Wenn Dir jemand hilft, dann hilf doppelt zurück

Muhamed Alahmed ist ein Wirtschaftsjunior, wie er im Buche steht: Führungskraft, Netzwerker und Engagierter. Auf seinem Weg dahin musste er immer wieder über sich hinauswachsen und Hürden überwinden. Heute hat er Selbstzweifel hinter sich gelassen und ist stolz auf das bereits Erreichte.

Es war Mitte November, als ich Muhamed zum digitalen Gespräch traf. Nach gut einer Stunde voller Geschichten stand ich vor der Herausforderung, einem so facettenreichen Menschen auf so wenig Platz gerecht zu werden. Sollte ich mich darauf konzentrieren, wie er im Jahr 2016 als 21-jähriger aus Syrien nach Deutschland kam und hier bei Bergwerk IT vom Auszubildenden zur IT-Führungskraft und anschließend zum Agenturleiter aufstieg?

Nein. Dieser Fokus würde unweigerlich den Eindruck erwecken, dass Muhamed „der Fremde“ ist. Doch eines wird schon nach wenigen Sätzen klar: Muhamed ist Schweriner. Seine Geschichte dreht sich nicht um das Ankommen, sondern um das Gestalten. Ich konzentriere mich deshalb vorrangig darauf, mit welcher Begeisterung er heute über seine Wahlheimat spricht, wie er in der Sieben-Seen-Stadt Netzwerke aufbaut, wohltätige Projekte unterstützt und unternehmerisch denkt und handelt.

Früher habe ich schon oft gedacht, dass ich etwas nicht schaffe oder nicht gut genug bin […] Heute denke ich, ich kann alles schaffen.

Muhamed Alahmed

Ausbildung trotz Einser-Abitur

„Ich konnte kein Wort Deutsch, als ich nach Deutschland kam“, erzählt Muhamed. Von Anfang an wusste er, dass er sich hier eine Zukunft aufbauen will. Sein Einser-Abitur wurde anerkannt, doch statt des Medizinstudiums in Bayern entschied er sich für eine IT-Ausbildung – gegen den Rat seiner Eltern: „Meine Eltern hatten Bedenken, weil sie dachten, eine akademische Laufbahn sei der einzige Weg zum Erfolg. Aber ich wollte etwas Praktisches lernen, womit ich direkt arbeiten kann.“ Da seine Eltern sehr modern eingestellt waren, unterstützten sie ihn. Innerhalb von nur sechs Monaten lernte Muhamed ausreichend Deutsch, um die Ausbildung in Schwerin starten zu können.

Was Muhamed über diese Zeit erzählt, ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die berufliche Ausbildung. Mit ihr könne man sehr schnell selbstständig werden, ist schneller fertig als beim Studium, und der Spaß komme wie beim Studentenleben ebenfalls nicht zu kurz. Das Studium ließe sich später noch dranhängen, weiß Muhamed aus eigener Erfahrung. Er arbeitete sich Schritt für Schritt nach oben, wurde Führungskraft, studierte berufsbegleitend IT-Business-Manager für Innovationen und ist nun Agenturleiter.

Für seinen Ausbilder und Förderer Holger Frank, heute auch sein Geschäftspartner, waren die anfänglichen Verständigungsprobleme kein Hindernis. „Holger hat damals etwas in mir gesehen, wohl auch meine Entschlossenheit“, so Muhamed. Holger war es auch, der Muhamed zu den Wirtschaftsjunioren brachte.

Die WJ Schwerin: Wie eine Familie

© privat

2021 nahm Holger Muhamed mit zu einem Netzwerkabend der Wirtschaftsjunioren in Schwerin. Er hatte ihn überzeugt, dass er dort gut reinpassen würde. Holger sollte recht behalten. Bereits beim Kennenlernen unterschrieb Muhamed das Anmeldeformular. Seither besuchte er nahezu jede WJ- Veranstaltung und organisierte das 30-jährige Jubiläum mit. Dadurch intensivierte sich der Austausch mit den Vorstandsmitgliedern. Sie fragten ihn relativ schnell, ob er ebenfalls in den Vorstand kommen wolle. „Ich glaube, sie haben damals gemerkt, dass ich richtig Bock habe!“, erinnert er sich.

Muhamed beschreibt die Wirtschaftsjunioren Schwerin als Ort, an dem er sich sofort wohlfühlte, weshalb er auch in den Vorstand eintrat: „Bei den Wirtschaftsjunioren durfte ich von Anfang an ich selbst bleiben“, sagt er. „Man fühlt sich wie in einer Familie. Egal, wo man ist – in Schwerin oder anderswo – man traut sich einfach, anzurufen und findet Anschluss. Wir in Schwerin feiern zum Teil Geburtstage, Silvester und Einweihungsfeiern gemeinsam, besuchen uns zu Hause.“ Muhameds Engagement bei den WJ ist vielfältig, sein Herzensprojekt ist die „Kauf-1-mehr-Aktion“, die jedes Jahr im Advent stattfindet. „Das ist eine richtig coole Aktion. Wir stehen einen Tag lang mit unserem Roll-up in einem Supermarkt und bitten die Menschen, eine Sache zusätzlich zu kaufen und zu spenden. Im letzten Jahr hatten wir am Ende etwa acht Einkaufskörbe mit Lebensmitteln und Drogerieprodukten zusammen“, berichtet Muhamed stolz. Er achte dabei immer darauf, dass es Alltagprodukte sind und auch etwas für Haustiere dabei ist. Der Tag sei zwar extrem anstrengend, allerdings stellen sich danach auch extreme Glückgefühle ein, wie man es bei Sport nach einem harten Training kennt. Besonders begeistert ihn die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen wie der Schweriner Tafel. Das Netzwerken liege ihm einfach.

© privat

Der geborene Netzwerker

Wenn Muhamed über Schwerin spricht, leuchten seine Augen. Die Verbundenheit zu seiner Wahlheimat und dessen Menschen hat er sich selbst geschaffen. „Am Anfang dachte ich, es gibt gar keine anderen Leute aus anderen Ländern“, sagt er grinsend. Heute weiß er es besser: Sein internationaler Stammtisch zählt mittlerweile etwa 250 Teilnehmende aus 72 Ländern. Es gibt noch eine weitere selbstgewählte Verpflichtung, der Muhamed sehr gern nachkommt. Er ist als Rollstuhlpilot in einem Pflegeheim engagiert. Angefangen hat alles mit einer älteren Frau, der er unterwegs spontan half. Auf dem Weg zurück zum Pflegeheim unterhielten sie sich und er bot an, regelmäßig zu kommen und den Bewohner:innen Gesellschaft zu leisten. „Ich wollte so auch mehr über die Kultur und auch die Sprache lernen. Erstmal waren sie aber skeptisch. ‚Was macht der hier?‘, haben sie gedacht. Ich glaube, sie hatten nie Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund.“ Die Skepsis verflog schnell. Als Rollstuhlpilot fährt Muhamed mit den Bewohner:innen spazieren und hört ihnen zu. Er ist dabei besonders an der Geschichte Schwerins interessiert, vor allem an der DDR-Zeit. „Davon können sie aus der eigenen Perspektive erzählen, sie wissen, wie es wirklich war.“

Gutes tun liegt in der Familie

Muhameds engagiert sich mit einer Begeisterung und Überzeugung, die nachhaltig beeindruckt. Ich frage ihn, woher das komme, ob er ein Vorbild hat. Ohne Zögern antwortet er: „Mein Vater hat immer gesagt, grob übersetzt: ‚Wenn dir jemand hilft, dann hilf doppelt zurück.‘ Er selbst war auch immer ehrenamtlich unterwegs, hat eine Schule in Syrien aufgebaut. Dafür mag ich ihn sehr.“ Für Muhamed ist Helfen selbstverständlich. Es fühle sich gut an, auch ohne Lob. Er weiß: Jeder – auch er – könnte einmal auf Hilfe angewiesen sein.

„Ich kann alles schaffen!“

Muhamed setzt Ideen ohne Zögern um. Auf die Frage nach seinem Selbstvertrauen sagt er: „Früher habe ich schon oft gedacht, dass ich etwas nicht schaffe oder nicht gut genug bin. Aber durch die Unterstützung und Bestätigung des Umfelds, ist mein Selbstvertrauen gestiegen. Heute denke ich, ich kann alles schaffen – vielleicht bin ich sogar etwas zu selbstbewusst.“ (Lacht selbstironisch)

Muhamed erklärt, dass es ewig gebraucht hat, bis er zu diesem Punkt gekommen ist. Er ist stolz auf das Netzwerk, das er sich aufgebaut hat und mit dessen Hilfe er richtig viel lernen konnte. „Und ich bin ziemlich stolz darauf, dass ich innerhalb einer Firma so viele Positionen erreicht habe. Das ist selten und wirklich schwer, wenn man als Auszubildender startet.“

Muhameds Weg zeigt, dass Ankommen nicht das Ziel, sondern der Anfang von etwas Großem ist. Seine Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie man mit Mut, Offenheit und Entschlossenheit nicht nur sich selbst, sondern auch die Gemeinschaft um sich herum wachsen lassen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

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