Einfach mal machen
Timea Neumann und Martin Runge sind Projektbotschafter im Projekt „Jugend stärken: Zukunft gestalten“. Mit den beiden haben wir über Ausbildungschancen und mutige Jugendliche gesprochen.
Timea, Martin, Ihr seid seit 2018 Projektbotschafter von „Jugend stärken“ – damals noch „1000 Chancen“, jetzt „Zukunft gestalten“. Erzählt doch mal, wie Ihr dazu gekommen seid.
Martin: Ich bin seit dem 29. Januar 2018 dabei – ich habe damals in einem Newsletter gelesen, dass diese Rolle geschaffen wird und dass Leute gesucht werden, die Projektbotschafter werden wollen. Es war eigentlich gar nicht klar, wie diese Rolle ausgestaltet werden soll, aber ich bin ganz mutig vorgeprescht und hab gesagt: Das würde mich interessieren! Also habe ich am nächsten Tag eine Bewerbung per Mail rausgeschickt. Drei oder vier Wochen später kam die Antwort: Du bist Projektbotschafter! Bei der FrühKo habe ich dann die anderen Projektbotschafter erstmal kennengelernt und gemeinsam haben wir herausgefunden, was „Projektbotschafter“ für uns und die Kreise überhaupt bedeutet. Und es macht bis heute so viel Spaß, dass ich auch gar nicht aufhören will.
Timea: Ich habe damals die Ausschreibung auch gelesen, allerdings auf Facebook, und habe dann überlegt: Kann ich die Anforderungen erfüllen? Damals war ich auch noch nicht so lange dabei. Also habe ich mich schlussendlich nicht beworben. Aber bei der ersten Tour 2018 habe ich dann mitgemacht: Als Inhaberin des BildungsRessorts in Stuttgart habe ich ein TourEvent organisiert. Kurz danach hat mich Bernd Ruffing angerufen und gefragt, ob ich Projektbotschafterin werden möchte.
Könnt Ihr kurz was zu Eurem beruflichen Hintergrund erzählen?
Timea: Beruflich bin ich im Sanierungs-Arbeitsrecht. Da geht es darum, Unternehmen zu restrukturieren, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Ich bin auch Ausbilderin und Prüferin bei der IHK.
Martin: Ich bin selbstständig, habe eine IT-Firma die Software-Lösungen 01/2020 15 Im Blick für Zusammenarbeit in Teams und die Digitalisierung von Prozessen anbietet. Ausbilder bin ich auch, war auch früher in der Jugendhilfe aktiv, auch bei den Pfadfindern: Das Thema berufliche Bildung und Begleitung von Jugendlichen ist für mich schon sehr, sehr lange präsent.
Aus Eurer Erfahrung als Projektbotschafter: Was braucht es, damit aus einer Chance ein Erfolg wird?
Martin: Viele Jugendliche sehen ihr Potenzial gar nicht. Wir haben auf einer 1000-Chancen-Tour bei einem Tour-Stop in Bremen einen Bewerbungsmappencheck gemacht. Da kam eine Jugendliche zu uns, die durch Zufall und auf Nachfrage erzählte, dass sie mal fünf Wochen als Au-Pair in den USA gejobbt hat, bei einer Familie, die gar kein Deutsch sprach. Das stand aber nicht in ihrer Mappe, weil sie dachte, das sei nicht relevant. Aber wenn man als 16-Jährige fünf Wochen in einer fremdsprachigen Umgebung klarkommt, dass man sich das überhaupt traut, das ist doch was Besonderes! Das war ihr gar nicht klar. In der Mappe war dann noch eine Urkunde von „Jugend debattiert“, die wollte sie noch schnell rausfischen, als sie uns die Mappe gegeben hat – weil die Lehrerin vorher gemeint hatte: „Tu das nicht rein, das tut nichts zur Sache für die Ausbildung, die du anstrebst.“ Aber das ist doch toll, wenn jemand solche Sachen in seiner Freizeit macht! Diese Jugendliche hat schlussendlich ein Vorstellungsgespräch in ihrem Wunschunternehmen bekommen – auch weil einer der anwesenden Junioren einen Kontakt dorthin hatte. Zusammenfassend würde ich sagen: Erfolg braucht Mut, guten Rat und oft genug auch glückliche Zufälle.
Timea: Dazu gehört es vor allem, die Chance zu ergreifen. Wir haben vor einiger Zeit ein Bewerbungstraining gemacht an einer Schule, an der viele Schüler eine Schulabbrecher-Biografie haben – die sich zwar entschlossen haben, jetzt doch einen Abschluss zu machen, aber deren Lebenslauf nicht mehr gut aussieht. Einer der Schüler, mit denen ich das Training gemacht habe, hat hinterher zu seinem Betreuer gesagt: „Frau Neumann hat gesagt, das war gut. Ich würde jetzt gerne eine Bewerbung schreiben.“ Zwei Monate später hatte er einen Ausbildungsplatz. Das ist quasi eine Steigerung von 100 Prozent, denn diese Jugendlichen machen nach dem Abschluss in der Regel keine Ausbildung.
Für welchen Schritt auf dem Weg zum Erfolg brauchen die Jugendlichen aus Eurer Sicht am meisten Mut?
Timea: Für den ersten Schritt, also zum Beispiel zu einer unserer Veranstaltungen zu kommen. So attraktiv klingen die meistens für Schülerohren nicht, die Jugendlichen erkennen die Chance darin nicht. Und dann braucht es auch Mut, vor Ort ins Gespräch zu gehen, Fragen zu stellen. Die Jugendlichen trauen sich oft nicht, die Fragen zu stellen, die ihnen wichtig sind.
Martin: Ja, der Mut, sich zu öffnen, fehlt oft. Das ist antrainiertes Verhalten, denn die Jugendlichen haben die Erfahrung gemacht: Ich bin halt immer der ohne Schulabschluss. Dann kommen sie in so eine zurückgezogene, passive Situation und schämen sich manchmal auch. Da wirken sogar die Lehrer manchmal kontraproduktiv, weil sie die Schülerinnen und Schüler nicht stärken, nicht ermutigen, sondern sagen: Ziehst du doch eh nicht durch.
Gibt es eine gesellschaftliche Personengruppe, von der Ihr Euch mehr Mut wünschen würdet?
Timea: Auf jeden Fall Lehrer. Wir waren letztes Jahr auf der Tour unter anderem in Köln und haben da Bewerbungstrainings gemacht. Da war eine Klassenlehrerin dabei, die hinterher zu uns gekommen ist und gesagt hat: Mensch, sie ist froh, dass sie dabei war. 80 Prozent von dem, was sie den Schülern erzählt hätte, hätte sie falsch erzählt. Das ist ein Problem. Lehrer sind in Schulen ja auch Ansprechpartner für Bewerbungen. Aber da sind wir mal realistisch: Lehrer schreiben keine Bewerbungen und sind auf dem Gebiet keine Experten. Ich würde mir von den Lehrern und Schulleitern wünschen, dass sie den Mut haben, sich das einzugestehen und dann zum Beispiel mit uns zusammenarbeiten. Da gibt es auch schon sehr gute Erfahrungen, in Stuttgart zum Beispiel. Und fast noch wichtiger finde ich, dass auch Unternehmer, Ausbilder ein bisschen mutiger werden und nicht immer nur auf die Noten schauen. Sondern vielleicht auch mal Jugendliche einladen, die einen vermurksten Lebenslauf haben oder deren Bewerbung nicht so spannend klingt. Was soll denn so ein Jugendlicher auch in die Bewerbung schreiben? Du weißt nichts über dich. Du weißt nicht, wie du arbeitest. Da kannst du keine aussagekräftigen Angaben machen. Aber du kannst dich in der Realität beweisen. Dafür ist zum Beispiel „Ein Tag Azubi“ eine ganz tolle Sache.
Martin: Man kann das vielleicht ganz salopp unter „Mut, aufeinander zuzugehen“ zusammenfassen. Mal die Schubladen und Stereotype weglassen und sich auf den Menschen dahinter einlassen.
Timea, Du bildest aktuell in Teilzeit aus – das ist sehr ungewöhnlich. Erzähl mal, wie es dazu kam.
Timea: Ich bilde kaufmännisch aus und die Bewerbungen, die eingingen, waren grottenschlecht. Wir haben niemanden gefunden. Dann ist mir Ausbildung in Teilzeit eingefallen. Die wenigsten Unternehmen wissen, dass das geht. Die Grundidee war: Da bewerben sich ja wahrscheinlich junge Mütter und wenn die ihr Leben mit Kind plus Berufstätigkeit hinkriegen, sind die ja wahrscheinlich organisatorisch gut aufgestellt. Es kamen dann zwar wenige Bewerbungen, aber die waren so gut, dass ich mehrere Plätze hätte besetzen können. Aber dann mussten wir lernen, dass die Strukturen für so ein Modell gar nicht vorhanden sind. Es gibt zwar eine Mütterklasse an der Berufsschule, aber im zweiten Lehrjahr fingen die Schultage für diese Klasse plötzlich auch um 7.30 Uhr an und nicht, wie im Jahr davor, erst zur zweiten oder dritten Stunde. Das heißt, meine Auszubildende verpasst regelmäßig die erste Stunde, weil sie ihr Kind noch zur Kita bringen muss. Sie soll den Stoff dann selbstständig nachholen; aber wann denn? Alleinerziehend mit Kleinkind hat man keine Freizeit. Aber die Problematik interessiert keinen. Es ist, als ob es diese Menschen gar nicht geben würde. Nicht einmal die Bundesagentur für Arbeit führt eine Statistik darüber, wie viele Personen eine Ausbildung in Teilzeit machen.
In einer Welt, in der es manche Unternehmer schon mutig finden, Frauen einzustellen, weil die dann eh schwanger werden, braucht es andere Rahmenbedingungen.
Da wird der Mut, neue Wege zu gehen, dann nicht belohnt.
Timea: Nein. Gott sei Dank haben wir mittlerweile Lösungen gefunden und die Situation hat sich beruhigt. Aber in einer Welt, in der es manche Unternehmer schon mutig finden, Frauen einzustellen, weil die dann eh schwanger werden, braucht es andere Rahmenbedingungen.
Martin: Leider muss man oft wahnsinnig viel Energie aufbringen, um Dinge zu verändern.
Martin, Du hast einen eher ungewöhnlichen Werdegang. Wie bist Du Unternehmer geworden?
Martin: Ich stand vor der Wahl: Mache ich noch mein Fachabitur oder fange ich eine Ausbildungsstelle an. Ich habe mich bewusst für die Ausbildungsstelle entschieden, weil ich wusste, dass die Firma toll ist, einfach zu mir passt, und dass es mir Spaß macht. Die Ausbildung habe ich durchgezogen, als Informations-, Telekommunikationsund Systemelektroniker. Ich war da richtig gut, habe im dritten Lehrjahr alleine Schulungen gehalten. Nebenbei habe immer schon aufgelegt, als DJ. Ein Jahr nach der Ausbildung, 2004, habe ich dann ein Nebengewerbe angemeldet – eine GbR, wir haben Programmierung gemacht, Webdesign und Digital Signage – und zum Jahresende 2004 habe ich gesagt: Alles klar, ich mache das jetzt hauptberuflich. Gesamtwirtschaftlich und konjunkturell war das keine einfache Zeit und ich war auch nicht gefrustet von meinen Job – ich wollte diese Selbstständigkeit einfach ausprobieren. Nach fünf Jahren ist die GbR auseinander gegangen und ich habe ein Einzelunternehmen gegründet. Mittlerweile hat mein Team zehn Leute. Ich selbst habe alle diese Entscheidungen in dem Moment gar nicht als mutig empfunden, auch wenn sie mir im Rückblick ganz schön mutig vorkommen.
Was war Eure bisher mutigste Entscheidung?
Timea: Nach der Schule habe ich mich an verschiedenen Unis beworben und die Zusage, die ich vom Studiengang her am spannendsten fand, kam aus Hohenheim. Meine Mutti und ich haben dann den Atlas aufgeschlagen und geguckt: Wo liegt das denn eigentlich Hohenheim? Und dann bin ich dahin gezogen. Finde ich im Nachhinein mega mutig.
Martin: Das Mutigste war, mir einzugestehen, dass es in der GbR nicht mehr so richtig funktioniert – mit dem Wissen darum, dass es nicht leicht wird, das Unternehmen abzuwickeln und das auf die Reihe zu bekommen. Und es dann auch auszusprechen.
Wann wärt Ihr gern mutiger?
Timea: Gerade in meinen beruflichen Entscheidungen. Mal den Sicherheitsfaktor weglassen und einfach mal machen. Einfach mal kündigen, einen anderen Job suchen, wenn man unzufrieden ist. Ansonsten bin ich glaub ich ganz mutig, privat. (lacht) Wahrscheinlich nicht.
Martin: Ich tue mich schwer mit Entscheidungen, die nicht nur mich, sondern auch andere Leute betreffen. Sachen offen anzusprechen. Je persönlicher es wird, desto schlimmer. Da wäre ich gern mutiger.