Ein bisschen Rabatz machen
Florian Fabricius ist seit November 2023 Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. Simone hat den 18-Jährigen getroffen und mit ihm über Wirtschaft in der Schule, Motivation für das Ehrenamt und Frontalunterricht gesprochen.
Lieber Florian, Du bist seit Ende letzten Jahres Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und somit die Stimme von 8 Millionen Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Was genau ist Deine Aufgabe?
Genau genommen bin ich die Stimme der Landesschülervertreter:innen. Da Bildung ja Ländersache ist, gibt es keinen Bundesschülersprecher, sondern eben einen Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. In der Bundesschülerkonferenz treffen sich die Schülervertreter: innen der Länder und vernetzen sich. Eine meiner beiden Aufgaben ist es, intern die Bundesschülerkonferenz zu leiten und anzuführen, die Vernetzung herzustellen. Ich sorge dafür, dass Tagungen laufen und Kooperationen entstehen. Nach außen hin habe ich die Aufgabe, die Bundesschülerkonferenz in bildungspolitischen Themen zu vertreten. Da bin ich zum Beispiel im Gespräch mit der Kultusministerkonferenz und vertrete dort die Interessen der Schülerinnen und Schüler. Außerdem bin ich Ansprechpartner für die Medien.
Du musstest einen langen Weg gehen, um in dieses Amt zu gelangen – neben der Schule. Was treibt Dich an?
Das ist bei mir, wie bei vielen anderen Schülervertretungen, die traurige Motivation, dass man sieht, was alles schiefläuft. Die Liste der Probleme in unserem Bildungssystem ist so lang, das kann ich gar nicht alles aufzählen. Und es ist auch die Frustration darüber, wie versucht wird, die Probleme zu lösen. Da wird nämlich über Schülerinnen und Schüler geredet und nicht mit ihnen. Ich glaube, man kann Schule nur reformieren, und das Bildungssystem auch nur aus dieser Krise holen, wenn man wirklich alle mit an Bord nimmt.
Was sind denn Deine Top-Themen, die Du angehen willst?
Ein riesiges Thema für mich ist die mentale Gesundheit von Schüler:innen. Das ist mein Herzensanliegen geworden, weil ich ganz oft erlebe, dass dieses Thema entweder gar nicht angesprochen wird oder stark stigmatisiert wird. Jedes Mal, wenn ich in einem Interview sage, dass das ein Problem ist, finden sich da schnell 300 Kommentare darunter mit dem Tenor: ‚Ihr seid die Generation Schneeflöckchen. Wir haben das damals auch alles geschafft. Jetzt reiß dich doch mal zusammen, ihr seid so verweichlicht.‘ Das ist ein Thema, von dem ich glaube, dass wir als Schülervertreter einen großen Beitrag leisten können. Andere wichtige Themen sind Digitalisierung, Lehrkräftebildung, aber auch BAföG und soziale Gerechtigkeit. Die Liste ist lang und es gibt viel zu tun!
Wirtschaft hast Du jetzt nicht genannt.
Das stimmt, aber es ist auch ein wichtiges Thema für uns. Ich würde das aber gar nicht auf Wirtschaft beschränken, sondern das unter dem Begriff ‚Lebensnahe Bildung‘ zusammenfassen: Letztes Jahr hat eine Studie ergeben, dass sich ungefähr 70 Prozent der Schüler durch die Schule nicht aufs Leben vorbereitet fühlen. Und das bezieht sich nicht nur auf wirtschaftliche Bildung, sondern auch auf finanzielle Bildung, auf berufliche Bildung, auf Medienbildung. Da ist unsere Forderung, die Bildung ein bisschen lebensnaher zu machen. Es bringt uns Schüler:innen relativ wenig, ein Gedicht in vier Sprachen analysieren zu können, aber nicht zu wissen, wie wir uns auf einen Job bewerben. Das ist ja auch eine Motivationsfrage: Ein Schüler ist viel motivierter in der Schule, wenn er weiß, dass das, was er gerade lernt, ihm am Ende des Tages auch richtig weiterhilft. Die große Frage ist natürlich: Wie schafft man es, solche zusätzlichen Inhalte in einem eh schon viel zu vollgestopften Lehrplan unterzubringen? Es gibt diese Tendenz, von den Schulen zu verlangen, alles aufzufangen. Für jedes gesellschaftliche Problem soll dann ein Schulfach geschaffen werden. Hinzu kommen die Interessensvertreter: Die Philosophielehrer möchten mehr Philosophieunterricht, die Geologen finden, wir brauchen mehr Erdkundeunterricht und der Verband der Astronomen fordert Astronomieunterricht. Jeder ist überzeugt, dass sein Fach das allerwichtigste ist. Die Herausforderung ist es, wegzukommen von diesem Konkurrenzdenken: ein Fach gegen das andere. Und hinzukommen zu einem ganzheitlichen Bildungssystem, wo zum Beispiel Wirtschaftsunterricht Platz findet, ohne gegen andere Themen ausgespielt werden zu müssen. Wir müssen da fächerübergreifender und projektorientierter denken.
Viele Juniorinnen und Junioren haben noch den klassischen Frontalunterricht ‚genossen‘. Hat sich das geändert oder haben die traditionellen Vermittlungsformate noch die Oberhand?
Wir haben das Gefühl, dass an sehr vielen Schulen immer noch so unterrichtet wird wie vor 50 Jahren. Also viel Frontalunterricht – das ist ja das Sinnbild für altmodischen Unterricht. Aber auch das starre Festhalten an 45-Minuten- Einheiten, daran wird nicht gerüttelt. Da fehlt die Innovationsbereitschaft. Klar gibt es immer wieder einzelne Lehrkräfte, die versuchen, den Rahmen zu sprengen. Aber grundsätzlich haben wir ein Schulsystem, das sehr innovationsresistent ist. Aus der Wissenschaft gäbe es da durchaus Impulse, aber die finden im Schulalltag keine Anwendung.
Wie behaltet Ihr in der Bundesschülerkonferenz die Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland im Blick? Wie vielfältig seid Ihr da auch in Euren Gremien aufgestellt?
Dieses Thema treibt uns sehr um. Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass diejenigen, die sich diesen Luxus des Ehrenamts erlauben können, eher aus privilegierten Verhältnissen kommen. Da gibt es große Defizite, was die Vielfalt angeht, bei Faktoren wie Migrationsgeschichte, sozialer Herkunft, auch Geschlecht. Da stellt sich natürlich die Frage nach der Repräsentativität, weil wir ja alle Schüler gleichermaßen vertreten. Andererseits nervt mich dieser Vorwurf der mangelnden Repräsentativität, denn diese Probleme gibt es eigentlich in jedem demokratisch legitimierten Gremium – auch im Bundestag. Ich würde nicht sagen, dass es uns in unserer Arbeit einschränkt, nicht komplett repräsentativ aufgestellt zu sein. Dennoch ist es ein Thema, das mich jetzt auch in meiner Amtszeit beschäftigt: Wie motivieren wir unterrepräsentierte Gruppen, sich zu engagieren? Und wie schaffen wir es, aus unserem Elfenbeinturm in Berlin herauszukommen, aus dieser bildungspolitischen Blase, und dahin zu gehen, wo die Schüler:innen wirklich sind und zu den Themen, die sie wirklich bewegen? Basisarbeit ist superwichtig.
Strebst Du denn eine politische Karriere an?
Ich sage jetzt nicht, dass ich unbedingt in die Politik gehen will. Aber man hat schon ein bisschen Blut geleckt, wenn man erstmal drin ist in der politischen Welt, und das so ganz nah erlebt. Das macht Lust auf mehr. Was ist das Wichtigste, das Du jetzt in Deiner Zeit als Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz gelernt hast – oder vielleicht auch schon vorher als Schülersprecher? Dass man als Schülervertreter auch den Mut haben muss, mal auf dem Tisch zu hauen. Ich habe das Gefühl, man neigt dazu, sich so ein bisschen zu fügen, wenn man zu politischen Terminen und schicken Sektempfängen eingeladen wird – zumindest geht es mir manchmal so. Dann muss man im Kopf behalten, dass man da ist, um Schüler:innen zu vertreten und das auch laut und deutlich tun. Diesen Kompass muss man im Kopf behalten. Man ist nicht Schoßhündchen der Politik, sondern man ist dafür da, auch mal ein bisschen Rabatz zu machen.
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