Junge Wirtschaft im Gespräch mit Oliver Suchy: Weiterbildung und Vertrauen

Recht auf Homeoffice, digitale Arbeitswelten, New Work – während des Lockdowns haben sich viele Themen vermischt und eine neue Aktualität bekommen. Sebastian Döberl und Oliver Suchy haben sich zum digitalen Gespräch getroffen und gemeinsam versucht, diese Verknotung aufzudröseln.

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Herr Suchy, Sie sind Leiter der Abteilung „Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichtserstattung“ und haben auch beim Projekt „Arbeit und Zukunft“ mitgearbeitet. Für uns Wirtschaftsjunioren ist New Work eins der zentralen Themen derzeit und auch die Corona-Krise hat ja das Thema Homeoffice allerorten aufs Tableau gebracht. Arbeitsminister Hubertus Heil geht sogar so weit, ein „Recht auf Homeoffice“ gesetzlich verankern zu wollen. Das stößt uns als junge Unternehmerinnen und Unternehmer sauer auf, weil es alle Unternehmen über einen Kamm schert und wenig Rücksicht auf die Bedingungen in kleinen und mittleren Unternehmen nimmt. Wie ist denn Ihre Meinung dazu zum Thema „Recht auf Homeoffice“?


Mir geht es da zum einen um das Thema „Ermöglichung“. Es ist ja nicht so, dass es kein Homeoffice gab vor Corona. Wir hatten vor dem Lockdown so 12 bis 15 Prozent der Beschäftigten, die das gemacht haben. Da geht es dann mal um einen Tag pro Woche, das ist ganz unterschiedlich. Allerdings hat sich gezeigt, dass viele, die das wollen, das nicht können. Und die sagen: „Das liegt nicht nur, aber auch an den Arbeitsgebern, die das nicht wollen – auch, wenn der Arbeitsplatz das eigentlich hergibt“. Das kann man dann über Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen regeln, da gibt es zahlreiche gute Beispiele. Weite Teile der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes sind jedoch nicht von Tarifverträgen geschützt. Wir haben viele Betriebe ohne Betriebsräte. Aus dem Wunsch vieler Beschäftigter heraus hat sich dann eben diese Diskussion um das Recht auf Homeoffice ergeben. 

Zum anderen geht es mir aber auch darum, dass wir diesen ganzen Bereich stärker unter die Lupe nehmen müssen. Wir haben eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen, von diversen Instituten, dass hier nicht unbedingt nur Vorteile bestehen, was die Arbeit im Homeoffice oder das mobile Arbeiten betrifft. Da gibt es eine ganze Reihe von Problemen, was Entgrenzung angeht, was Überlastung angeht, was überlange Arbeitszeiten angeht. Da ist einiges zu regeln.

Die Frage ist, wie können wir das am besten tun? Meine Sichtweise ist die: Am besten können das die Experten der Arbeit, nämlich die Tarifvertragsparteien oder eben die Betriebsparteien. Die zweite Frage ist: Wie kann man diesen Bereich stärken? Und dann ist die Frage, ob es ein Rechtsanspruch wird oder zum Beispiel ein Erörterungsanspruch, bei dem der Arbeitgeber tatsächlich begründen muss, warum Homeoffice nicht geht. Und wie gesagt, es geht ja nicht um eine Entscheidung entweder oder, sondern um einen Mix aus mobilem Arbeiten und Präsenz. 

Und ich bin gespannt, was Corona am Ende bringt: ob sich tatsächlich etwas verändert, ob mehr Vertrauen da ist und eine andere Kultur des Zusammenarbeitens mit Hilfe von digitalen Möglichkeiten.


Da bin ich teilweise bei Ihnen, jedoch muss ich auch sagen, das aktuelle Arbeitszeitgesetz ist so unflexibel, dass Homeoffice fast nicht machbar ist. Meine Mitarbeiter fordern Flexibilität ein, also sich zum Beispiel abends nochmal hinsetzen zu können, wenn die Kinder im Bett sind. Aber dann dürfen sie ja morgens um 7:30 Uhr oder 8 Uhr früh gar nicht in der Telefonkonferenz sein, weil sie ihre Ruhepause nicht eingehalten haben. Und dann der Arbeitsschutz: Ich müsste ja eigentlich erstmal in jede Wohnung, jedes Haus rein, bei jedem schauen: Wo sitzt du, wie sind deine Lichtverhältnisse, auf welchen Stuhl, mit welchem Rechner, mit welchem Bildschirm arbeitest du? Das ist nicht machbar. 

Zum einen muss man da unterscheiden zwischen Telearbeitsplatz und mobilem Arbeiten. Sie sprechen grade Telearbeitsplätze an, dafür gibt es eine Arbeitsstättenverordnung. Das ist für das mobile Arbeiten bislang so nicht vorgesehen. Mobiles Arbeiten heißt, dass ich als Beschäftigter den Ort aussuchen kann und auch ins Café, die Bibliothek oder an einen anderen Ort mit Internetempfang gehen kann. Insofern finde ich es ein bisschen schwierig, hier von Überregulierung zu sprechen. Gleichwohl müssen wir sehen, dass es wichtig ist, die Beschäftigten entsprechend zu unterweisen und auch zu qualifizieren. Das selbstständige, mobile Arbeiten ist nicht für jeden was. 

Was die Arbeitszeiten angeht, denke ich, sind wir flexibel genug. Natürlich gibt es eine gewisse Kultur, dass Leute morgens nach dem Aufwachen noch im Bett die ersten sechs Kommunikationskanäle checken und das gleiche machen sie dann abends um elf auch nochmal. Da muss man dann Arbeitskultur verhandeln und vereinbaren, damit mobiles Arbeiten besser funktioniert. Dafür braucht man klare Regeln, Klarheit in der Umsetzung, gute Absprachen und gute Kultur.


Weniger Regeln und viele Freiheiten bedeuten aber eben auch viel Verantwortung. Wie können aus Ihrer Sicht Unternehmer und Unternehmerinnen verantwortungsvoll New Work-Methoden anwenden? Was würde Sie Unternehmern empfehlen aus ihrer Sicht?

Die Frage ist ja: Was ist überhaupt einmal das Ziel? Unter New Work wird ja ganz viel diskutiert und viele diskutieren eben nur über Arbeitszeit. Aber es stehen ja auch noch andere Fragen im Raum: Wie man ein Unternehmen neu organisiert. Wie man ein Unternehmen digitalisiert. Wie man agiler wird. Wie man seine Mitarbeiter empowern kann. Darüber muss man sich in einem ersten Schritt klar werden. Ich glaube, hier braucht es immer noch im weiten Teilen des Mittelstandes eine Sensibilisierung, was da überhaupt geht. 

Es ist wichtig, dass man als Unternehmer erstmal eins versteht: Digitalisierung bedeutet eine Veränderung von Wertschöpfung. Wir haben jetzt eine Transformation vor uns. Das ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Punkt, der noch nicht betrachtet wird, und da braucht es noch mehr Sensibilisierung und Aufklärung. Damit da mehr ins Rollen kommt, im positiven Sinne.


Sehen Sie die deutsche Wirtschaft und gerade den Mittelstand für eine solche Digitaltransformation oder Wertschöpfungstransformation gerüstet?

Ich will da nicht drüber urteilen. Schauen Sie, die IG Metall hat im letzten Jahr einen Transformationsatlas gemacht. Da wurden die Betriebsräte gefragt, wie Sie die Lage im Unternehmen einschätzen. Und die Hälfte der Betriebsräte aus den Metall- und Elektroindustrien sagt, dass es im Unternehmen überhaupt keine systematische Personalentwicklung und schon gar keine Qualifizierungsstrategie gibt. Das heißt, da fahren ganz viele Unternehmen auf Sicht, ohne sich im Klarem zu sein, was da eigentlich passiert. Meine größte Sorge ist, dass etablierte deutsche Unternehmen den Zug der Zeitverpassen und schnell weg vom Fenster sind.


Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Risiken, aber auch die größten Chancen der Digitalisierung? 

Wie vorhin schon gesagt, die Frage ist immer: Was sind denn die Ziele?  Bei den Risiken ist natürlich die breite Diskussion über Rationalisierung zu nennen. Digitalisierung ist ja nicht neu, auch die Debatte führen wir ja schon länger. Natürlich gibt es da eine große Sorge bei den Beschäftigten. Ich bin immer vorsichtig mit Prognosen, aber in jedem Fall wird es einen großen Umschlag geben, es wird sich sehr, sehr viel ändern. Es werden sich vor allem die Jobprofile ändern. Und das ist ein Punkt, an dem wir gemeinsam arbeiten sollten. Viele haben Angst vor Veränderung. Wir haben zum Beispiel in der Nationalen Weiterbildungsstrategie dafür geworben, sogenannte Weiterbildungsmentoren auszubilden, um die Beschäftigten auch dazu zu gewinnen, sich zu verändern. Weil wir der Überzeugung sind, wer sich nicht verändert, wird Probleme bekommen. Wir brauchen hier ein besseres Weiterbildungsangebot für Digitalkompetenz, auch seitens der Arbeitgeber. Das steckt noch sehr in den Kinderschuhen. 

Der andere Punkt ist, der auch eine ganz große Verunsicherung hervorruft, ist die Frage der digitalen Überwachung. Die Frage: Welches Verhältnis habe ich eigentlich zu intelligenten Maschinen, die wir bekommen sollen? Da sorgt aus meiner Sicht der Begriff „Künstliche Intelligenz“ für unnötigen Wirbel. Wenn man das „algorithmische Entscheidungssysteme“ nennen würde, wäre das anders. Aber das hat sich so etabliert, damit müssen wir leben. Ein guter Umgang, eine gute Kooperation mit KI-Maschinen ist wegweisend. Aber da herrscht sehr viel Unsicherheit. 

Da geht es ganz viel um Akzeptanz in den Betrieben und es geht um die Frage: Welche Folgen hat das eigentlich? Kann ich das einschätzen? Und wie kann ich nicht nur reagieren, sondern auch vorausschauend agieren? Dafür brauchen wir neue Ideen für Aushandlungsprozesse, Changeprozesse, die heute oft noch nicht so gut funktionieren und auch weitergedacht werden sollten. Und dazu brauchen wir die Unternehmen – da sind wir wieder beim Thema Weiterbildung. Wir brauchen einfach mehr konkrete Angebote für die Beschäftigten. Denn ihnen wird ja immer wieder gesagt: „Es ändert sich alles, ihr müsst euch ändern, ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst.“ Und dann fragen die Leute: „Wie können wir das denn machen?“ Und da ist dann wenig Angebot. Hier müssen wir noch nachlegen, auch politisch. 

Werden Sie da doch mal ein bisschen konkreter. Was stellen Sie sich denn da vor, was nachgelegt werden sollte?

Man muss die Dinge zusammen denken. Also einerseits reden wir über flexibles Arbeiten, wir reden auch über Arbeitszeitreduzierung, wir reden über die Weiterbildungsbedarfe. Warum machen wir nicht eine Bildungsteilzeit? Das müsste für die Beschäftigten dann einen relativ geringen Einkommensausfall bedeuten. Da gibt es auch schon tarifliche Ansätze, Fördermodelle. Ich glaube, dass das gut angenommen werden und auch die Weiterbildungsbereitschaft steigern würde. Und alle wissen, dass es nötig ist. Aber genau solche Elemente brauchen wir noch.


Was sollten sich denn Ihrer Meinung nach Unternehmerinnen und Unternehmer einfach mehr trauen? 

In der jetzigen Situation mutet es seltsam an, Unternehmern zu raten, sich etwas zu trauen. Ansonsten rate ich Unternehmern in meiner täglichen Arbeit, sich mehr zu trauen tatsächlich neue Wege zu gehen, mit den Beschäftigten Dinge auszuhandeln, sie näher ranzuholen. Wenn die Leute selbst was in die Hand nehmen können, Handlungsspielräume bekommen, das rechnet sich am Ende. Die Leute werden produktiver und zufriedener. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sollten sich trauen, zu vertrauen.

Vielen Dank für das Gespräch! Ich würde mich freuen, wenn wir im Austausch bleiben.