Wachstum oder nicht Wachstum?
Das ist hier die Frage!
Die Degrowth-Bewegung (oder auch Postwachstum genannt) hat ihre Anfänge bereits in den frühen 1970er Jahren. Ihr liegt die Idee zu Grunde, dass nur ohne Wachstum die Welt zu retten sei. Im Kern geht es um den Erhalt ökologischer Lebensgrundlagen zum Wohle aller. Kann das funktionieren? Angesichts des Klimawandels und der aktuellen Wirtschaftskrise werden Pro und Kontra viel diskutiert. Zwei Experten schildern ihre Sicht auf das Thema.
PRO
Unendliches materielles Wachstum auf einem endlichen Planeten ist unmöglich. Soviel ist klar.
Klar ist auch, dass ein jedes Fass Öl, eine jede Tonne Kohle, und fast ein jeder Kubikmeter Erdgas mehr an externen Kosten verursachen als sie Wertschöpfung zum BIP beitragen. Fossile Brennstoffe sind das (Haupt-) Problem. Die wichtigste Lösung ist der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen.
Genau dieser Ausstieg bedeutet enorme Investitionen. Für die tatsächliche Energie-, Klima- und Verkehrswende sind das jährliche Zahlen in der einstelligen Billionenhöhe weltweit. Nur um es klar zu sagen, diese Investitionen zahlen sich tatsächlich aus. Ungebremster Klimawandel ist viel teurer. Er kostet mittlerweile mindestens um die 10% des weltweiten BIP. Manche Berechnungen sind noch viel höher.
Was bedeutet es nun, wenn die Welt tatsächlich diese Billionen pro Jahr in erneuerbare Energiequellen, in Elektrofahrzeuge und Radwege, in Wärmepumpen und Induktionsherde ausgibt? Enormes Wirtschaftswachstum.
Klar, es wird nicht jeder Sektor wachsen. Öl, Kohle, und Gas werden schrumpfen. Dasselbe gilt für Verbrennungsmotoren, Gasheizungen und Gasherde. Aber die anfängliche Investition in die grüne Zukunft ist selbstverständlich höher als so weiterzuwachsen wie bisher – quasi per Definition: sonst hätten wir die Wende ja schon lange gemacht.
Das gilt für die Stahlindustrie, für die eine Umstellung auf grünen Stahl technisch möglich ist, aber tatsächlich nur mit großen Investitionen einhergehen kann. Es gilt auch fürs eigene Wohnen. Ein ganz persönliches Beispiel: Wir wohnen mit unseren beiden Kindern auf 70 Quadratmetern im 3. Stock in einem 200 Jahre alten Gebäude inmitten der Stadt. Die Kinder fahren Scooter und Rad, Auto haben wir keines. Ich habe keinen Führerschein, bin noch nie Auto gefahren. Selbstverständlich sind wir alle Vegetarier. Ist das jetzt das „Degrowth“-Ideal schlechthin?
Ohne jetzt hier angeben zu wollen, ein jeder dieser 70 Quadratmeter hat natürlich so einiges gekostet. Die Gasleitung abzukappen, kostet ebenso. Unsere Renovierung vor fünf Jahren hat 100.000 Dollar gekostet: Wärmepumpe, Induktionsherd, elektrischer Ofen, und ansonsten die effizientesten Haushaltsgeräte einerseits und bedienbare Oberlichter für die Luftstromregulierung plus Isolierung in Wänden, Böden und Decken andererseits.
Das BIP stieg durch diese Investitionen. Und da wir nun inmitten der effizienten Stadt wohnen, und Städte Wachstumsmotoren sind, steigt das BIP auch weiterhin um einiges mehr, als es das tun würde, falls wir irgendwo auf größerem Fußabdruck in Suburbia wohnen würden.
Das bedeutet nun nicht materielles Wachstum. Unser Fußabdruck ist klein. Es bedeutet auch nicht, dass Dekarbonisierung von allein funktionieren würde. Selbstverständlich bedarf es der Politik – sowohl Steuer als auch direkte Steuerung –, um die Wirtschaftsströme in die richtige Richtung zu lenken. Und darum geht’s: einerseits ineffiziente, kohlenstoffreiche Sektoren schrumpfen, andererseits Sektoren ankurbeln, die in die klimaeffizientere, kohlenstoffarme Zukunft weisen – grünes Wachstum eben.
Die Klimawende zu schaffen, bedeutet grünes Wachstum.
CONTRA
Ein grenzenloses Wachstum in einer Welt begrenzter Ressourcen ist offensichtlich unmöglich, wenn Wachstum zwangsläufig mit einem steigenden Ressourcenverbrauch einhergeht. Daher ist die Frage nach der Machbarkeit der Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch von zentraler Bedeutung. Gibt es etwas wie grünes Wachstum oder bringt die Zukunft Postwachstum mit sich?
Wie im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung vom European Environmental Bureau erläutert, erfordert grünes Wachstum eine absolute, permanente, globale, große und schnelle Entkopplung. Für eine solche Entkopplung gibt es aktuell keine Belege und viele gute Gründe zu denken, dass es auch in Zukunft so bleiben wird.
Warum funktioniert Entkopplung nicht? Um dies zu verstehen, ist es notwendig, sich mit der komplexen Verschränkung zwischen technologischer Entwicklung und Ressourcenverbrauch auseinanderzusetzen. So führt zum Beispiel eine Dekarbonisierung durch den Ausbau der individuellen Elektromobilität zum raschen Anstieg des Verbrauchs von Rohstoffen wie Lithium, und erfolgt auf Kosten ökologischerer Lösungen wie dem ÖPNV. Trotz der Einsparung ökologischer Kosten durch den ÖPNV wird aber der Mobilitätssektor nicht nachhaltig, wenn er endlos wächst.
Ähnlich verhält es sich mit der Idee einer Dematerialisierung durch digitale Technik. Diese ist nämlich nicht immateriell: Sie beruht auf dem Abbau seltener Ressourcen und auf eine riesige digitale Infrastruktur, die trotz der Effizienz jedes einzelnen Geräts durch ihre exponentielle Ausbreitung immer mehr Strom und Ressourcen verbraucht. Was könnte also grenzenlos wachsen, wenn selbst digitalisierte Dienste den Ressourcenverbrauch massiv erhöhen?
Der Degrowth-Diskurs bietet eine Diagnose: Wachstum ist nicht der Weg in eine nachhaltige Zukunft. Dennoch ist es ein populäres Politikziel, weil es eine bessere Zukunft für viele verspricht. Dieses Versprechen ist aber angesichts der katastrophalen Umweltkrise ohne Entkopplung illusorisch. Aus der Sicht des Gemeinwohls ist diese Alternative klar, denn auch in einer Welt begrenzter Ressourcen ist das (Um-) Verteilen grenzenlos. Degrowth zielt auf eine Wirtschaft für alle ab, die sich weniger auf ihre Produktivkräfte fokussiert und mehr auf ihre Distributivkräfte. Welche Rolle können Unternehmen bei der fairen und effizienten Verteilung von Wohlstand spielen? Dieser Frage liegt eine Vision zugrunde, die viel nachhaltiger und vor allem gerechter ist als endloses Wachstum.
In der Asymmetrie des Wachstums, das global gesehen Reiche reicher und die Mehrheit ärmer macht, liegt ein weiterer Grund für die Unmöglichkeit seiner Unbegrenztheit. Denn Reichtum in einer stetig wachsenden Wirtschaft beruht auf der Ausbeutung der Vielen und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.
Wohlstand sollte anders verstanden werden. Dafür müssten Menschen und Unternehmen vom Wachstumszwang befreit werden, um kooperativ an der Schaffung eines guten Lebens für alle zu arbeiten.
Menschen und Unternehmen müssen vom Wachstumszwang befreit werden.
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