Trial and Error

Unsere Autorin Gabriele Meister hat Dieter Frey, Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie, gefragt, wie man seine Offenheit für Neues steigern kann und wie (Neu-)Anfänge mit dem Team gelingen.

Wer im Job erfolgreich sein möchte, braucht Durchhaltevermögen, aber auch den Mut, zum richtigen Zeitpunkt loszulassen. Woran merke ich, dass es Zeit für einen Neuanfang ist?

Solche Entscheidungen entwickeln sich ja nicht spontan, sondern weil ich mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden bin, zum Beispiel im Job. Oder ich bin zwar zufrieden, möchte mir aber bestimmte Träume, Sehnsüchte oder Herzenswünsche erfüllen. Oder externe Bedingungen erfordern eine Änderung, zum Beispiel, weil ein Kollege ausscheidet und die Lücke gefüllt werden muss. In solchen Fällen steht man immer vor der Entscheidung: Durchhaltevermögen zeigen und das Bisherige beibehalten oder an neue Ufer gehen?

Was hilft bei der Entscheidung?

Es ist sinnvoll, die Vor- und Nachteile des Beibehaltens aufzuschreiben, ebenso aber auch die Vor- und Nachteile eines Wechsels. Rationale Argumente sollte man genauso berücksichtigen wie die Gefühle, die man jeweils bei den Argumenten hat. Mit Sicherheit aber ist die Zeit dann reif für einen Neuanfang, wenn er eigentlich nicht mehr zur Debatte steht und man sagt: „Der Leidensdruck ist so groß, dass ich es jetzt einfach machen muss.“ Aber selbst dann wird es ein Prozess sein, weil mit dem Neuanfang immer auch Ängste verbunden sind.

Wie leicht oder schwer ein Anfang fällt, ist ja auch eine Typfrage: Welche Faktoren beeinflussen, wie offen ich für Neues bin?

Einerseits ist das Maß an Offenheit ein Persönlichkeitsmerkmal, das bei jedem unterschiedlich ausgeprägt ist. Unabhängig davon spielt aber natürlich auch die Umgebung eine Rolle: Ist es die Norm, alles so zu lassen, wie es ist? Oder gibt es Vorbilder, die einen Neuanfang gewagt haben?

Und wenn ich feststelle: Ich wäre gern offener – kann ich meine Offenheit aktiv beeinflussen?

Ja, auf jeden Fall. Wichtig ist die Einstellung: Ich bin Akteur, nicht Beobachter. Ich will Initiative zeigen, ich weiß vielleicht nur noch nicht wie. Mentoringprogramme können helfen, mehr über dieses „wie“ herauszufinden, aber auch Artikel über Role Models in den Medien, oder auch Netzwerke: Ich bin im wissenschaftlichen Beirat des Roman Herzog Instituts tätig, einem interdisziplinär arbeitenden Think Tank, der sich unter anderem mit der Zukunft der Arbeit befasst. Dort gibt es regelmäßig Symposien für Interessierte. All diese Beispiele können Anregungen für den eigenen Weg bieten. Wer in einem Bereich neue Wege geht, wird oft auch insgesamt offener für Neues.

Wenn ich als Führungskraft einen Change-Prozess einleiten will, stellen sich aber noch ganz andere Fragen: Manche im Team möchten weitermachen wie bisher, andere stürzen sich auf Neues. Wer braucht welche Unterstützung, um gut durch den Prozess zu kommen?

Wer Leistung und Veränderung fordert, muss Sinn bieten. Das heißt, ich muss überzeugen, dass die Operation sinnvoll und notwendig ist. Natürlich muss ich dafür genügend Leute haben, die vorausgehen und mitziehen. Im Allgemeinen gibt es in Teams die Macher, die Kreativlinge, die Perfektionisten und die menschlichen Brückenbauer. Man muss versuchen, die Macher in Gesprächen für sich zu gewinnen und es schaffen, dass sich die Perfektionisten, die alles blockieren, zunächst mal zurückhalten.

Lohnt es sich überhaupt, „Blockierer“ überzeugen zu wollen?

Natürlich muss man überzeugen und begründen. Aber wo das auch mit viel Geduld nicht gelingt, sollte man den Betreffenden nahelegen, ihre Arbeitskraft in einer anderen Abteilung oder sogar in einem anderen Unternehmen einzubringen. Das hört sich zunächst unmenschlich an, aber es wäre eine Illusion zu glauben, dass man als Organisation erfolgreich und konkurrenzfähig bleiben kann, wenn man notwendige Entwicklungen nicht mitmacht.

Andererseits könnten Zweifler im Team natürlich einen wichtigen Beitrag als „kritisches Korrektiv“ leisten, weil sie nicht alles gutheißen, bloß weil es neu ist.

Ja natürlich kann das der Fall sein. Deshalb muss man auch immer eine Ursachenanalyse machen und anhören, warum jemand nicht mitziehen will. Vielleicht sind diese Argumente durchaus sinnvoll.

Gilt das auch für Unternehmen in der Gründungsphase? Wer dann nicht an seine Idee glaubt, hat doch schon verloren, da will man doch nicht blockiert werden, oder?

Als Gründer braucht man einen gewissen Enthusiasmus, eine Begeisterung für die Vision, die man umsetzen möchte, sonst würde man ja nicht gründen. Es ist gut, wenn man in dieser Phase von vielen unterstützt wird. Aber man sollte den Kontakt zur Basis der Mitarbeiter und des Kunden nicht verlieren. Vorteilhaft sind hier heterogen besetzte Gruppen, um „Groupthink“ zu vermeiden – also, dass sich alle einer Meinung anschließen, auch, wenn manche sie insgeheim falsch finden. Andererseits gilt aber auch: Wenn die Entscheidung gefällt ist, dann sollte sie umgesetzt werden. Bei einem Marathonlauf kann man auch nicht an jeder Ecke fragen, ob man auf dem richtigen Weg ist.

Und wenn ich doch merke: Wir haben uns verrannt. Wie kommuniziere ich das meinem Team?

Das Leben ist voller Fehlentscheidungen und deshalb ist es wichtig, Neues zu versuchen, aber genauso wichtig, Neues wieder aufzugeben. Am besten impft man sein Team schon im Vorfeld, dass es keine Garantie gibt, man aber seine ganze Energie in den neuen Weg stecken wird, um erfolgreich zu sein. Wenn man dann scheitert, sollte man das Scheitern souverän zugeben, aber auch betonen, dass man es neu versuchen kann. In diesem Punkt müsste Deutschland von den USA lernen: Dort wird Scheitern deutlich positiver bewertet. Letztlich ist ja die gesamte Geschichte der Erfindungen eine Geschichte von Misserfolgen. Aber jeder Misserfolg ist gleichzeitig immer eine Chance, es besser zu machen. Jeder Neuanfang ist ein „Trial and Error“.

Dieter Frey ist Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie und Leiter des Center for Leadership and People Management an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem gehört er zum wissenschaftlichen Beirat des Roman Herzog Instituts, das sich mit der Zukunft der Arbeit befasst.