Bildung ist Zukunft

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg ist Unternehmerin, Zukunftsforscherin und Digitalisierungsexpertin. Wir haben mit ihr über Zukunftskompetenzen, nachhaltige Teamentwicklung und Entrepreneurship Education gesprochen.

Frau Ternès, mit Ihrem Social Impact Unternehmen „GetYourWings“ vermitteln Sie Zukunftskompetenzen, mit der Zukunfts Academy unterstützen Sie Absolventen bei der Suche nach ihren individuellen Zukunftskompetenzen und damit verbunden ihrem optimalen beruflichen Weg. Was sind denn Zukunftskompetenzen?

Zukunftskompetenzen oder auch „Future Skills“ sind Schlüsselkompetenzen, die es einem Menschen ermöglichen, mit der zunehmenden Komplexität und Veränderung durch die Digitalisierung und andere Megatrends flexibel umgehen zu können – und diese Veränderungen auch mitgestalten zu können. Wir brauchen diese Kompetenzen, um uns zu starken, sozialen, zukunftsfähigen Persönlichkeiten zu entwickeln, die gemeinsam mit anderen den nachhaltigen Erfolg von Wirtschaft und Gesellschaft sichern. Und zwar so, dass der Weg dorthin immer menschenwürdig und werteorientiert bleibt. Das ist unsere Definition.

Und wie vermitteln Sie diese Zukunftskompetenzen?

Wir unterteilen das Ganze in drei Module. Wir nennen diese Module „Gesundes Ich“, „Starkes Ich“ und „Zukunftsgestalter“. Dabei verbinden sich die Kompetenzen auch ein wenig: Bei „Gesundes Ich“ fangen wir ganz niederschwellig mit Kochen, Backen, Essen zubereiten an. Hier geht es darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man sich selbst gut nähren kann und was für den eigenen Körper gut ist. Mit allen Sinnen Nahrungsmittel zu erfassen kann aber gleichzeitig auch schon Sozialkompetenz sein: Wenn es darum geht, dass man etwas zubereiten möchte und das Team aufteilen muss. Wer schnippelt, wer kauft ein? Das hört sich profan an, aber in der Praxis ist das eine wichtige Organisationsaufgabe.  

Beim „Starken Ich“ nehmen wir die Sozialkompetenzen in den Blick, hier geht es aber auch  sehr stark um Medienkompetenz. Etwa: Respekt im Internet oder wie man sich gegen Cybermobbing wehrt. Das dritte Modul „Zukunftsgestalter“ schaut dann nochmal auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten und was die Person daraus machen kann. Diejenigen, die dieses dritte Modul durchlaufen, gestalten zum Beispiel eine soziale Kampagne. Dabei zeigen und lernen sie, dass sie ihre eigenen Fähigkeiten gut einbringen und tolle soziale Projekte in ihrem direkten Umfeld umsetzen können. Gleichzeitig geht es auch um die Fragen: Wer bin ich? Welche Jobs passen zu mir? Wie kann ich meine Potentiale optimal  entfalten? Das ist für uns immer ein ganz wichtiger Punkt.

Nun haben wir alle in diesem Jahr gelernt, dass zur Zukunftskompetenz auch gehört, das Unerwartete zu erwarten – oder zumindest damit umgehen zu können. Wie bereiten wir uns denn am besten auf das Unerwartete vor?  

Das ist ein guter Punkt. Wir Menschen sind ja eigentlich darauf ausgelegt, dass wir gerne den Autopiloten einschalten und Dinge energiesparend aus der Gewohnheit heraus machen. Ein allgemeines Beispiel: Wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich giftige Schlangen meiden sollte, weil ich sonst Probleme mit meiner Gesundheit bekommen könnte, dann ist es natürlich gut, wenn ich mir das merke. Sonst muss ich jedes Mal, wenn ich auf so eine Schlange treffe, wieder überlegen, was zu tun ist. Dieser Autopilot ist tatsächlich etwas fundamental Wichtiges für uns, denn er regelt , dass wir mit weniger Energieaufwand mehr Entscheidungen treffen können und so mehr Reserven haben. Je mehr wir gefordert sind, Entscheidungen zu treffen, desto mehr Energie wird eben dafür gebraucht. Wenn die Anforderungen mehr werden, dann noch eine Planungsunsicherheit dazu kommt, was unsere Zukunft betrifft, dann wird extrem viel Energie verbraucht. Und genau das merken viele von uns gerade: Das Immunsystem wird geschwächt, wir fühlen uns mental und physisch nicht so fit, uns überfordert dann manchmal schon die Entscheidung, ob wir morgens lieber Kaffee oder Tee trinken wollen. Das hört sich übertrieben an, ist es aber leider nicht. Wenn das Limit erreicht ist, ist das Limit eben erreicht. 

Nun, wie können wir uns davor schützen oder besser auf so etwas vorbereiten? Erstmal: Simplify your life! Indem wir versuchen, unseren Alltag ein bisschen einfacher zu gestalten, dass wir weniger Entscheidungen treffen müssen. Und wenn wir entscheiden, dass wir dabei weniger analytisch vorgehen und mehr auf unsere Bauchgefühl hören. Ruhe reinbringen. Es muss jetzt nicht jeder irgendwelche Meditationen nach Anleitung machen, aber wenn wir uns jeden Tag einfach ein paar Minuten dafür nehmen, in die Stille zu gehen oder einfach nur abzuschalten, die Augen schließen oder einen Spaziergang an der frischen Luft: Das tut schon richtig gut und hilft um wieder Kraft zu schöpfen. Auch Essen, das man genießt, und gute Gespräche mit Freunden und Familie tragen zur inneren Stabilität bei. 

Wie haben denn die Pandemie und die Kontaktbeschränkungen Ihre eigene Arbeit verändert?

Bei GetYourWings haben wir ja schon immer Digitalkompetenzen gestärkt, haben programmiert mit Kids oder eben auch Digitaltools angewendet. Aber seit dem ersten Lockdown im März haben wir uns wirklich komplett digitalisiert: Alle Arbeitsmaterialien sind jetzt digital. Das war ein ziemlicher Aufwand, aber es hilft natürlich gerade auch den Schulen, die viele Angebote momentan einfach nicht vor Ort durchführen können. Ich arbeite sowieso seit Jahren digital, lagere meine Daten in der Cloud und mein Büro ist auf Laptop, Smartphone und virtuelle Plattformen reduziert. Damit hat sich meine persönliche Arbeitsweise gar nicht sehr verändert. Allerdings ich bin vorher viel unterwegs zu Terminen und Konferenzen gewesen und schätze den persönlichen Kontakt. In den persönlichen Austausch zu gehen ist durch ein virtuelles Meeting nicht ersetzbar. Auch wenn ein virtuelles Meeting dafür andere Vorteile bietet.

In Ihrer Arbeit sprechen Sie regelmäßig von nachhaltiger Bildung und nachhaltiger Weiterbildung. Was macht für Sie nachhaltige Bildung aus?

Für mich sind dabei drei Begriffe zentral: Zukunftsorientierung, mentale und physische Gesundheit sowie Werteorientierung. Nach diesen Prinzipien haben wir auch unser pädagogisches Konzepte erarbeitet. Nachhaltig heißt für mich ressourcenorientiert und auf langfristige Wirksamkeit angelegt. Natürlich ist da auch immer der Dreiklang aus ökonomisch, ökologisch und sozial mit dabei. Nachhaltigkeit heißt für mich auch, dass man schaut, ob etwas Sinn macht. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind für mich keine Gegensätze, sondern absolut miteinander vereinbar.

Wie schaffe ich es denn in der Umsetzung zum Beispiel als Führungskraft, mein Team nachhaltig zu entwickeln? 

Nachhaltig zu entwickeln heißt zum Beispiel, dass ich alle meine Mitarbeiter mitnehme, und zwar von Anfang an. Dass ich also nicht Top-down agiere, und auch nicht unbedingt Bottom-up, sondern wie in einer Matrix. Agil ist dabei ein wichtiges Stichwort, Resilienz auch. Wichtig ist es, dass das Entwickeln erstmal bei mir selbst anfängt. Denn eine Führungskraft kann ich in einem modernen Setting nur sein, wenn ich bei mir selbst anfange, mit Self-Empowerment – aber auch mit Reflexion und Verständnis meiner selbst und meines Handelns. Eine Führungskraft sollte in sich ruhen und dem Team als Rolemodel dienen, als eine Art Coach, der Prozesse begleitet, optimiert aber auch Verantwortung gibt und abgibt, um ein Team selbstständig laufen zu lassen. Auch Scheitern gehört dazu. Fehlerkultur ist etwas ganz Wichtiges, wird aber oft noch falsch verstanden, so nach dem Motto: Du kannst dich ja gern ausprobieren, aber bitte mit top Ergebnis und schnell. Die Führungskraft darf ihre Mitarbeiter nicht ins offene Messer laufen lassen, sondern muss unterstützen, damit die Mitarbeiter mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden. 

Sie setzen sich für „Entrepreneurship Education“, also Unternehmertum als Schulfach ein. Warum ist Ihnen das wichtig und warum sollten Schulen sich darauf einlassen? 

Ich spreche bei dem Thema in verschiedenen Rollen, unter anderem als Vorstandsmitglied von NFTE, dem Network for Teaching Entrepreneurship, ein Verein, der seit mehr als 15 Jahren Unternehmergeist an die Schulen bringt, in dem er Lehrer und Lehrerinnen entsprechend ausbildet.  Ich engagiere mich auch bei „Ich mach mich selbstständig!“, einer Initiative der Industrie- und Handelskammer Berlin. Dabei gehen Gründerinnen und Gründer an die Schulen und erzählen, warum und wie sie gegründet haben. Das ist eine ganz neue Perspektive, denn ich möchte es mal so sagen: Lehrkräfte, die an Schulen unterrichten, sind selten Unternehmer gewesen. Also wie soll jemand Unternehmerfähigkeiten schulen, die sie wahrscheinlich selber nicht hat? Ich bin in den Rahmen auch stolz, eine der Vorbild-Unternehmerinnen des Bundeswirtschaftsministeriums zu sein und auch in dieser Rolle als Rolemodel für Mädchen in Schulen zu sprechen. Schulen sollten sich darauf einlassen, weil sie ein Bildungsort sind, der alle Kinder und Jugendlichen versammelt und diese Kompetenzen, die so wichtig sind, ohne externe Verstärkung schwer vermitteln kann. Diese Unternehmerkompetenzen sind meiner Meinung nach eins zu eins die Kompetenzen, die ich brauche als junger Mensch, um kritisch und konstruktiv die Zukunft mit zu gestalten. Die Fähigkeit, mit Scheitern umzugehen, Fehlerkultur, sich selbst zu reflektieren und so weiter. Die Liste ist lang. 

Am Ende gibt es kaum etwas Nachhaltigeres als Bildung: Bildung ist Zukunft. Ich glaube, dass gute Bildung die Voraussetzung für Chancengerechtigkeit, für Innovation und auch für Demokratie ist. Sie ist die solide Grundlage, die auch darüber entscheidet, ob ein Unternehmen, ob eine Gesellschaft, ob ein Land letztendlich auch in der Zukunft seine Position in der Welt behaupten kann.

Vielen Dank für das Gespräch!