Familienorientierte Führung
Mitarbeitende mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen jonglieren täglich zwischen Care-Arbeit und Karriere. Was ihnen hilft? Familienorientierte Führung statt kleinteiliger Sonderregelungen. Wie das in der unternehmerischen Praxis gelingt und warum sich ein Umdenken für Unternehmen auch finanziell lohnt, zeigt Wirtschaftsjuniorin und Co-Gründerin von heyParents Karolin Gaßmann.
Willkommen in der Welt von Mitarbeitenden mit privaten Fürsorgeaufgaben: Morgens ein Kleinkind, das sich weigert, angezogen zu werden. Ein Sprint zur Kita, und dann der Versuch, pünktlich im Büro zu sein. Zwischendurch jonglieren mit Arztterminen und Medikamentenpläne für pflegebedürftige Eltern. Nachmittags ein Wettlauf zwischen Meetings und Kitaschließzeit. Ein spontaner Notfall – und das perfekt aufeinander abgestimmte Tagesprogramm kippt.
Dieser skizzierte, zugespitzte Alltag betrifft mindestens in Teilen zahlreiche Eltern und pflegende Angehörige. Sie machen laut Prognos-Studie ein Viertel der Erwerbstätigten in Deutschland aus. Wer das ignoriert und Strukturen aufrechterhält, die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit erschweren, riskiert den Verlust top ausgebildeter und eingearbeiteter Fachkräfte. Denn die Studie zeigt auch: 42 % der Befragten erwägen den Jobwechsel, wenn es an Vereinbarkeit mangelt.
Für echte Vereinbarkeit braucht es mehr als flexible Arbeitszeiten und Homeoffice. Es braucht eine familienfreundliche Unternehmenskultur. Und hier kommen die Führungskräfte ins Spiel. Das Verhalten der Führungskräfte ist entscheidend bei der Wahrnehmung des Unternehmens als familienfreundlich und bei der Inanspruchnahme entsprechender Angebote durch die Mitarbeitenden.
Das eigene Rollenverständnis als Führungskraft, die begleitet und unterstützt, sollte spätestens einsetzen, wenn Teammitglieder eine Schwangerschaft verkünden oder Elternzeit beantragen. Mit der Reaktion und der Bereitstellung familienfreundlicher Angebote stellen Unternehmer:innen die Weichen für den weiteren Werdegang im Unternehmen: Entscheiden sie sich für einen Wiedereinstieg nach der familiären Auszeit oder für eine Kündigung, wie es bei 35 % der Angestellten der Fall ist?
Bei allem Stress, den der Ausfall eines Teammitglieds auslösen mag, die erste Reaktion kann nicht rückgängig gemacht werden! Ein Bewusstsein für die private Situation der Mitarbeitenden hilft dabei, Wertschätzung und Rücksichtnahme in den Arbeitsalltag einfließen zu lassen und beispielsweise Meetingzeiten zu hinterfragen. Der Schlüssel zu diesem Bewusstsein sind Gespräche und ehrlich gemeinte Fragen wie „Kann ich etwas für dich tun?“.
Gepaart mit Vertrauen und Mut lassen sich gemeinsam Kompromisse finden. Zum Beispiel in Richtung Job-Sharing oder Führung in Teilzeit. Nach dem Motto: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Auch für das Team gilt: Es geht nur gemeinsam. Transparente Kommunikation und präventive Vertretungsregeln zeichnen besonders familienfreundliche Unternehmen aus, die Flexibilität nicht nur von ihren Beschäftigten wünschen, sondern auch selbst leben.
Abschließend ist die eigene Vorbildfunktion als Führungskraft unschätzbar wichtig. Ob Blocker im Kalender für die Abholung der Kinder, Kindkrank-Tage oder gar Elternzeit – lebt diese Vereinbarkeit selbst vor, hat das starke Signalwirkung mit direktem Einfluss auf eine familienfreundliche Unternehmenskultur.
Und wozu das Ganze? Weil Mitarbeitende mit Fürsorgeverantwortung wertvolle Fähigkeiten mitbringen: Zeitmanagement, Resilienz und Empathie. Ihre Zufriedenheit zahlt sich direkt aus – in geringeren Fehlzeiten und gesteigerter Produktivität. Unternehmen, die Familienfreundlichkeit als festen Bestandteil ihrer Kultur verstehen, halten wertvolles Wissen im Unternehmen und sind auch als Arbeitgeber attraktiv. Sie setzen auf nachhaltige Mitarbeiterbindung statt auf kostspieliges Recruiting. Zudem verschaffen sie sich mit gelebter Vereinbarkeit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz beim Werben um neue Fachkräfte.

Karolin Gaßmann
ist Braunschweiger Wirtschaftsjuniorin und Co-Gründerin von heyParents, dem ersten digitalen Assistenten für Elternzeit- Management.
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