Mitten in der Transformation
Welche Rolle spielen Unternehmen bei der Bewältigung globaler Herausforderungen? Welche Rolle spielen dabei Bestrebungen nach wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit?
Stehen wir am Übergang zu einer neuen Epoche? Einer Epoche, in der Nachhaltigkeit zum Charakteristikum eines gesellschaftlichen Wandels wird, so wie einst die arbeitsteilige Produktionsweise und die zunehmende Globalität Wesensmerkmale der Industrialisierung wurden? Nein – wir befinden uns bereits mittendrin in einem Umbruch unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen!
Gesellschaftlicher Wandel verläuft in der Regel weder linear noch ist er auf ein einziges Ereignis zurückzuführen. Die Einbettung der Marktwirtschaft in ein soziales Rahmenwerk, die Auswirkungen der Umweltbewegung auf das Parteiensystem oder der Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohleverstromung stehen beispielhaft für einen Entwicklungsprozess, in dessen Zentrum ein zunehmendes Bewusstsein für die vielfältigen Fragen der Nachhaltigkeit steht. Dass es nicht mehr um die Frage nach dem „ob“, sondern vielmehr um das „wie“ geht, macht auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, deutlich. Indem sich von der Leyen für eine „europäische Bauhausbewegung“ stark macht, will sie den wirtschaftlichen und sozialen Wandel im Sinne der Nachhaltigkeit gestalten. Sie will nicht mehr nur durch den Klimawandel, den Verlust von Biodiversität, die zunehmende Ungleichheit in und zwischen Gesellschaften und daraus entstehende Migrationsbewegungen getrieben werden.
Kann man Nachhaltigkeit messen?
Unternehmen kommt als wichtigen gesellschaftlichen Akteuren eine besondere Rolle zu. Dabei geht es in erster Linie um die Verankerung von Nachhaltigkeit in den Geschäftsmodellen möglichst vieler Unternehmen. Wenngleich aktuell der Fokus auf Maßnahmen zur CO2-Reduktion liegt, geht es langfristig darum, unternehmerisches Handeln als Ganzes auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft auszurichten. Der Erhalt von Biodiversität, der Schutz von Menschenrechten und die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe müssen neben klassischen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu Steuerungsgrößen im Unternehmen der Zukunft werden. Um den Wertbeitrag eines Unternehmens auch an dessen Nachhaltigkeitsperformance beurteilen zu können, werden auf EU-Ebene, gemeinsam mit Partnern wie der Value Balancing Alliance, Ansätze für eine integrierte Rechnungslegung (Environmental Generally Accepted Accounting Principles, E-GAAP) entwickelt.
Diese notwendige Übersetzung vom Nachhaltigkeitsgedanken in unsere Wirtschaftsregeln muss zwingend auch mit einem gesellschaftlichen Diskurs über die dabei vorgenommene Bewertung etwa von biologischer Vielfalt, Wasserreinheit oder gesellschaftlichem Zusammenhalt einhergehen. Um den Austausch über wirtschaftliches Handeln in Deutschland und darüber hinaus voranzubringen, hat der Rat für Nachhaltige Entwicklung im Jahr 2011 den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) gemeinsam mit Stakeholdern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft ins Leben gerufen. Mehr als 600 Unternehmen schaffen bereits mit dem DNK Transparenz über ihr eigenes Handeln. Der DNK ist ein Standard, der Unternehmen und Organisationen – unabhängig von ihrer Größe oder ihrer Branchenzugehörigkeit – einen niederschwelligen Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung bietet. In den DNK-Erklärungen können Chancen aufgezeigt werden, wie etwa mithilfe neuer Technologien menschenrechtliche oder ökologische Aspekte in komplexen Liefernetzwerken besser gemanagt werden können oder wie Nachhaltigkeit zum Fokus des strategischen Managements gemacht wird. Aus den DNK-Erklärungen lassen sich jedoch auch Risiken herauslesen, die Unternehmen gemeinsam mit ihren Stakeholdern in den Blick nehmen müssen.
Nachhaltigkeit braucht Innovation
Im gesellschaftlichen Diskurs kann ein Bewusstsein für „Hebel“ entstehen, mit Hilfe derer der Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung beschleunigt werden kann. An solchen Kristallisationspunkten der Transformation entstehen zunehmend Start-ups, deren Unternehmenszweck an der Lösung eines ökologischen oder sozialen Problems ansetzt. Sustainable Start-ups setzen sich an die Spitze gesellschaftlichen Wandels, indem sie mit neuen innovativen Lösungsansätzen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen angehen und eine andere Form von gesellschaftlicher Prosperität ermöglichen.
Um innovativen Lösungsansätzen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und neue Räume des gesellschaftlichen Dialogs zu eröffnen, haben sich Bund und Länder auf die Gründung eines Gemeinschaftswerks Nachhaltigkeit verständigt. Das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit und die europäische Bauhausinitiative verbindet eine gemeinsame Überzeugung: Um das Momentum des Pariser Klimaschutzabkommens, der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, des EU Green Deals oder auch der Fridays for Future-Bewegung in konkrete Handlungen zu übertragen, braucht es den Beitrag aller Teile der Gesellschaft – in Deutschland, Europa und darüber hinaus. Die Wirtschaft und gerade junge Unternehmen und Start-Ups können dabei einen wichtigen Beitrag leisten.
Dr. Marc-Oliver Pahl leitet seit März 2020 die Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Der Rat für Nachhaltige Entwicklung wurde erstmals im April 2001 von der Bundesregierung berufen, ihm gehören 15 Personen des öffentlichen Lebens an. Zu den Aufgaben des Rates gehört die Mitarbeit an der Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sowie die Verankerung des Themas Nachhaltigkeit als wichtiges öffentliches Anliegen.