Einen Mehrwert schaffen
Verantwortungseigentum, das ist doch nur was für Weltverbesserer-Start-ups! Oder? Tobias hat Génica Schäfgen getroffen und gefragt, ob das stimmt.
Interview von Tobias Hocke
Liebe Génica, magst Du Dich kurz vorstellen und uns erzählen, wie Du zu Ecosia gekommen bist?
Sehr gerne! Ich bin 30 Jahre alt, Berlinerin und arbeite jetzt seit fünf Jahren bei Ecosia. Vorher habe ich im Influencer Marketing gearbeitet, was auch viel Spaß gemacht hat. Aber ich habe irgendwann im klassischen Marketing gemerkt, dass ich ein Problem damit habe, immer weiter zum Konsum beizutragen durch meine Arbeit. Ich wollte etwas machen, das viel näher an meinen Werten dran ist. Zu der Zeit war zufällig eine Stelle bei Ecosia ausgeschrieben, als Market Lead für den deutschsprachigen Raum. Mittlerweile bin ich Teil des Climate Action Teams, das sich sehr spezifisch darum bemüht, dass wir uns nicht nur in Bezug auf Baumpflanzprojekte gut aufstellen, sondern auch in den anderen klimarelevanten Strategiebereichen. Also zum Beispiel Klimaschutz, erneuerbare Energien, regenerative Landwirtschaft, politisches Campaigning und so weiter. Außerdem bin ich auch noch im Vorstand des Social Enterpreneurship Netzwerks Deutschland und der Stiftung Verantwortungseigentum. Beide Themen sind mir ebenfalls sehr ans Herz gewachsen.
Wie funktioniert die Suchmaschine Ecosia? Habt Ihr Euren eigenen Suchalgorithmus und Rechenzentren, oder seid Ihr eine Art Frontend auf einen der großen Provider?
Wir sind ein Team von ungefähr 100 Leuten und haben einen Jahresumsatz von voraussichtlich 30 Millionen Euro. 100 Prozent unserer Gewinne werden für Umwelt und Klima verwendet, allem voran die Baumpflanzprojekte. Ich glaube, das beantwortet schon fast die Frage: Nein, wir haben keinen eigenen Algorithmus, denn dann wären wir ein deutlich größeres Team mit deutlich höheren Kosten. Wir nutzen den Algorithmus und das Werbenetzwerk von Microsoft Bing. Unsere Suchmaschine ist nicht einfach nur eine Suchmaske, die darauf gebaut wurde. Stattdessen füttern wir weitere, vor allem Klima-relevante, Daten rein. Mit denen bauen wir dann bestimmte Widgets, die die Search Experience auf unserem Produkt noch mal abheben von anderen Wettbewerbern. Wenn dann jemand auf eine Werbung klickt, die zum Beispiel erscheint, weil die Person nach ‚Hotel in Berlin‘ gesucht hat und eine Anzeige einer Hotelbuchungsplattform öffnet, dann verdienen wir Geld. Also: Gleiches Prinzip wie bei anderen bekannten Suchmaschinen, nur der Unterschied ist dann eben, wie wir dieses Geld verwenden.
Wir Wirtschaftsjunioren machen ja fast alles im Ehrenamt, mit ein bisschen Unterstützung aus dem Hauptamt. Das ist, muss man zugeben, auch manchmal nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Wie funktioniert das im Social Entrepreneurship – könnt Ihr gut leben von Euren Jobs?
Es funktioniert eigentlich ganz gut! Klar, wenn man sich jetzt mit den großen Playern wie Google, Amazon oder Microsoft vergleicht, werden unsere Gehälter wahrscheinlich schlechter abschneiden. Trotzdem würde ich sagen, es gibt eine sehr wohlwollende Gehaltsstruktur. Das kommt daher, dass Social Entrepreneurship sich auch so versteht, dass man nicht nur nach außen sozial agiert, sondern auch nach innen. Niemand soll ausgebeutet werden dafür, dass man gemeinwohlorientiert arbeitet. Ich wünschte, das würde auch für soziale Berufe und im Gesundheitssystem gelten.
Aber der Pupose zieht auch Leute an?
Viele unserer Entwickler:innen könnten auch in einem der großen Tech-Unternehmen arbeiten. Aber sie ziehen den Job bei Ecosia den „normalen“ Tech-Unternehmen vor. Eben weil sie von der Sache überzeugt sind. Diese intrinsische Motivation, die daraus entsteht, dass man nah an den eigenen Werten arbeiten kann, ist ein enormer Driver – den man nicht überall findet, egal wie hoch das Gehalt ist.
Ecosia ist aktuell als GmbH strukturiert – tatsächlich auch nicht als gGmbH. Warum nicht? Und peilt Ihr – Stichwort Verantwortungseigentum – womöglich eine ganz andere Struktur an?
Genau, aktuell sind wir eine GmbH. Wir sind keine gGmbH, weil wir nicht so richtig gesehen haben, was der Vorteil darin ist. Denn unser Ziel war es immer, zu zeigen: Unternehmertum im Sinne der GmbH funktioniert zum Wohl der Gesellschaft. Man kann wachsen, man kann gute Gehälter zahlen und trotzdem einen großen Mehrwert für das Gemeinwohl leisten. Dazu hat die GmbH gut gepasst. Nun war das Problem aber, dass dieses Setup, dass wir 100 Prozent unserer Gewinne für Baumpflanzprojekte und Climate-Action weggeben, nirgends in Stein gemeißelt werden konnte. Würden jetzt unsere Gesellschafter ausgetauscht werden – weil jemand stirbt, jemand aus dem Unternehmen raus will, wegen einem Verkauf, was auch immer – dann könnte es natürlich sein, dass jemand anders reinkommt und ganz andere Interessen hat. Sich zum Beispiel lieber in die eigene Tasche wirtschaften will und den Shareholder Value über den Purpose stellt. Das will aber niemand, der aktuell bei Ecosia arbeitet oder Ecosia führt. Und um das also sicherzustellen, haben wir uns ein bisschen umgeguckt, welche Möglichkeiten wir haben. Es gibt die gGmbH, die dann aber doch nicht so rüttelfest ist, wie wir es uns wünschen. Es gibt die Genossenschaft, die vom Entscheidungsprozess her unheimlich langsam ist und viel ausbremst.
Und dann sind wir auf die Eigentumsform Verantwortungseigentum, beziehungsweise „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“, gestoßen. Das ist eine Idee, die es schon vor über 120 Jahren in Deutschland gab. Die ersten Unternehmen, die das hier umgesetzt haben, waren Zeiss und Bosch. Und zwar haben diese Unternehmen mit Hilfe einer komplexen Stiftungs-Struktur sichergestellt, dass das jeweilige Unternehmen unverkäuflich, also unabhängig von Spekulationen bleibt. Gleichzeitig bleibt das Vermögen an das Unternehmen gebunden, muss also entweder ins Unternehmen reinvestiert oder gemeinwohlorientiert ausgegeben werden. Und aus dieser Idee hat sich eine Bewegung entwickelt, die seit etwa 2018 in Deutschland sehr groß geworden ist. Wir sind Teil dieser Bewegung und seit 2018 auch in Verantwortungseigentum, weil wir an die Idee glauben, dass Unternehmertum nicht auf Kosten der Gesellschaft geschehen soll, sondern zu ihren Gunsten. Und wir glauben, dass ein Großteil der Wirtschaft das auch so sieht und es auch gerne festgeschrieben hätte, gesetzlich.
Deshalb gibt es gerade diese Zwischenlösung, bei der das Stiftungsrecht genutzt wird. So eine Stiftungsstruktur ist ja außerdem wahnsinnig kostspielig aufzubauen, manchmal auch langwierig, manchmal sehr komplex. Und viele Start-ups oder kleine Mittelständler können und wollen sich das nicht leisten, würden aber eigentlich gerne im Verantwortungseigentum sein – und für die fehlt gerade die Option. Deswegen setzen wir uns als Bewegung dafür ein, dass es eine richtige Rechtsform für dieses Thema gibt. Damit eben man nicht eine Stiftung nutzen muss, sondern sagen kann: Wir sind beispielsweise eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen und das bedeutet, wir bleiben unabhängig und die Gewinne sind zweckgebunden auszugeben.
Wer trifft denn die operativen Entscheidungen im Verantwortungseigentum? Im Verantwortungseigentum gibt es ja keine klare Eigentümerstruktur.
Ich würde sagen, dass die Art und Weise, wie die Eigentumsform Einfluss nimmt auf die Unternehmenskultur und Entscheidungsprozesse, von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Zum Beispiel Soulbottles, ein Start-up aus Berlin, Sozialunternehmen, arbeitet meines Wissens mit Holocracy. Also basisdemokratisch. Einhorn, der Hersteller von Kondomen und Periodenprodukten, verfolgt auch New Work-Ansätze. Und es gibt alteingesessene Familienunternehmen im Verantwortungseigentum, die sehr klassisch aufgebaut sind. Wir bei Ecosia sind von den Entscheidungsprozessen her aufgebaut wie ein Mittelständler mit schlanken Strukturen. Ich glaube aber schon, dass die Unternehmen, die sich für Verantwortungseigentum entscheiden, generell einen anderen Blick auf Themen wie Hierarchie, Teilhabe und Wertschätzung der Mitarbeiter:innen haben.
Funktioniert Verantwortungseigentum für jede Geschäftsidee?
Es geht schon darum, wie das Geld ausgegeben werden darf und ob und wie viele Anteile verkauft werden dürfen. Das wird von Anfang an mitgegeben und festgelegt. Diese Festlegung hat trotzdem noch eine gewisse Flexibilität. Also zum Beispiel bedeutet Verantwortungseigentum für Ecosia nicht, dass wir für immer Bäume pflanzen müssen. Stattdessen muss unser Geld in Klimaschutz und das Ökosystem investiert werden und da gibt es ja ganz viele verschiedene Möglichkeiten. Also es gibt eine Struktur, die einen gewissen Wertekompass vorgibt, die aber trotzdem nicht zu statisch ist, als dass man sich nicht wieder neu erfinden könnte als Unternehmen.
Ist Verantwortungseigentum also auch eine Möglichkeit für Gründerinnen und Gründer, dem Unternehmen eine Richtung vorzugeben und so quasi Ihr Vermächtnis zu konservieren – und den nachfolgenden Generationen die Hände zu binden?
Ich würde sagen, Verantwortungseigentum ist immer eine gute Idee, wenn du einen Mehrwert durch dein Unternehmen schaffen möchtest. Aber wenn es darum geht, dass du vor allem einen großen Exit machen möchtest, was vollkommen legitim ist, dann eignet es sich vielleicht nicht so sehr.
Innerhalb der Unternehmen im Verantwortungseigentum gibt es die unterschiedlichsten Geschäftsmodelle. Das ist auch das Spannende an dieser Eigentumsstruktur: Die Diversität der Themen, für die es passt. Es macht für so viele Unternehmer:innen da draußen enorm viel Sinn. Diese flächendeckende Eignung ist auch der Grund, weshalb es dringend einer Rechtsform bedarf, die die Zugänglichkeit dazu erhöht.
Letzte Frage: Was bedeutet Teilhabe für Dich?
Teilhabe bedeutet für mich, dass ich mich mit dem, was das Unternehmen tut, identifiziere und das Gefühl habe, es mitgestalten zu können. Und das muss nicht zwangsläufig ein basisdemokratischer Unternehmens- oder Culture-Stil sein. Es kann auch einfach bedeuten, dass man in seiner Rolle den Gestaltungsfreiraum hat, werte- und zwecknah mitzuwirken.
Vielen Dank, liebe Génica!
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