Gesichter der jungen Wirtschaft: Vanessa Weber
Plötzlich Unternehmerin
Vanessa Weber übernahm mit 22 den Werkzeugbetrieb ihres Vaters. Allen Unkenrufen zum Trotz glückte die Nachfolge. Die Aschaffenburger Unternehmerin ging ihren eigenen Weg und verfünffachte den Umsatz des Familienbetriebs. Heute ist sie Vorbild für andere Unternehmerinnen.
Es ist ein ganz kleiner Satz, der Vanessa Webers Leben verändert. „Willst du die Firma übernehmen?“ Ihr Vater stellt ihr diese Frage aus heiterem Himmel, an einem Abend im Biergarten. Es ist der Sommer 1998 und die junge Frau hat gerade erst ihren 18. Geburtstag gefeiert. Doch Vater Jürgen kann nicht mehr warten. Seine Gesundheit ist zu angeschlagen um seinen Betrieb, einen Werkzeug-handel mit neun Mitarbeitern, weiterzuführen. Er will, dass die Tochter übernimmt. Und die willigt ohne zu zögern ein. „Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, Nein zu sagen“, erinnert sich Weber. Sie weiß nicht, dass der Vater in diesem Moment viele Warnungen in den Wind schlägt. Der Steuerberater etwa hat ihm davon abgeraten, das Geschäft in die Hände der Tochter zu legen. Was ist, wenn sie heiratet oder schlichtweg mit der Aufgabe überfordert ist? Doch die folgenden Jahre sollen zeigen, dass der Vater das Richtige getan hat: Unter der Leitung der Tochter steigt der Umsatz von 1,9 auf 10 Millionen Euro, die Belegschaft wächst von 9 auf 26 Mitarbeiter, der kleine Werkzeughandel avanciert zum Innovationschampion der Branche. Trotz der beeindruckenden Bilanz bleibt Weber bescheiden. „Der Steuerberater lag wohl falsch“, sagt sie leise.
Vorbild-Unternehmerin
Quasi über Nacht zur Chefin – diese Geschichte hat Vanessa Weber bekannt gemacht. Sie tritt in Talkshows auf, hält Vorträge und wurde unlängst vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sogar als Vorbild-Unternehmerin ausgezeichnet. Geld verdient der Familienbetrieb heute vor allem mit Rundum-Dienstleistungen: Werkzeug Weber ist auf komplette Betriebseinrichtungen spezialisiert, bis hin zu Hochregalanlagen und Bürostühlen. In der Kundenliste des Aschaffenburger Unternehmens finden sich bekannte Namen wie Bosch Rexroth, Linde, Audi, Hyundai oder sogar Rolls Royce. Gerade erst hat man für den Senfhersteller Develey ein neues Werk in Erfurt ausgestattet, ein Auftrag im sechsstelligen Eurobereich. „Wir sind bei vielen Herstellern der Lead Supplier für Werkzeug und Betriebseinrichtung“, sagt die Unternehmerin stolz.
Nachfolge geglückt, Marktposition ausgebaut – aus der Rückschau klingt die Geschichte von Vanessa Weber nach einem fast mühelosen Aufstieg. Doch das täuscht. Gerade in der Anfangszeit wird der Unternehmerin nichts geschenkt. Sie muss jeden Tag um Akzeptanz kämpfen, drinnen wie draußen. „Bei vielen Mitarbeitern hatte ich schon als Baby auf dem Schoß gesessen“, erklärt die heute 38-Jährige. Die Mannschaft habe jedoch schnell gesehen, dass sie nicht die Tochter ist, die ein bisschen Business spielt. In der Anfangsphase ist sie morgens die Erste und abends die Letzte im Büro. Ihr Standing bei den Kunden muss sie sich ebenfalls erkämpfen. Manch einer sieht die attraktive Blondine – und verlangt „Kann mich hier nicht ein Mann bedienen?“. Weber geht darüber hinweg, und überzeugt die Zweifel mit Energie und Kompetenz.
Was einem Spaß macht, empfindet man nicht als Last.
Keine Scheu vor sperrigen Themen
Ihre ersten Sporen verdient sich die Tochter des Firmenchefs übrigens mit einem Thema, das viele Leute meiden wie der Teufel das Weihwasser: Sie kümmert sich um die ISO-Zertifizierung des Betriebs. Ohne die droht ein Großkunde keine Aufträge mehr zu geben. Also stürzt sich Weber in die Aufgabe und bewältigt sie, wie sie noch viele bewältigen wird: mithilfe von Networking. „Das Wort gab es damals noch gar nicht“, lacht die Unternehmerin. Doch sie erinnert sich an einen Rat ihres Vaters: Du musst Leute kennen, die dir helfen können. Und so jemanden findet Weber auch für das ISO-Mammutprojekt. Ein befreundeter Berater unterstützt sie bei der Ausarbeitung des nötigen Handbuchs. Bis heute stehen für Weber die persönlichen Netzwerke ganz oben, allen voran die Wirtschaftsjunioren, denen sie mit nur 24 Jahren beitritt.
Doch so sehr ihr die Ratschläge des Vaters auch weiterhelfen: Die Nachfolgerin merkt schnell, dass sie ihren eigenen Weg gehen muss. Sie fühlt sich zum Beispiel unwohl damit, den Führungsstil ihres Mentors einfach zu imitieren. „Ich musste verstehen, dass ich auch anders drauf sein darf.“ Und so entwickelt sie ihre eigene Art, mit den Mitarbeitern umzugehen. Heute präsentiert sich der Be-trieb extrem modern, manche würden das, was in Aschaffenburg passiert, vielleicht sogar „New Work“ nennen. Weber hat flexible Arbeitszeiten eingeführt, einen festen Dress-Code abgeschafft und lässt die Mitarbeiter möglichst viel selbst entscheiden.
Natürlich gelingt der jungen Chefin nicht sofort alles. Sie muss ler-nen, mit schwierigen Situationen klarzukommen. Einmal klaut ein Mitarbeiter 5.000 Euro aus der Kasse, ein anderes Mal macht die Spielsucht eines Außendienstlers Probleme. Und dann entscheidet sich Weber auch noch für das falsche Warenwirtschaftssystem. Es kostet 15.000 Euro, leistet aber nicht, was es soll, sodass die Sache sogar vor Gericht endet. Vater Jürgen hat es wohl schon geahnt und rät der Tochter von dem Anbieter ab. Trotzdem überlässt er ihr die Entscheidung. „Er hat mich Fehler machen lassen, das rechne ich ihm hoch an, denn davon profitiere ich noch heute extrem“, reflektiert die Unternehmerin.
In Karriereratgebern steht häufig, dass man einfach seinen Interes-sen folgen muss, um Erfolg zu haben. Weber beweist das Gegenteil. „Schraubendreher waren nie meine Leidenschaft“, gibt sie offen zu. Und trotzdem hat sie sich mit Geduld ins Werkzeuggeschäft reingefuchst, während ihre Altersgenossinnen Party gemacht oder im Aus-land studiert haben. „Letztlich hätten es auch Schuhe oder Schnitzel sein können“, sagt Weber, „meine Passion ist das Verkaufen – und mit den Kunden etwas voranzubringen“. Sich zusammenzusetzen um die maximal produktive Einrichtung für eine Werkshalle auszuarbeiten, das sei ihr Ding, sagt sie und fügt lächelt hinzu. „Die Auswahl der Farben macht mir auch Spaß, da bin ich ganz Frau.“
Mittlerweile ist Weber längst mehr als die Geschäftsführerin eines mittelständischen Betriebs. Das wird mit einem Blick auf ihre persönliche Website (vanessa-weber.de) deutlich: Sie hält Vorträge an Schulen, um das Image des Unternehmers zu verbessern, ist als Mentor für andere Gründer tätig, engagiert sich für die Initiative Plant-for-the-Planet, die weltweit Bäume pflanzt. Ist der Unternehmeralltag nicht schon stressig genug? Weber winkt ab. „Was einem Spaß macht, empfindet man nicht als Last.“ Und daran TV-Crews zu empfangen und auf der Bühne zu stehen, habe sie sich ebenfalls gewöhnt. „Irgendwann ist das wie Zähneputzen.“
Doch sie kennt auch ihre Grenzen. „Manchmal braucht es jemanden, der die Zügel etwas straffer hält. Das ist nicht meine Stärke.“ Genau deshalb hat sie vor Kurzem einen Vertriebsleiter eingestellt. Weber will sich in Zukunft stärker aus dem Tagesgeschäft zurück-ziehen und darauf konzentrieren, das Unternehmen auf Zukunftskurs zu bringen. Weg vom reinen Handel mit seiner gnadenlosen Preiskonkurrenz. „Wir wollen uns weiter in Richtung Dienstleistung und beratungsintensive Produkte entwickeln“, so Weber. Auf diesem Weg bringt sie das Unternehmen Stück für Stück weiter. Kürzlich zum Beispiel hat sie einen Händler von Zerspanungswerkzeugen zugekauft, um diese hochindividuellen Produkte ebenfalls anbieten zu können, geplant ist außerdem eine Kooperation mit einem Schweißfachhändler. Angesichts der vielen neuen Leistungen über-legt man sich in Aschaffenburg sogar, das „Werkzeug“ aus dem Firmennamen zu entfernen. Zu eng, zu klein, nicht mehr passend zur neuen Strategie. Doch Weber tut sich sichtlich schwer mit der Entscheidung. „Wir werden lieber unter- als überschätzt.“ Und da wäre sie wieder, die Bescheidenheit.
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