Verantwortung und Workations

Yaël Meier und Jo Dietrich haben 2020 die GenZ-Agentur ZEAM gegründet, zwei gemeinsame Kinder und zusammen knapp 160.000 Follower bei Linkedin. Wir haben die beiden in Zürich getroffen, um über Arbeit, Vereinbarkeit und junge Menschen zu sprechen.

Interview von Laura Jorde und Kristina Kastner

© Dominik Lindegger

Liebe Yaël, lieber Jo, was bedeutet Arbeit für Euch?

Yaël: Arbeit ist etwas, was in unserer Leistungsgesellschaft ganz normal ist. Man arbeitet. Und wir werden auch vorbereitet auf ein Leben, in dem man arbeitet. Ich nehme an, das war „schon immer“ so. Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist, dass wir Arbeit heute anders definieren können, sodass die Arbeit so gestaltet ist, dass sie auch Spaß macht. Dass man nicht nur arbeitet, um zu arbeiten, sondern auch, um sich selbst zu verwirklichen, um etwas aufzubauen.

Jo: Was Arbeit für mich sicher nicht ist: Zeit, für die man bezahlt wird, um da zu sein. Ich glaube, Arbeit ist immer auf eine Art schöpferisch. Also, man arbeitet, wenn man etwas erschafft. Und ich glaube, das ist auch das, was dann erfüllend ist an der Arbeit. Wenn man etwas erschaffen hat. Egal, ob man eine Mauer baut, einen Menschen heilt oder eine Firma gründet.

Was ist denn mit Care-Arbeit? Das ist keine besonders schöpferische Tätigkeit.

Jo: Doch! Denn man entwickelt ja die Kinder zum Beispiel oder die älteren Menschen, die betreut werden. Wenn man etwas leistet, entsteht etwas! Wenn man einfach nur dort sitzt und für die Zeit bezahlt wird, die man dort sitzt, entsteht nichts.

Yaël: Ich glaube, die Diskussion um Arbeit, also die Debatte, was ist Arbeit, wie viel wollen wir arbeiten, was muss ein Arbeitgeber uns bieten? Die gibt es nur, weil sich die Definition von Arbeit verändert hat. Weil wir eben etwas schöpfen wollen, etwas verändern wollen, weil es uns Spaß machen sollte.

Die Generation Y, die so zehn bis zwanzig Jahre älter sind als Ihr, erlebt Arbeit oft noch ganz anders. Weniger Spaß, mehr Druck, mehr Kampf um Status, mehr Burnout. Woher kommt dieser plötzliche Wandel?

Jo: Wir haben einfach das Glück der späteren Geburt. Wir sehen das auch bei Freund:innen von uns, die ein bisschen älter sind: Du hast eine riesige Babyboomer-Generation, die einfach alles versperrt. Bis ins mittlere Management hinein war alles geblockt. Du ackerst dich ab und hast keine Chance. Wir dagegen kommen in eine Wirtschaft hinein, die uns unbedingt will. Dass die Jungen jetzt fordernder erscheinen als die etwas Älteren, liegt einfach daran, dass sie fordern können. Weil die Wirtschaftslage eine andere ist.

Yaël: Hinzu kommt, dass unsere Generation völlig andere Möglichkeiten hat, sich zu vergleichen und auszutauschen. Ich kann jederzeit bei Linkedin nachlesen, wie Firma XY das eigentlich macht, mit ihren jungen Mitarbeitenden. Und dann kann ich mir überlegen: So soll es bei mir auch sein!

Jo: Mir ist aufgefallen, dass viele Junge diese Art von Austausch als empowering empfinden, als gegenseitiges Pushen, aber Ältere das eher als zusätzlichen Druck wahrnehmen. Nicht die zwanzig Jahre Älteren, aber die zehn Jahre Älteren. Die dann sagen „Müsst ihr immer so laut sein?“. Die empfinden die Situation nämlich wirklich als unfair. Ich glaube aber, das goldene Zeitalter der zehn Jahre Älteren kommt jetzt. Denn jetzt werden alle Führungspositionen frei – und sie stehen parat.

In der Schweiz machen ja sehr viel weniger Schülerinnen und Schüler Abitur bzw. Matura als in Deutschland – nur etwa 20 Prozent. Welche Auswirkungen hat das auf die jungen Menschen?

Yaël: Die Auswirkung ist vor allem, dass man früher ins Arbeitsleben einsteigt. Viele machen aber trotzdem dann noch ein Studium.

Jo: Also ich habe kein Abi gemacht, zum Beispiel, aber einen Bachelor und einen Master. Ich könnte jetzt auch einen Doktor machen, wenn ich wollte. Du bist nicht ausgeschlossen von diesem tertiären Weg. Aber du sammelst eben sehr früh Arbeitserfahrung und das kann ja auch beeinflussen, in welche Richtung du gehst. Ich dachte zum Beispiel immer, ich werde Journalist und nach dem ersten Praktikum habe ich gemerkt: vielleicht lieber doch nicht. Ich gehe Richtung Tech. Yaël: Ich habe Abi gemacht und wollte dann auch erstmal Praktika machen, bevor ich anfange, zu studieren. Ich habe gleich gemerkt, dass mir Arbeiten eigentlich sehr gut gefällt und dann auch gar nicht studiert. Ich glaube, grundsätzlich ist das ein sehr gutes System, denn Arbeitserfahrung zu sammeln und herauszufinden, was man wirklich machen will, ist wichtiger, als einfach ein Zertifikat in den Händen zu halten. Was es auch braucht, ist mehr Offenheit von Unternehmen gegenüber Quereinsteigenden und Leuten ohne Studium.

© Dominik Lindegger

Wie findet Ihr bei ZEAM Menschen, die zu Euch passen und worauf schaut Ihr dabei?

Yaël: Leute, die bei uns eine Chance bekommen, sind Leute, die Drive haben, die eigene Projekte umsetzen, die Gas geben.

Jo: Was wir suchen, nennen wir Leadership-Kompetenz. Und das bedeutet nicht, dass du Leute führen kannst. Wir suchen nach Leuten, die sich selbst führen können. Damit die das nicht einfach nur von sich behaupten, wollen wir Proof Points aus der Vergangenheit sehen. Das kann ein YouTube-Kanal sein, den du gemacht hast, oder eine Modekollektion, die du rausgebracht hast, was auch immer. Du brauchst das Potenzial, schöpferisch zu sein.

Yaël: Und was bei uns auch ganz anders ist als in den meisten Unternehmen: dass junge Leute direkt Verantwortung bekommen. Um Verantwortung übernehmen zu können, musst du wissen, was du damit machst. Und das zeigen Leute eben, indem sie selbst schon Verantwortung in eigenen Projekten übernommen haben.

Jo: Und man muss Entscheidungen treffen können. Das ist eine weitere Sache, die wir testen.

Die GenZ ist die erste Generation, die ein Leben ohne Internet nicht kennt. Wir erleben zudem gerade eine weitere Revolution, nämlich durch Künstliche Intelligenz. Wie wirkt sich KI auf Eure Arbeit aus?Jo: Wir haben schon früh angefangen, das Thema zu pushen, im November letzten Jahres, also noch vor dem großen ChatGPT-Hype. Unsere Mitarbeitenden haben dann im Dezember auch alle eine Schulung bekommen. Mittlerweile haben wir jemanden im Team, der nur für dieses Thema da ist. Der studiert auch Informatik nebenbei und entwickelt selbst Tools für uns. Und unser erfolgreichstes TikTok-Video für Ikea Schweiz im letzten halben Jahr wurde von einer KI gemacht. Sowohl die Idee als auch das Skript. Das ist schon sehr spannend, wie eben auch Kreativität damit möglich ist.

Yaël: Und auch andere Dinge ändern sich dadurch. Fehler in Mails und Bewerbungsschreiben waren früher schon ein No-Go. Aber jetzt zeigen solche Fehler auch: Jemand hat entweder nicht die Skills oder sich nicht die Mühe gemacht, das Anschreiben von einer KI checken zu lassen.

Jo: Interessanterweise entschuldigen sich Mitarbeitende noch bei uns dafür, wenn sie KI genutzt haben. Während es für uns eine Red Flag wäre, wenn sie es nicht tun würden! Aber das ist halt, was man ihnen vermittelt hat: KI zu nutzen sei cheaten. Unsere Einstellung ist aber: Wenn du deine schöpferische Kraft – durch was auch immer – verstärken kannst, do it!

Yaël: Ich glaube, das ist auch etwas, was junge Leute an sich haben: Wir versuchen, durch Technologie Dinge effizienter zu machen und sind intuitiv damit.

Jo: Bis heute gilt ja in weiten Teilen der Wirtschaft „Alter gleich Kompetenz“. Und eigentlich geht es da ja um „Erfahrung gleich Kompetenz“. Alter und Erfahrung haben sehr lange sehr stark miteinander korreliert, aber durch die Digitalisierung hat diese Korrelation stark abgenommen oder wurde sogar aufgehoben. Heute kann ein sehr junger Mensch sehr viel mehr Erfahrung haben mit etwas, das relevant fürs Business ist. Und wir stecken momentan in einem Prozess, in dem sich Kompetenz und Entscheidungsgewalt wieder annähern, weil Entscheidungsgewalt immer noch mit Alter verknüpft ist. Und das ist ein Problem – aber eine Riesenchance für junge Menschen! Denn wenn du dich mit neuen Dingen beschäftigst, Blockchain oder KI, kannst du diesen Erfahrungsnachteil schnell ausgleichen. Den Altersnachteil nicht so schnell.

© Dominik Lindegger

Ihr habt zwei Kinder. Was sind – mit Blick auf die Zukunft – die Fähigkeiten, die Ihr Euren Kindern mitgeben wollt?

Yaël: Ich glaube, das Wichtigste ist Selbstvertrauen. Sich auch zu trauen, Verantwortung zu übernehmen und eigene Projekte umzusetzen.

Jo: Schöpferische Kraft! (Alle lachen)

Ihr beide lebt ja eine völlig neue Dimension von Vereinbarkeit vor, nämlich dass Ihr alles haben könnt: Kinder und ein erfolgreiches Unternehmen gleichzeitig – und das auch noch sehr jung. Wie schätzt Du das für Dich ein, Yaël?

Yaël: Ich glaube, dass alles möglich ist – beziehungsweise sein sollte. Denn in der alten Arbeitswelt war auf jeden Fall nicht alles möglich und für Frauen sowieso nicht. Und die Strukturen, die heute zum Teil noch in der Wirtschaft gelten, die kommen von früher. Vollzeitjobs kommen aus einer Zeit, in der die Mutter eben auch Vollzeit zu Hause war und sich auch um die Kinderbetreuung gekümmert hat. Klar kann dann der Vater hundert Prozent arbeiten. Das funktioniert heute eben nicht mehr, die Rechnung geht nicht mehr auf. Und muss sie ja vielleicht auch gar nicht, wenn man bedenkt, dass auf einem 80 Prozent Pensum genauso effizient gearbeitet werden kann, wie auf einem hundert Prozent Pensum. In unserem Team arbeiten die meisten auf einem 80 Prozent Pensum, und ich fände es auch komisch, wenn es nicht so wäre.

Jo: Auch wir! Wir arbeiten freitags nicht.

Yaël: Manchmal arbeiten wir auch donnerstags nicht, oder wir fahren am Dienstag spontan in die Berge und arbeiten dafür am Samstag oder haben ein Event am Sonntag. Die Frage ist: Wie genau gestalten wir Arbeit? Was genau ist Arbeit? So etwas verändert sich auch. Die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Politik müssen die Strukturen schaffen, dass diese Flexibilität nicht nur für uns als Unternehmerpaar möglich ist, sondern auch für Menschen, die eine klassische Corporate-Karriere machen.

Jo: Wir wählen auch sehr genau aus, welche Termine wir wahrnehmen und welche nicht. Das haben wir auch schon vor den Kindern gemacht, aber jetzt umso mehr. Man muss lernen, nein zu sagen. Und ich glaube letztendlich, der Output – die schöpferische Kraft – hat nicht nachgelassen, weil wir weniger arbeiten.

Gelten denn bei ZEAM die Regeln, die für Euch gelten, für alle?

Yaël: Ja, auf jeden Fall! Hier gibt es keine Hierarchien und wir sehen uns auch nicht als Chefs, sondern als Mentoren. Wir haben ZEAM auch gegründet, um die Jobs zu schaffen, die wir uns gewünscht hätten. Mit Verantwortung und Workations.

Jo: Man muss auch bedenken: Das ist richtig junge Wirtschaft bei uns. Ich bin der älteste und ich bin 26.

Yaël: Für uns ist das Wichtigste: Die Arbeit muss gut sein und die Leistung muss stimmen. Wie und wo das passiert, ist mir egal. Ob du um 10 Uhr oder um 14 Uhr oder den ganzen Montag zum Yoga gehst, ist mir egal. Ich will doch nicht anderen erwachsenen Menschen vorschreiben, wann sie arbeiten müssen.

Vielen Dank!

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