Bremerhavener Kontinuität
Meet the Kramers: Julius Kramer ist Kreissprecher der WJ Bremerhaven und führt das 1901 gegründete Familienunternehmen J. Heinr. Kramer Gruppe. WJD-Bundesgeschäftsführerin Laura Jorde und der Bundesvorsitzende Sebastian Döberl trafen Julius und seinen Vater Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, zum Gespräch über Nachhaltigkeit, Ehrenamt und Veränderung.
Laura Jorde: Es freut mich sehr, dass wir vier für ein digitales Gespräch zusammengefunden haben. Eigentlich hatten wir uns in Bremen treffen wollen, aber das war auf Grund der im Oktober stark steigenden Corona-Infektionszahlen nicht möglich. Wir wollen nichtsdestotrotz heute zum Thema Nachhaltigkeit sprechen. Sie sind beide Familienunternehmer, Sie sind beide auch gesellschaftlich engagiert. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie? Gibt es da zwischen Ihnen beiden vielleicht sogar einen Generationsunterschied in der Auslegung des Begriffs?
Julius Kramer: Nachhaltigkeit ist ja heute in der öffentlichen Wahrnehmung eigentlich ausschließlich mit dem Thema Ökologie verbunden. Das trifft es für mich nicht. Nachhaltigkeit bedeutet für mich ein Dreigestirn aus einer sozialen, einer ökonomischen und auch einer ökologischen Komponente. Wenn sie alle drei in Deckung gebracht werden, stellen sie die Nachhaltigkeit dar, nach der ich persönlich oder wir als Unternehmen streben. Und wenn man eine dieser Säulen vernachlässigt, dann steht das ganze Bild nicht mehr im richtigen Licht. Also diese reine Fokussierung auf das Thema Ökologie ist für mich nicht ausreichend, sondern man muss eben auch die beiden anderen Säulen gleichberechtigt daneben stellen und mitverfolgen, da es sonst der Wirklichkeit nicht gerecht wird
Ingo Kramer: Wie mein Sohn schon sagt, Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Thema der Ökologie. Nachhaltigkeit ist zum Beispiel auch die Frage, wie ich soziale Lasten verteile. Ob ich jetzt, gerade 65, sage: Ich trete für eine kräftige Rentenerhöhung ein, welche die nächste Generation schön bezahlen kann. Das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Nachhaltig ist, während der eigenen Lebensarbeitszeit die Dinge so zu ordnen, dass die nächste Generation mit den Lasten auch klarkommt. Aber nicht, es auf die nächste Generation zu verlagern. Das ist keine ökonomisch und sozial funktionierende Nachhaltigkeit. Da haben wir im Moment ein Ungleichgewicht in Deutschland. Nicht, weil wir nicht für vernünftige Renten sind, sondern weil die Renten erarbeitet werden müssen, solange wir noch arbeiten. Nicht der kleiner werdenden jungen Generation – demografischer Wandel – die größeren Lasten auferlegen, die die heutige arbeitende Generation gar nicht hat.
Also Nachhaltigkeit ist Ökonomie, Soziales, Ökologie – und in den heutigen Tagen kann man vielleicht sagen: auch Gesundheit. Das letztere ist ein neuer Aspekt, der uns gerade deutlich wird. Wenn man nicht in gesunden, guten Zeiten für Medikamente und für vernünftige Krankenhäuser sorgt, dann hilft nichts, wenn eine Pandemie kommt. Denn dann kann man das Krankenhaus nicht mehr aufbauen.
Laura Jorde: Sie sprechen das Thema Generationengerechtigkeit an, das die Wirtschaftsjunioren ja schon lange umtreibt. Julius, warum engagierst du dich bei den Wirtschaftsjunioren? Was motiviert dich da, vielleicht sogar dieses Thema?
Julius Kramer: Ich bin sicherlich familiär etwas vorgeprägt, was das ehrenamtliche Engagement angeht. Für mich spielt es schon fast keine Rolle, wo man sich ehrenamtlich engagiert. Alles, sei es im Sportverein oder beim Roten Kreuz oder eben auch in wirtschaftlichen Jugendverbänden oder Junioren-Verbänden, ist gleichermaßen wichtig. Für mich ist das schon immer von Bedeutung gewesen, sich gesellschaftlich zu engagieren. Das Vereinsleben ist ja leider vom Aussterben bedroht. Ich finde, wir sollten uns alle ins Bewusstsein rufen, was dieses Engagement eigentlich für einen Wert für unsere Gesellschaft hat – und dazu beitragen, dass es weiterleben kann.
Als Unternehmer in vierter Generation ist es für mich natürlich von besonderer Bedeutung, dass ich mich auch mit dem Thema Wirtschaft auseinandersetze und auch Position beziehe zu Fragestellungen, die uns heute, aber auch in Zukunft beschäftigen. Für mich spielt ebenso eine Rolle, dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen meiner Generation oder unserer Generationen nicht in Vergessenheit geraten. Aber ich will auch gleichermaßen sicherstellen, dass meine Generation, die ja doch in der Vor-Corona-Zeit in vergleichsweise einfachen Zeiten groß geworden ist, nicht vergisst, dass Frieden und Wohlstand keine Gegebenheiten sind. Dass auch wir unseren Beitrag dazu leisten müssten, dass es so bleibt.
Laura Jorde: Auch an Sie die Frage, Herr Kramer: Warum ist Ihnen Engagement wichtig? Was ist der Grund für Ihr ausdauerndes Engagement in Wirtschaftsverbänden und in Wirtschaftsorganisationen?
Ingo Kramer: Ich glaube, bei mir hat das immer ganz banal mit persönlichen Kontakten und manchmal auch zufälligen Begegnungen angefangen. Ich war ja auch mal bei den Wirtschaftsjunioren aktiv. Wenn ich überlege, wann das eigentlich war! War der Anlass ein bestimmtes Thema, damals vor Jahrzehnten? Oder war es möglicherweise ein freundschaftliches Verhältnis mit ein paar Freunden und wir trafen uns bei den Wirtschaftsjunioren? Ich weiß es nicht mehr. Aber auch das ist nicht schlecht, wenn man mit Freunden einfach was zusammen macht und dann sagt: Na gut, wenn wir schon ähnliche Ideen haben, dann lass uns da etwas vorantreiben. Also lieber in die Speichen greifen, als überrollt zu werden.
Und so kommen auch andere ehrenamtliche Tätigkeiten ja häufig durch das Umfeld zustande. Also ich bin hier an der Küste, da vorne ist der Hafen, dahinter ist die Nordsee und wir haben mit Schiffen und Reedereien und Werften seit Jahrzehnten zu tun. Also bin ich irgendwann bei der Seenotrettung gelandet. Wenn ich in Oberammergau wäre, wäre ich vielleicht bei der Bergwacht.
Der Beginn ist oft zufällig und leicht. Aber das muss auch gepflegt werden. Es ist möglicherweise für die Zukunft nicht mehr selbstverständlich, dass man sich für solche Dinge öffnet. Insofern freue ich mich natürlich, dass meine Kinder sich für sowas öffnen und wünsche mir das auch für andere. Dieser alte Satz „Es gibt viel zu tun, fangt ihr schon mal an“, das ist nicht die Lösung. Man muss schon selbst damit anfangen.
Sebastian Döberl: Sie beide sind im Ehrenamt vereint, aber ja auch im Unternehmen. Wie sieht denn die tägliche Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn aus?
Julius Kramer: Es hat unsere Zusammenarbeit von Tag Eins an begleitet, dass wir keine regelmäßigen Austauschtermine hatten. Das war nach Bedarf, und zwar, das muss ich ganz klar sagen, nach meinem Bedarf und nicht nach dem meines Vaters. Bei uns gibt es keine regelmäßigen Routinen.
Ohne uns auf die Schulter klopfen zu wollen, glaube ich, wir können ganz zufrieden sein mit dem Übergang, den wir jetzt in den letzten viereinhalb Jahren organisiert haben. Im Mai 2016 bin ich dazugekommen und wir haben wohl eine relativ rigorose Variante gewählt. Das hat so ausgesehen, dass auf der einen Seite es jemanden gab, der ordentlich losgelassen hat. Aber ich denke, genauso wichtig war, dass auf der anderen Seite jemanden gab, der relativ zügig auch ordentlich zugepackt hat, um das Ganze zu bewegen.
Ingo Kramer: Wir haben ungefähr zwei Jahre zusammengearbeitet. Unsere Büros lagen nebeneinander, nur getrennt durch unser gemeinsames Sekretariat. Er hat die kaufmännische Leitung geführt und ich habe mich um die Baustellen und mein sonstiges Aufgabenfeld gekümmert und bin dann planmäßig mit dem 65. Geburtstag aus der operativen Leitung ausgeschieden. Julius hat meinen Teil mitübernommen, er war ja in das Unternehmen schon längst eingearbeitet. Und da ich nicht mehr in der operativen Leitung bin, tue ich gut daran, auch nicht mehr so zu tun, als ob ich vielleicht doch noch drin wäre.
Wenn mich Freunde fragen, was jetzt der Unterschied zu früher ist, sage ich: Es gibt einen gravierenden Unterschied. Ich darf nichts mehr unterschreiben und ich muss Julius fragen, ob ich dieses oder jenes darf. Mir gehört vielleicht noch ein wesentlicher Teil, aber ich bin nicht mehr Geschäftsführer. Das macht er. Ich finde das ganz gut so. Ich habe das Jahrzehnte gemacht und man soll auch mit 68 nicht so tun, als ob man noch Bäume ausreißen kann, wenn man eigentlich nur noch die Sträucher ausreißen kann. So ist es halt.
Laura Jorde: Julius, Ihr seid ein traditionsreiches Unternehmen. Tradition hat ja auch viele schöne Seiten, unter anderem Rituale und Strukturen, die gut laufen. Man hat etwas, auf was man zurückblicken kann. Wie bringt man das mit der Agilität und Flexibilität zusammen, die man heute braucht – besonders in Zeiten der Pandemie? Ist das eine Gratwanderung?
Julius Kramer: Das ist ein nicht unerhebliches Thema. Ich bin mit dem Begriff Tradition immer etwas vorsichtig, denn Tradition symbolisiert häufig Behäbigkeit. Es ist dann ein Festhalten an alten Dingen…
Ingo Kramer: …an überholten Dingen!
Julius Kramer: …an überholten Dingen, genau, um es noch drastischer zu sagen. Deswegen bin ich vorsichtig mit dem Begriff. Wenn ich Tradition mit Blick auf unser Unternehmen sehe, dann verbirgt sich für mich dahinter so etwas wie eine Philosophie, ein Wertekanon, Grundsätze und Überzeugungen. Dass wir sagen, wir verfolgen einen Generationsgedanken, wir stehen für Kontinuität und zwar nicht im Sinne von Behäbigkeit, aber für Kontinuität gegenüber unseren Mitarbeitern, aber auch gegenüber Kunden. In diesem Sinne ist Tradition etwas Gutes.
Mit Innovation widerspricht sich das überhaupt nicht. Das geht eher Hand in Hand. Aber ich mache auch keinen Hehl draus: Wir haben auch Traditionen, die ich gerne loswerden möchte. Wie den Satz, den man dann in jedem Unternehmen am wenigsten gerne hört: Das haben wir doch schon immer so gemacht. Dann sage ich, das ist umso mehr ein Grund, es jetzt anders zu machen. Das passt schon.
Und wie geht das mit der Pandemie? Ich glaube, vielen mittelständischen Unternehmen so wie wir es sind, tut sie in gewissen Bereichen auch ganz gut, so schwer sie ist. Wir wären sicherlich nicht mit unserer gesamten IT-Infrastruktur so weit, wie wir es Ende des Jahres sein werden. Wir sind jetzt komplett in der Cloud, um auch einfach viel flexibler remote arbeiten zu können. Wenn wir die Pandemie nicht gehabt hätten, hätten wir einfach die Notwendigkeit dazu nicht gehabt.
Sebastian Döberl: Also die Krise als Chance – möglicherweise auch für neue Arbeitsmodelle?
Ingo Kramer: Arbeit wird sich in Zukunft in einer ganzen Reihe von Punkten sehr stark ändern. Und die kennen wir noch nicht mal alle. Daraus ergibt sich schon ein ganz wesentlicher Aspekt: Wir müssen offen sein für diese Veränderungen. Wenn man offen ist, dann kann man die Veränderungen in dem Moment, wo sie sich anbieten, wo sie möglich werden, wo sie nachgefragt werden, auch bedienen. Sind die handelnden Personen, die Menschen, ist das System, der Organismus des Unternehmens offen und bereit für Veränderungen oder verschließt er sich? Das ist eine Kernfrage.
Laura Jorde: Haben Sie ein Geheim- oder Patentrezept dafür, diese Einstellung weiterzugeben? Denn offensichtlich ist es Ihnen erfolgreich gelungen, diesen Wert der Offenheit, Veränderung zu schätzen und offen zu bleiben in Ihrer Familie, aber auch in Ihrem Unternehmen zu etablieren.
Ingo Kramer: Da gibt es ganze Lehrbücher, die beschreiben, wie das geht. Ich glaube, es läuft auf einen Kernpunkt hinaus: Sie müssen es vorleben. Manches muss sich von unten entwickeln, aber manches muss auch von oben kommen. Man muss diese Bereitschaft, offen zu sein, vorleben.
Das fängt damit an, dass man einem neuen Mitarbeiter nicht gleich sagt: Pass mal auf, ist nicht dein Job, mach dir keine Gedanken darüber, das machen wir schon! Mach du mal deinen Schreibtisch, was ich dir draufgelegt hab! Wir müssen offen sein dafür, dass jüngere Mitarbeiter mit anderen Ideen kommen als Ältere. Wenn man das vorlebt, zieht sich das relativ schnell durch die Organisation eines Unternehmens oder auch eines Wirtschaftsverbandes durch. Die Führungsperson oder die Führungspersonen haben ganz entscheidenden Einfluss auf die Bereitschaft des gesamten Organismus, sich zu verändern oder nicht. Wenn das oben blockiert wird, müssen aus Selbsterhaltungstrieb die Menschen darunter sich dem Stil anpassen.
Sebastian Döberl: Julius, mein Herzensthema ist das Thema Ausbildung. Das ist es, glaub ich, bei Dir auch so. Hat es einen bestimmten Grund?
Julius Kramer: Ja, das ist mir Herzensthema! Das ganze Thema „Jugend stärken“ ist unserem ganzen Kreis enorm wichtig. Da habe ich selbst aber keine großen Verdienste, da es ganz wesentlich von Mitgliedern aus unserem Kreis vorangetrieben wird. Nichtsdestotrotz spielt das Thema für mich eine große Rolle. Auch das ist sicherlich dadurch mitgeprägt, dass ich das gar nicht anders kenne. Ich habe immer schon in meinem Umfeld – und damit meine ich nicht nur das elterliche Umfeld, sondern das Umfeld, in dem ich groß geworden bin –mitbekommen: Ausbildung ist das A und O und die Versicherung, die man jungen Menschen für ihre Zukunft mitgeben kann.
Das versuche ich bei uns im Unternehmen, aber auch im privaten Umfeld wirklich vor- und mitzuleben. Wir haben das Thema Ausbildung trotz aller Schwierigkeiten auch in diesem Jahr noch einmal verstärkt. Und fordern das auch ganz klar von unseren Führungskräften ein. Jeder Jungingenieur bekommt bei uns ein Ausbildungsjahr an die Hand und muss die durch ihre Ausbildung begleiten. Das führt zu gewissen Konflikten, aber so gibt man auch an seine zukünftigen Führungskräfte weiter, dass Ausbildung und der Wissenstransfer fundamental wichtig sind.
Wenn wir heute Ausbildung sagen, denken wir an die Berufsausbildung eines Schlossers oder an die kaufmännische Ausbildung. Aber da endet das gar nicht. Das ist eigentlich nur der Start der Ausbildung, die wir im Unternehmen haben. Die Ausbildung müssen wir kontinuierlich durchs Unternehmen weiterziehen. Sie nennt sich dann am Ende Erfahrungs- und Wissenstransfer.
Das wird meiner Einschätzung nach auch die Herausforderung im Charakter von New Work sein. Wo man sitzt, wie man arbeitet, das ist egal. Die Frage ist: Wie kriegen wir das Wissen im Unternehmen übermittelt? Diese Frage wird momentan gar nicht behandelt. Remote Work ist vergleichsweise leicht zu organisieren. Aber dass der Wissenstransfer effektiv und nachhaltig funktioniert, das ist aus meiner Sicht die Herausforderung. Ich bin gespannt, wie man das zukünftig organisiert.
Sebastian Döberl: Vielen Dank für das Gespräch!