Wir müssen erfolgreiche Unternehmen im Land halten

Der unabhängige Sachverständigenrat Wirtschaft bewertet u. a. die wirtschaftliche Lage und zeigt Fehlentwicklungen auf. Ein Gespräch mit Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier über das neueste Jahresgutachten „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“.

Junge Wirtschaft: Liebe Frau Malmendier, welche Schwachstellen haben Sie identifiziert, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden?

Ulrike Malmendier: Die Weltwirtschaft wächst, aber Deutschland stagniert. Das sollte in einer exportorientierten Wirtschaft wie der deutschen eigentlich nicht möglich sein. Leider beobachten wir aber, dass vor allem bei den Industrieunternehmen die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber wichtigen Handelspartnern und Konkurrenten immer weiter sinkt. Gründe dafür sind vor allem Kostensteigerungen und eine schwache Entwicklung der Produktivität im Verarbeitenden Gewerbe, und diese sind wiederum auf die gestiegenen Energiekosten und vor allem die hohen Lohnstückkosten zurückzuführen. Arbeit ist in Deutschland nicht nur knapp, sondern im internationalen Vergleich teuer und in den vergangenen Jahren noch teurer geworden. Die Demografie wird diese Entwicklungen in den nächsten Jahren noch verstärken.

Wir erleben einen Stresstest für „Made in Germany“. Ein Stresstest hat aber auch immer zum Ziel, Verbesserungen herbeizuführen. Lassen Sie uns deshalb über konkrete Maßnahmen sprechen, die den Wirtschaftsstandort modernisieren und zukunftssicher machen. Was schlagen Sie zur Beseitigung des Fachkräftemangels vor?

Die aktuellen Fachkräfteengpässe werden sich durch die demografische Alterung in den kommenden Jahren bis 2035 noch einmal dramatisch verschärfen, da die Babyboomer nun in Rente gehen. Und weil die Erwerbsbevölkerung schrumpft, wird auch das Arbeitsvolumen weiter sinken. Um dem entgegenzuwirken, gibt es zunächst einige inländische Hebel. Wir denken da an eine Reform des Ehegattensplittings und den Ausbau von Kinderbetreuung. Ein weiterer Hebel wäre die Erhöhung des Renteneintrittsalters und Abschaffung der sogenannten Rente mit 63. Dadurch würden mehr Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt eingebunden und dort auch länger gehalten. Dies wird aber nicht reichen. Wir müssen die Erwerbsbevölkerung zudem über Zuwanderung und Integration von Arbeitskräften aus dem Ausland ausweiten. Das kann z. B. über erhöhte Anreize für hoch qualifizierte Zuwanderung sowie eine Ausweitung der Zuwanderungskontingente und des Länderkreises in der Westbalkanregelung passieren.

Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Digitalisierung in Deutschland, und welche Maßnahmen wären nötig, um hier aufzuholen?

Im aktuellen Jahresgutachten haben wir uns die Digitalisierung des Finanzmarkts angeschaut. Hier sehen wir enormen Nachholbedarf, vor allem bei den deutschen Banken. Deutschland verschenkt Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. Wir sollten bei digitalen Finanzdienstleistungen vor allem die Chancen in den Blick nehmen und die Wirtschaftspolitik so ausrichten, dass digitale Innovationen vorangetrieben werden. Der Eintritt von FinTech- und BigTech-Unternehmen kann den digitalen Wandel im Finanzmarkt zum Vorteil der Kundinnen und Kunden beschleunigen. Vor allem für FinTech- Unternehmen sollten wir durch regulatorische Vereinfachungen in sogenannten „regulatory sandboxes“ die Ansiedlung und das Verbleiben in Deutschland attraktiv machen.

Unternehmen beklagen die hohen Energiekosten, durch die sie ihre Konkurrenzfähigkeit einbüßen. Welche politischen Rahmenbedingungen können dazu beitragen, damit Unternehmen mit ihrer Produktion in Deutschland bleiben?

Die Klagen der Unternehmen sind verständlich, denn die Preise für Erdgas sind höher als in den Jahren vor der Coronakrise. Auch die Strompreise für die Industrie sind, wenngleich wieder auf Vorkrisenniveau, im europäischen Vergleich hoch. Energieintensive Wirtschaftszweige sind davon besonders betroffen. In diesen Branchen kann es zu einer Abwanderung von Teilen der Produktion kommen. Die Unkenrufe breiter Deindustrialisierung sind jedoch überzogen. Schon im vergangenen Jahrzehnt ist in Deutschland die Energieintensität der Industrie durch eine geänderte Industriestruktur und eine gesteigerte Energieeffizienz deutlich zurückgegangen. Ähnliche Prozesse setzen jetzt ein. Wichtig ist aber, dass politische Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass der durch die Dekarbonisierung ohnehin anstehende Strukturwandel dort begleitet wird, wo ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell besteht. Es darf nicht darum gehen, den Status quo zu erhalten. Mittelfristig wird dann die Verfügbarkeit von günstiger, CO2-armer Energie die Energiekosten der Unternehmen senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Im Vergleich mit den USA fehlen Deutschland massive private Investitionen. Welche Hebel gibt es, die die Investitionsbereitschaft fördern?

Zunächst gibt es die traditionellen Instrumente. So können bestehende steuerliche Abschreibungsregelungen, beispielsweise für Ausrüstungsinvestitionen, ausgeweitet und einige Jahre verlängert werden. Auch die Forschungszulage hat sich als effektiv erwiesen, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen. Letzten Endes brauchen wir aber in Deutschland einen grundsätzlichen Wandel hin zu mehr kapitalmarktbasierter Finanzierung, die Investitionen in neue, riskantere Technologien sowie in Forschung und Entwicklung fördert. In Deutschland fehlt es an einer solchen Kapitalmarktkultur und es fehlt ganz konkret an kapitalkräftigen Investoren, die große Finanzierungsrunden in der Wachstumsphase junger, zukunftsorientierter Unternehmen mitgehen können. Ebenso fehlt es den Kapitalmärkten an Tiefe, damit ein Börsengang attraktive Erlöse erzielt.

Wirtschaftspolitik wird zunehmend in einem Atemzug mit Sicherheitspolitik genannt. Wie kann Deutschland resilienter gegenüber geopolitischen Spannungen werden?

Deutschland ist durch sein in die Weltwirtschaft stark integriertes Wirtschaftsmodell abhängig von anderen Volkswirtschaften. Um die Resilienz der Wertschöpfungsketten zu erhöhen, sollten einseitige Abhängigkeiten reduziert werden. Das Stichwort heißt Diversifikation. So sollten beispielsweise die Bezugsquellen kritischer Rohstoffe diversifiziert werden. Hierbei sehen wir in erster Linie die Unternehmen in der Verantwortung. Allerdings kann der Staat eine solche Diversifizierung durch strategische Allianzen, Handelsverträge oder Investitionsgarantien für deutsche Unternehmen gezielt unterstützen.

Was kann uns als junge Wirtschaft Ihrer Meinung nach Anlass zum Optimismus geben, dass wir die aktuellen Herausforderungen meistern und gestärkt aus dieser schwierigen Phase hervorgehen werden?

Zunächst einmal freut mich, dass sich die Start-up-Kultur in Deutschland in den letzten Jahren, auch dank staatlicher Kofinanzierungsprogramme, drastisch verbessert hat. Da stehen wir dem Silicon Valley im Grunde in nichts nach. Natürlich müssen wir die erfolgreichen Unternehmen jetzt auch im Lande halten – sonst haben wir mit öffentlichen Geldern nur Wachstumsunternehmen für das Ausland, oft die USA, hochgepäppelt. Aber wenn wir es von der Finanzierungsseite hinbekommen, dann sieht es insofern in Deutschland gut aus, als dass wir hier das nötige Humankapital haben. In Sachen Automatisierung, Roboter und auch KI sind die Forschungsbeiträge ebenso wie die Ideen zur praktischen Umsetzung hervorragend und eine große Chance für unsere Industrie. Die Produkte dürften dann allen Unternehmen helfen. Und KI ist eine großartige Gelegenheit für mehr Produktivität, gerade im Mittelstand.

Vielen Dank für das Gespräch.

© Sachverständigenrat-Wirtschaft, Uwe Voelkner

Ulrike Malmendier ist Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft sowie Cora Jane Flood Professor of Finance an der University of California in Berkeley, Professor of Economics am Department of Economics und Professor of Finance an der Haas School of Business.

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