Lernen als die wichtigste Superkompetenz im 21. Jahrhundert

Von alten Mythen zu neuen Methoden. Wir brauchen effektive Lernstrategien für eine Welt, die niemals stillsteht.

„Stellt Euch vor, die Zukunft wird richtig gut und Ihr seid schuld daran.“ Mit dieser Reflexionsaufgabe an meine Studierenden beginne ich jedes Semester. Warum diese Aufgabe?

  • Erstens, weil Zuversicht in diesen Tagen ein hohes Gut und ein positives Gefühl ist, das wir nicht geschenkt bekommen, sondern das wir uns proaktiv erarbeiten müssen.
  • Zweitens, weil ich möchte, dass meine Studierenden sich als Gestalter einer lebenswerten Zukunft begreifen, nicht als ohnmächtige Co-Piloten.
  • Drittens, weil es sinnvoll ist, das „Warum?“ zu kennen, wenn Lernprozesse gelingen sollen.

Als Professorin ist es nicht nur mein Anspruch, mein Fachgebiet – also wie künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt verändert – zu lehren, sondern meine Studierenden dabei zu unterstützen, das „Lernen zu lernen“. Angesichts von Multikrisen und Technologiesprüngen stellt die Fähigkeit zu lernen die grundlegendste Superkompetenz unserer Zeit dar. Während die Halbwertszeit von Technologiewissen derzeit bei lediglich drei Jahren liegt, behält die Fähigkeit, zu lernen, ihren Wert; auch wenn Lernfähigkeit wie alle anderen Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickelt werden muss. Daher ist dieser Beitrag der Frage gewidmet, wie wir besser lernen können.

Weit verbreitete Mythen über das Lernen

Fangen wir zunächst einmal mit weit verbreiteten Mythen über das Lernen an, die in vielen Köpfen verankert sind:

1. Mythos Nr. 1:
Lernen hat eine natürliche Altersgrenze. Ab einem bestimmten Alter fühlen viele Menschen sich zu alt, noch mal mit etwas neu zu beginnen. Fakt aber ist: Unsere Gehirne sind neuroplastisch, das heißt, sie sind ein Leben lang veränderbar und grundsätzlich fähig, Neues zu erlernen. Je mehr regelmäßige Veränderung und Lernprozesse unser Gehirn bewältigt, desto mehr trainieren wir diese Neuroplastizität.

2. Mythos Nr. 2:
Überforderung ist etwas Schlechtes, was wir vermeiden sollten. Fakt ist: Der Zustand der „leichten Überforderung“ im Arbeitsalltag ist die produktivste Lernform. Während unser Gehirn im Zustand der „totalen Überforderung“ mit Stresshormonen geflutet wird und wir ebenso wenig lernen wie in der persönlichen Komfortzone, führt der Zustand der „leichten Überforderung“ zu einem „ Stretching“ der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns. Der Zustand der „leichten Überforderung“ ist also für Lernprozesse etwas sehr Positives.

3. Mythos Nr. 3:
Die Verantwortung für gelingende Lernprozesse tragen Bildungssystem und Arbeitgeber. Fakt ist: Ohne ein hohes Maß an Eigenverantwortung der Lernenden selbst können Lernprozesse nicht gelingen. Vielmehr ist Lernen immer eine geteilte Verantwortung, beide Seiten müssen investieren.

4. Mythos Nr. 4:
Lernen findet hauptsächlich im Seminarraum statt. Fakt ist: Lernprozesse können überall stattfinden. Bewährt hat sich folgende Daumenregel, um lebenslanges Lernen tatsächlich in die Umsetzung zu bringen: 70 Prozent des Lernens findet „on the job“ – also in der konkreten Aufgabenbewältigung statt. 20 Prozent durch den sozialen Austausch mit anderen Menschen. Und lediglich rund 10 Prozent des Lernens findet tatsächlich im Rahmen von „ off-the-job“-Weiterbildungsformaten im Seminarraum statt.

5. Mythos Nr. 5:
Lernen ist teuer. Und Zugang zu Digitalkompetenz ist einer privilegierten Zielgruppe vorbehalten. Fakt aber ist: Es gibt inzwischen viele und auch sehr gute virtuelle Weiterbildungsformate zu Digitalkompetenzen, die kostenfrei von Bildungsanbietern und Unternehmen ins Internet gestellt und laufend aktualisiert werden.

Wir müssen uns selbstreflektiert fragen, inwieweit wir uns persönlich von dem ein oder anderen Mythos über das Lernen leiten lassen, um dann Wege zu wählen, wie wir besser und kontinuierlicher Lernen können.

Tipps, wie Lernen im Alltag besser gelingt

Lernen muss zum täglichen Ritual werden, so selbstverständlich wie tägliches Zähneputzen. Es darf nicht von der Agenda fallen, nur weil wir alle so beschäftigt sind. Wie gehe ich persönlich vor?

  1. Ich liebe es, mich mit Menschen zu umgeben, die erfahrener, klüger oder andersdenkend sind als ich; jedes Gespräch mit solchen Menschen ist eine Quelle der Inspiration.
  2. Ich „lese“ Sachbücher effizienter, indem ich die App „ Blinkist“ und das Leistungsspektrum von „GetAbstract“ intensiv nutze, beides Anbieter, die mit Zusammenfassungen von Sachbüchern arbeiten.
  3. Ich parallelisiere bestimmte Tätigkeiten: Beim Reisen oder Sport höre ich Technologie-Podcasts.
  4. Ich nutze adaptive Lernformate auf Basis von künstlicher Intelligenz, bei denen sich der Lernpfad an mich und mein individuelles Leistungsniveau anpasst.
  5. Ich begreife „Lernen“ als integralen Bestandteil meines Aufgabenportfolios: In meinem Kalender sind jede Woche mehrere Stunden dem Lernen gewidmet – in unterschiedlichen Formaten (siehe 70-20-10-Daumenregel).

Fazit: Jede Intelligenz die besser werden will, muss wachsen

Wir leben in einer Zeit intensiver und kontinuierlicher Anforderungsveränderungen. Die steigende Leistungssteigerung von künstlicher Intelligenz bietet uns große Chancen, fordert uns aber auch heraus, unsere menschliche Intelligenz stetig weiterzuentwickeln, um unsere nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit zu sichern. Unsere menschliche Intelligenz muss ebenfalls wachsen, sonst hinken wir den Entwicklungen der künstlichen Intelligenz hinterher. Lebenslanges Lernen ist keine Kür, es ist absolute Pflicht für uns alle geworden. Eine Pflicht, die durchaus Spaß machen kann, wenn wir für uns die passende Herangehensweise wählen.

© Charlotte Starup

Prof. Dr. Yasmin Weiß lehrt und forscht seit 2011 an der TU Nürnberg und untersucht die Arbeitswelt der Zukunft und die wichtigsten Future Skills im Kontext künstlerischer Intelligenz. Sie ist Gründerin des Start-Ups Yoloa und mehrfache Aufsichtsrätin. Von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde sie in den Innovationssteuerkreis der Bundesregierung berufen und gehörte mehrere Jahre dem Außenwirtschaftsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums an. Das Wirtschaftsmagazin Capital wählte Yasmin Weiß zu den TOP 40 unter 40 in Deutschland in Wissenschaft und Gesellschaft. Im Jahr 2022 erschien ihr Buch „Weltbeste Bildung. Wie wir unsere digitale Zukunft sichern“.

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