Warum Vereinbarkeitspolitik zur Chefsache werden muss

Unsere neueste Mitgliederumfrage zu Vereinbarkeit von Beruf und Familie wo die junge Wirtschaft in ihrem unternehmerischen Handeln an Grenzen stößt. Dabei könnte und möchte sie deutlich mehr zur Fachkräftesicherung und Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Das neue Positionspapier „Vereinbarkeit“ richtet deshalb 17 Forderungen für bessere Rahmenbedingungen an die Politik. 

Deutschland steht vor einem Wendepunkt: Der Fachkräftemangel bedroht unsere Wirtschaftskraft, während gleichzeitig Millionen von Menschen – insbesondere Mütter und pflegende Angehörige – ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen können. Die Lösung liegt nicht in komplizierten Förderprogrammen oder teuren Subventionen, sondern in einer durchdachten Vereinbarkeitspolitik, die endlich alle Erwerbsformen mitdenkt.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache
Unsere jüngste Mitgliederumfrage unter fast 900 Wirtschaftsjunior: innen bringt es auf den Punkt: 76 Prozent sehen in besserer Vereinbarkeit einen entscheidenden Hebel zur Fachkräftesicherung. Allein bei Müttern mit Kindern unter sechs Jahren liegt ein Arbeitskräftepotenzial von knapp 840.000 Personen brach (Prognos, 2022). Noch deutlicher wird es bei den konkreten Hemmnissen: 37 Prozent der Eltern finden keinen geeigneten Betreuungsplatz, bei Säuglingen klaff t eine wöchentliche Betreuungslücke von fast 11 Stunden. Gleichzeitig wollen einige der Befragten bei besseren Rahmenbedingungen mehr arbeiten. Die Bereitschaft ist da, die Strukturen fehlen. Vereinbarkeitspolitik ist somit kein soziales Nice-to-have, sondern knallharte Wirtschaftspolitik mit positiven Eff ekten auf Beschäftigungszahlen, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

Selbstständige: Die vergessene Gruppe
Besonders prekär ist die Situation für junge Unternehmer:innen. Während Arbeitnehmer:innen von Mutterschutz und Pflegeunterstützungsgeld profitieren, gehen Selbstständige oft leer aus.

Beispiel Mutterschutz
Für selbstständige Frauen gibt es praktisch keine geeigneten Absicherungsinstrumente während der Schwangerschaft. Das Kranken(tage)geld ist aufgrund zahlreicher Ausschluss kriterien ungeeignet, Betriebskosten- und Ausfallversicherungen decken weder Mutterschutzzeiten noch schwangerschaftsbedingte Arbeitseinschränkungen ab. Schwangere Selbstständige bezahlen ihren Kinderwunsch oft mit erheblichen finanziellen Einbußen, die schlimmstenfalls zur Insolvenz führen können.

Beispiel Pflege
Während Angestellte problemlos Pflegeunterstützungsgeld beziehen können, um beispielsweise den kranken Vater zu pflegen, steht den selbstständigen Unternehmer:innen diese Leistung nicht zu, obwohl sie dieselbe oder mehr Verantwortung tragen und womöglich höhere Einkommensverluste haben. Dabei kommt diese Leistung aus der Versicherung des zu Pfl egenden. Die Wirtschaftsjunioren Deutschland haben deshalb ein umfassendes Forderungspaket entwickelt, das in fünf Handlungs feldern konkrete Lösungen aufzeigt:

Vereinbarkeit als strategische Maßnahme: Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen und einen verbindlichen Ausbauplan für flächendeckende, flexible Betreuungsangebote. Gleichzeitig müssen bürokratische Hürden abgebaut werden, etwa durch automatisierte Verfahren bei familienbezogenen Leistungen.

Kinderbetreuung neu denken: Statt nur auf staatliche Lösungen zu setzen, sollten elterninitiierte und betriebliche Betreuungsangebote durch Zuschüsse und Betriebsausgabenpauschalen von bis zu 20.000 Euro gefördert werden. Zusätzlich brauchen wir eine unbürokratische Anerkennung pädagogischer Abschlüsse aus dem EU-Ausland.

Mutterschutz für Selbstständige: Die gesetzliche Verankerung eines Mutterschutzanspruchs für Selbstständige ist längst überfällig. Ein umlagefinanziertes Modell mit branchenspezifischen Lösungen würde Gerechtigkeit schaff en, ohne andere zu belasten.

Elternzeit modernisieren: Das Elterngeld muss an die Inflation angepasst werden – von 1.800 auf heute 2.593 Euro. Gleichzeitig sollte der parallele Bezug von Basiselterngeld ohne Einbußen im ersten Lebensjahr wieder möglich sein.

Pflegeunterstützung gerecht gestalten: Unternehmer: innen, die Angehörige pflegen, brauchen dieselben Unterstützungsleistungen wie Angestellte. Das Pflegeunterstützungsgeld muss auch für Selbstständige geöffnet werden.

Unternehmerische Lösungen statt Staatsgläubigkeit
Entscheidend ist: Wir setzen nicht nur auf den Staat, sondern auf einen klugen Mix aus verlässlichen Rahmenbedingungen und unternehmerischen Lösungen. 87 Prozent der Befragten nennen flexible Betreuungszeiten als zentrale Voraussetzung. Genau hier können Unternehmen mit kreativen Lösungen punkten. Viele Betriebe wollen bereits heute eigene Betreuungsangebote schaff en, scheitern aber an komplizierten Förderprogrammen und fehlenden steuerlichen Anreizen. Hier müssen die politischen Weichen neu gestellt werden.

Der Weg nach vorn
Vereinbarkeitspolitik ist Wirtschaftspolitik. Sie entscheidet darüber, ob Deutschland seine demografischen Herausforderungen meistert oder an ihnen scheitert. Die Wirtschaftsjunioren Deutschland legen mit ihrem neuen Positionspapier praxisnahe Lösungsvorschläge vor. Jetzt liegt es an der Politik, diese Impulse aufzugreifen und umzusetzen. Denn eines ist klar: Wenn wir heute in Vereinbarkeit investieren, sichern wir die Fachkräfte, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von morgen. Das muss es uns wert sein.

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