In Balance

© Sophia Emmerich

Liebe Leni, die meisten kennen Dich als Teil der Fab Five von ‚Queer Eye Germany‘, wo Du für den Bereich Work-Life-Balance zuständig bist. Aber natürlich machst Du noch mehr. Erzähl uns doch mal ein bisschen über Deine Arbeit.

Gerne! Neben ‚Queer Eye Germany‘ arbeite ich vor allem als Work-Life-Coach: in. Als Speaker:in werde ich oft zu Diversity- Themen eingeladen. Ich spreche viel über Diversity am Arbeitsplatz – gerade bei größeren Unternehmen, die einen Shift machen wollen und es auch queeren Menschen erleichtern möchten, ihren Arbeitsalltag besser zu gestalten und sich wohl und akzeptiert zu fühlen. Um all das geht es auch auf meinem Instagram-Kanal, da zeige ich zum Beispiel kleine Tipps und Hacks für eine gute Work-Life-Balance im Alltag.

Du hast Mode-Design studiert, jetzt bist Du Coach:in – wie kam es dazu, dass Du der Mode den Rücken gekehrt hast?

Das ist eine sehr lange, sehr persönliche Geschichte. Ich habe vor zehn Jahren mein Modedesign-Studium in Berlin abgeschlossen und wollte dann natürlich auch sofort in die Arbeitswelt einsteigen. Leider habe ich dann bei der Jobsuche relativ viele Diskriminierungserfahrungen sammeln müssen und habe dann auch gemerkt: Mir gefällt die Modeindustrie gar nicht. Zum einen wegen der immer größeren Schnelllebigkeit der Trends und Fast Fashion, zum anderen wegen der Art und Weise, wie mit mir als nicht-binärer Transperson umgegangen wurde. Mir sind zum Beispiel sehr intime Fragen gestellt worden bei Bewerbungsgesprächen. Als Konsequenz habe ich mich im Bereich Social Media selbstständig gemacht – und sofort angefangen, sehr viel zu arbeiten. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich allen beweisen muss, dass ich etwas kann. So bin ich dann direkt in einen Burnout gesteuert. Ich habe dann einen Cut gemacht, bin nach Mallorca gezogen und habe die Tools und Methoden entdeckt, die mir selber helfen, eine gute Work-Life-Balance zu leben – und genau die gebe ich jetzt auch weiter.

Mittlerweile lebst Du schon seit ein paar Jahren auf Mallorca – ein Ort, mit dem ich ja auch sehr verbunden bin. Warum dort und wie nimmst Du die Offenheit der Menschen auf Mallorca für queere Identitäten wahr?

Ich habe vorher zehn Jahre in Berlin gelebt und in den letzten zwei Jahren dort habe ich gemerkt, dass ich mich unwohl fühle. Es war mir zu hektisch, zu groß, zu überfüllt. Großstadt war nicht mehr das richtige für mich – dass es dann Mallorca geworden ist, war mehr oder weniger Zufall. Hier auf Mallorca fühle ich mich tatsächlich sehr sicher. Die Leute glotzen nicht so wie in Deutschland. Ich fühle mich auch akzeptierter. Spanien ist sehr tolerant und liberal, wenn es um queere Rechte geht.

Du bezeichnest Dich selbst als nicht-binär. Was bedeutet das für Dich?

Das bedeutet für mich, dass ich mich weder als Mann noch als Frau identifiziere. Ich stelle mir Geschlechteridentität als Spektrum vor, auf dem wir uns alle irgendwo bewegen – und ich verorte mich eben in einem Bereich, der sich nicht eindeutig als männlich oder weiblich definieren lässt. Tatsächlich war ich jahrelang auf der Suche nach meiner Identität. Ich habe auch lange geglaubt, dass ich eine komplette Transition machen werde zur Frau. Auf dem Weg habe ich mich dann aber dagegen entschieden und gemerkt: Dazwischen fühle ich mich eigentlich am wohlsten. Ich glaube, wir Menschen sind viel komplexer und viel diverser, als dass wir in einem binären System beschrieben werden könnten. Ich hoffe, dass ich auch durch meine Präsenz auf Social Media und auch bei „Queer Eye Germany“ Menschen Mut machen kann. Dass ich Menschen zeigen kann, ‚Hey, Ihr seid richtig so wie Ihr seid und müsst Euch nicht in Rollen pressen lassen, die nicht zu Euch passen‘. 

Welchen Einfluss hat Deine queere Identität auf deine Arbeit? 

Die negativen Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit aufgrund meiner queeren Identität gemacht habe, haben mich sehr empathisch gemacht. Meine Empathie ist das wichtigste Tool in meiner Arbeit: Ich kann mich gut in Menschen hineinversetzen und ihnen dadurch passende Lösungsvorschläge an die Hand geben, wie sie ihr Leben in eine bessere Bahn lenken können. 

Deine Biographie und Deine Identität machen Dich zu einer gefragten Expert:in und Gesprächspartner: in zum Thema Diversität. Warum sollten sich Deiner Meinung nach auch Menschen, die keinerlei Berührungspunkte mit queeren Themen haben, trotzdem damit auseinandersetzen? 

Es ist immer wichtig, dass wir unseren Horizont erweitern, sei es Diversity oder auch Rassismus. Ganz oft höre ich zum Beispiel bei Instgram Aussagen wie ‚Warum geht ihr denn noch für queere Rechte auf die Straße, ihr habt doch alle Rechte jetzt“. Was da aber übersehen wird, ist, dass es ja trotzdem noch die Diskriminierung gibt! Sei es unsichtbare Diskriminierung in der Arbeitswelt – dass Leute einfach keinen Job bekommen aufgrund ihrer Queerness – oder Diskriminierung durch verbale oder physische Attacken, die auf der Straße passieren. Ich finde es wichtig, dass Menschen, die nicht von dieser Diskriminierung betroffen sind, sich darüber bewusst werden, dass es diese Probleme trotzdem gibt. 

Hast Du einen Tipp für junge Unternehmerinnen, Unternehmer und Führungskräfte, die einen Schritt Richtung „Mehr Diversity“ machen wollen oder den Umgang mit queeren Identitäten in ihrem Unternehmen verbessern wollen? 

Ein sehr einfacher, aber effektiver Tipp ist, die Nennung der eigenen Pronomen in die Unternehmenskultur zu integrieren. Man kann die eigenen Pronomen bei Videocalls im Namensfeld einfach mit angeben, in der E-Mail-Signatur, auf Visitenkarten. So nimmt man Menschen, die trans sind oder nicht-binär, den Druck, sich immer wieder outen zu müssen. Wenn alle geschlossen ihre Pronomen angeben, ist das ein Support- Net und es gibt auch keine unangenehmen Nachfragen. Eine zweite Sache ist, ein Support- Netzwerk einzuführen. Dass queere Menschen und Allies sich zusammentun und gemeinsam überlegen, was sie für die queere Community innerhalb des Unternehmens verbessern können – aber auch darüber hinaus, was den Umgang mit Kund:innen oder die Produkte angeht, die das Unternehmen anbietet. Und ein letzter Tipp: Es ist super, wenn es im Büro mindestens eine Unisex- Toilette gibt.

Vielen Dank!

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