieren muss. Demokratisch. Auch, wenn das lange dauert. Und der zweite Wunsch betrifft die Bürokratie. Ich merke, dass ich selbst das sehr unterschätzt habe, wie mächtig Bürokratie und Verwaltung sind. Natürlich wusste ich das theoretisch. Ich habe viel darüber gelesen und Deutschland hat da ja auch eine dunkle Vergangenheit. Mein Wunsch wäre daher, dass mehr Menschen den Weg rein in Verwaltung und Institutionen gehen, um sie zu verändern. Und es ist nicht zu unterschätzen, wie viel Macht darin liegen kann.