Umdenken, Mittelstand!
Wie innovativ ist der deutsche Mittelstand? „Der Mittelstand neigt zur Prozessinnovation“, sagt Wolf Goertz, Ressortinhaber Unternehmertum im Bundesvorstand 2019. „Darin ist Deutschland gut: Prozesse erstklassig weiterzuentwickeln, bis sie auf einem Top-Level sind.“ Diese Prozessinnovation führt zwar zur vielgerühmten deutschen Effizienz, doch sie bringt keine Disruption hervor. Eher im Gegenteil: „Disruptive Innovation kommt dann gar nicht zum Vorschein.“ Man stelle sich eine Schlachterei vor. Dort werden sehr viele Tiere sehr effizient geschlachtet, das Unternehmen verdient viel Geld – und denkt vielleicht: Unser Geschäftsmodell ist unerschütterlich. Doch dann gerät das Fleischessen in Verruf und alle schreien plötzlich nach Alternativen. Und auf einmal kommt ein Start-up um die Ecke, das Fleisch im Reagenzglas entwickelt, und alle reißen es ihnen aus den Händen. Ein weiterer Vorteil für die Innovation: Wesentlicher weniger Aufwand in der Supply Chain, viel mehr Wertschöpfung auf Seiten des Unternehmens.
Warum Disruption nicht von innen kommt
„Generell möchte kein Unternehmen in seine eigene Kannibalisierung investieren“, sagt Wolf. Doch wenn das Unternehmen es selbst nicht tut, dann tut es im Zweifelsfall jemand anders. Wäre es für die Schlachterei nicht sehr viel besser, sie hätten an der Entwicklung des Laborfleisches mitgewirkt und könnten jetzt selbst von dem Trend profitieren? Hätten sich vielleicht sogar durch eine solche Investition zukunftsfähig aufgestellt? Die Antwort ist: ja, aber. „Die Situation in Deutschland ist die, dass wir eben nicht genügend neue, disruptive Geschäftsmodelle hervorbringen. Zudem kranken wir unglaublich an Bürokratie, was den Standort Deutschland als solchen in Gefahr bringt“, sagt Wolf. „Banken, Software-Firmen, Mittelstand: alle haben extrem hohe Kosten zu tragen durch Steuern und völlig verrückte bürokratische Prozesse. Wie soll Deutschland da mit einem Standort in Fernost mithalten?“ Es ist ein düsteres Bild, das sich da abzeichnet: keine Innovation, keine Perspektive.
Muss der Mittelstand und mit ihm der ganze Wirtschaftsstandort Deutschland gerettet werden? Die deutsche Politik handelt nicht im Sinne der mittelständischen Wirtschaft, meint Wolf. Statt Innovationen zu fördern, wird wider besseres Wissen auf das falsche Pferd gesetzt – wie bei der Elektromobilität. Steuern werden erhöht, ohne die Folgen zu bedenken. „Wird die Mehrwertsteuer etwa auf Fleisch erhöht, kann das für einen Kleinbauern – der ja auch schon mehrere Tausend Schweine hält – das Aus bedeuten. Und solche Fehler lassen sich nicht wiedergutmachen. Das System ist irreparabel“. Hinzu kommt: Gelder wie Strafen und Steuern werden nicht reinvestiert, kommen nicht wieder bei den Unternehmen an. Dabei bräuchte es dringend staatliche Förderungen für Innovationen und Nachhaltigkeit.
Finanzierung dringend gesucht
Wenn Deutschland zukunftsfähig werden möchte, muss dringend in Start-ups investiert werden, denn dort entstehen die disruptiven Ideen. Start-ups haben viel weniger Zwänge als mittelständische Unternehmen: weniger Verantwortung für Mitarbeiter, für Standorte. Sie fangen auf der grünen Wiese an und können Dinge ausprobieren –ob sie Erfolg haben oder scheitern, stellt sich im weiteren Prozess heraus. „Aus Start-ups kann aber nur ein neuer Mittelstand werden, wenn genug Finanzierung da ist“, erläutert Wolf die Situation. „Langsam wachsen kann man heute nicht mehr. Start-ups müssen innerhalb kurzer Zeit massiv gut funktionieren. Das geht in Deutschland nur über Investoren- oder Eigenkapital. Kredite funktionieren nicht. Das Kapital muss aber irgendwo herkommen und dafür gibt es in Deutschland kaum Fonds.“ Ergo: Start-ups sind in Deutschland im Vergleich zu anderen Standorten benachteiligt. Dabei sieht Wolf vor allem die Family Offices in der Pflicht, ihr Verhalten zu hinterfragen. Momentan legen die Familienunternehmen ihr Geld nämlich vor allem in internationalen Fonds an. Das Geld kommt auf Umwegen oft Innovationsvorhaben und Start-ups im Ausland zu Gute – die dann wiederum mit ihren disruptiven Modellen den deutschen Mittelstand bedrohen. Die Lösung wäre dabei ganz einfach, findet Wolf: „Die Mittelständler müssten umdenken und begreifen, dass sie mit den jungen Gründerinnen und Gründern aus Deutschland im selben Boot sitzen. Beide Seiten könnten voneinander profitieren, der Standort wäre gestärkt!“
Mittelständler müssen neu denken. Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich für neue Ideen von außen zu öffnen. Und Wissen auch weiterzugeben.
Wege zur Innovation
Eins ist klar: Disruptive Innovation kommt immer von außen in den Mittelstand. Es gibt sie zwar nicht in Dosen zu kaufen, aber es gibt Wege, die man als mittelständischer Unternehmer bestreiten kann. Das Ziel ist immer, dass Mittelständler und Start-ups zusammenfinden, dass Ideen verfolgt und Produkte entwickelt und erprobt werden. Ob durch Acceleratoren, Incubatoren oder Innovationslabore: Wenn Mittelstand und Gründerinnen und Gründer Hand in Hand gehen, kommt die Innovation in den Mittelstand und die Förderung ins Start- up. Dafür müssen die Mittelständler früh in das Start-up investieren, im Idealfall nach der Seed-Phase und die Start-ups müssen bereit sein, mehr Anteile abzugeben.In vielen Städten sind bereits Initiativen aus dem Mittelstand entstanden, die diese Entwicklung fördern. In Osnabrück etwa das Seedhouse, wo sich 28 Mittelständler zusammengetan und einen Accelerator gegründet haben. „Der Mittelstand muss lernen, mit anderen zusammenzuarbeiten. Nicht herabzuschauen auf die Gründerinnen und Gründer. Den Standort Deutschland können sie nur gemeinsam stärken.“ Für Wolf ist die wichtigste Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit die Denkweise in den Unternehmen: „Mittelständler müssen neu denken. Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich für neue Ideen von außen zu öffnen. Und Wissen auch weiterzugeben.“