Ein Gewinn für alle

Das Sozialunternehmen socialbee hilft Unternehmen dabei, Geflüchtete und Migrant:innen einzustellen. Tobias hat die beiden Co-CEOs Zarah Bruhn und Robert Kratzer zum Gespräch getroffen.
Interview von Tobias Hocke

© socialbee

Liebe Zarah, wie kamst Du auf die Idee, socialbee zu gründen?

Zarah: Die ursprüngliche Idee ist Ende 2015, Anfang 2016 entstanden, als so viele Menschen nach Deutschland geflohen sind. Ich habe mich damals am Bahnhof ehrenamtlich engagiert und hatte eine Freundin von der Uni, die selbst aus Syrien fliehen musste. Wir hatten damals zusammen einen Entrepreneurship-Kurs, in dem wir gebrainstormt haben, was wir unternehmerisch machen könnten. Da lag das Thema Flucht und Migration recht nah, außerdem habe ich neben der Uni noch im Venture-Capital-Bereich gearbeitet und habe da viele Gründer und Gründerinnen kennengelernt – und gedacht, die kochen auch alle nur mit Wasser, kommen da mit einer netten Idee und einem Pitchdeck vorbei und werden finanziert. Das hat das Thema Gründung für mich ein wenig entglorifiziert und ich habe mir gesagt: Das kann ich doch auch machen, aber dann bitte mit einem sinnvollen Thema.

Die unternehmerische Idee kam dann aus zwei Richtungen: Erstens haben viele geflüchtete Menschen akut eine Arbeit gebraucht. Zweitens waren am Bahnhof oft fast zu viele Ehrenamtliche da. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis die Ehrenamtlichen müde sind und sich die Willkommenskultur in eine Nicht-so-willkommen-Kultur ändert.

Es gab dann 2016 diese große Schlagzeile: 29 Dax-Unternehmen haben vier Geflüchtete eingestellt. Und das hat auch einen Grund, denn: Obwohl natürlich alle Unternehmen große Versprechungen machten, ist es bei genauerem Hinsehen sehr komplex für das einzelne Unternehmen, für den Personaler oder die Personalerin vor Ort, die Menschen zu finden, Bürokratie zu meistern, Qualifizierung einzuschätzen und die Menschen bei ihrer Integration ins Unternehmen zu betreuen. Das kann eine einzelne Person nicht leisten. Da setzen wir mit socialbee an, indem wir sagen: Wir müssen Integration einfach machen. Unternehmen die Arbeit abnehmen, uns auf die Bedürfnisse von Geflüchteten spezialisieren, und auf diese Weise viele Menschen in Arbeit bringen.

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Robert, seit wann bist du dabei und was ist deine Rolle bei socialbee?

Robert: Ich bin seit sieben Jahren dabei, also eigentlich von Anfang an. Ich habe auch einen BWL- und Finanzhintergrund, habe ähnlich wie Zarah viel mit Kindern, Jugendlichen und Geflüchteten gearbeitet und habe socialbee in den Anfangsmonaten in einer Marktanalyse entdeckt, weil ich eine sehr ähnliche Idee hatte. Ich habe mich dann entschlossen, mitzumachen. Damals war socialbee noch ein unfinanziertes Projekt. Am Anfang lag meine Rolle sehr stark in der Umsetzung und Operationalisierung, inzwischen sind wir zusammen in der Geschäftsführung.

Momentan befinden wir uns ja in einer sogenannten Polykrise und die populistischen Strömungen haben – wieder – stark zugenommen. Die Willkommenskultur, die wir letztes Jahr noch hatten, ist gerade auch wieder an einem Kipppunkt. Ihr seid ja schon lange dabei. Erlaubt mir die flapsige Frage: Wo klemmt‘s?

Zarah: Tja, wo klemmt‘s? Ein Teil des Problems liegt, beim klassischen deutschen Mittelstand. Die Unternehmen sagen alle: Wir sind total offen, kommt alle zu uns! Aber wenn man mal genau hinschaut, ist das natürlich eine Riesenherausforderung. Es wird nur deutsch gesprochen in diesen Unternehmen und sie haben hohe Anforderungen. Sie legen ihre klassischen Kriterien an den Arbeitsmarkt an und ihre klassischen Recruiting-Systeme. Wenn man jetzt zwei Stellenanzeigen nebeneinanderlegt, eine aus dem Mittelstand und eine aus einem Tech-Start-up, dann wird schnell klar, wer von den beiden auf Zuwanderung setzt – und der Mittelstand ist das in der Regel nicht.

Ich glaube, die mittelständischen Unternehmen meinen es meist gut, die haben ein großes Herz. Aber die Bewerberinnen und Bewerber müssen genau auf die traditionellen Stellenprofile passen. Wenn alles an ihnen perfekt ist, dann nimmt der Mittelstand auch Geflüchtete. Aber das ist eben nicht die Realität. Man muss Recruiting Systeme umstellen, Anforderungen anpassen, an seinen eigenen Vorurteilen und Voreingenommenheiten arbeiten, an seiner Unternehmenskultur.

Wir nehmen den Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, in dieser Hinsicht schon viel ab. Aber wir gehen auch hart mit ihnen ins Gericht – und coachen ebenso im Bereich Corporate Transformation Consulting

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Das heißt, Ihr baut eine Brücke zwischen Arbeitgebermarkt und Arbeitnehmermarkt, die aber nur funktioniert, wenn die Arbeitgeber sich auch bewegen.

Zarah: Genau, es muss Bewegung auf beiden Seiten stattfinden. Integration ist keine Einbahnstraße, es müssen sich die Geflüchteten auf unser System einlassen, ebenso wie die Unternehmen ihre Systeme abändern müssen.

Robert: In jedem Unternehmen, in jedem Menschen stecken unbewusste Vorurteile. Es geht darum, sich bewusst damit auseinanderzusetzen und auf dieser Basis dann auch Prozesse und potenzielle Hürden neu zu überdenken. Braucht man auf dieser Stelle wirklich C2 Deutschkenntnisse? Oder reicht da nicht sogar Englisch? Viele Anforderungen und Prozesse sind nicht auf die notwendige Durchlässigkeit ausgelegt. 

Ihr nutzt für Eure Vermittlungen das Werkzeug Zeitarbeit. Zeitarbeit hat nicht gerade den Ruf, nachhaltig zu sein. Wie schafft Ihr es dennoch, nachhaltigen Impact zu schaffen? Könnt Ihr uns da mal in Eure Prozesse einführen?

Robert: Am Anfang haben wir auf Soziale Zeitarbeit gesetzt, um der Zurückhaltung auf Unternehmensseite entgegenzuwirken – und gleichzeitig aber auch faire Arbeitsverhältnisse für geflüchtete Menschen durch eine Vertragsabwicklung über uns zu gewährleisten. Konkret kann man sich das so vorstellen, dass wir unsere Kunden nach offenen Stellen und geflüchtete Menschen nach einer Perspektive, die sie gerne hätten, und nach ihren Kenntnissen, die sie bereits mitbringen, gefragt haben. Dann bringen wir die passenden Parteien zusammen, betreuen das Onboarding im neuen Job, organisieren Sprachkurse und begleiten beide Parteien für ein Jahr – mit dem erklärten Ziel, dass die Personen dann bei den Firmen langfristig direkt angestellt werden.

Dabei haben wir festgestellt, dass oftmals die Profile von den Bewerberinnen und Bewerbern noch nicht auf die Anforderungsprofile von den Firmen passen. Also haben wir angefangen, sehr Outcome-orientierte Qualifizierungsprojekte auf die Stellen, die angeboten werden, zu entwickeln. Klassen aus 20 Personen qualifizieren ihr Profil auf das Anforderungsprofil der Unternehmen. Das dauert zwischen einem Monat und drei Monaten, bei hochqualifizierten Profilen auch mal über ein Jahr. Nach der Vorqualifizierung fangen die Person direkt im Job an, bei den Firmen, die auch bereits bei dem Qualifizierungsprojekt mitmachen. Wir betreuen beide Parteien noch neun Monate weiter, denn der Start ist nur der erste Schritt und wir wollen diese Vermittlungen nachhaltig erfolgreich gestalten.

Zarah: Wir machen zum Beispiel große Programme in der Pflege, wo wir Geflüchtete qualifizieren und damit natürlich auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Aber auch IT-Projektmanagement, SAP-Consulting, Retail, Logistik, Handwerk und Systemgastronomie sind Bereiche, in denen solche Projekte laufen.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, schrieb kürzlich in der ZEIT: „Wir haben die Möglichkeit, Migration für alle Seiten gewinnbringend zu gestalten. Dafür brauchen wir Offenheit und Pragmatismus. Während sich die Politik in populistischen Migrationsdebatten verheddert, bleiben die echten Probleme in Deutschland ungelöst.“ Stimmt Ihr dem zu?

Robert: Ich frage mich schon, warum man dieses Thema nicht pragmatischer sehen kann. Ich glaube, wenn man alle die Arbeitskräfte, die wir haben, in den Arbeitsmarkt bekommt, gewinnen im Grunde alle. Die Gesellschaft gewinnt, die Personen, die arbeiten, gewinnen. Der Sozialstaat gewinnt, weil er Geld spart, wenn Personen, die erst einmal Geld kosten, dann in unser System einzahlen. Also verstehe ich nicht, warum man dieses Thema nicht etwas ent-emotionalisieren und faktenbasiert betrachten kann. Dementsprechend stimme ich dem zu, zu sagen, hey, lasst es uns doch mal pragmatisch angehen und die Talente nutzen, die wir haben. Ich meine, was wir als Unternehmen machen, ist ein Teil der Lösung. Aber ich habe das Gefühl, dass die Gesellschaft und auch die Politik inzwischen teilweise schon wieder aufgegeben haben, Lösungen zu finden – und eher Barrieren wieder aufbauen, aus Angst, keine Lösung zu finden. Aber wir haben doch Lösungen! Lasst uns doch mal diese Lösungen ein bisschen größer machen. Sie funktionieren ja!

Zarah: Wir sind aktuell auch in der Planung, nochmal ganz anders zu skalieren und sind aktiv auf der Suche nach Unterstützung. Nach größeren Stiftungen, die uns unterstützen, aber eben auch nach Impact Investing. Einfach, weil die Dimension der aktuellen und auch zukünftigen gesellschaftlichen Probleme so groß ist. Wir integrieren aktuell 400 bis 500 Geflüchtete im Jahr. Das ist schön. Aber unser Ziel ist es, ganz ambitioniert reinzugehen und zu fragen: Wie können wir den ganz großen Wurf schaffen, wie können wir den Jobmotor für Zuwanderung schaffen? Wir wollen zeigen, dass es gelingt, auch 5.000 oder 10.000 Menschen jährlich über unseren Ansatz zu integrieren. Auch über Kooperationen mit anderen Sozialen Organisationen. Damit wir eine deutlich stärkere und lautere Gegenstimme sind zu den aktuellen populistischen Bewegungen.

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Zarah Bruhn und Robert Kratzer führen als Co-CEOs die socialbee gGmbH. Das Unternehmen versteht sich und sein Team als Expert:innen für eine nachhaltige Integration in den deutschen Arbeitsmarkt und hat bereits über 1100 geflüchtete Menschen in den Arbeitsmarkt integriert. Seit 2022 ist Zarah zudem Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Mehr Infos zu socialbee unter www.socialbee.org

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