Jung und Bürgermeister
Michael Salomo war mit 25 Deutschlands jüngster amtierender Bürgermeister – und ist heute, sechs Jahre später, immer noch Chef im Rathaus von Haßmersheim. Sebastian Döberl hat sich mit ihm über die Vorzüge der Verwaltung und die Digitalisierung im Neckartal unterhalten.
Michael, Du bist Bürgermeister von Haßmersheim im Neckartal. Wikipedia sagt: 5.000 Einwohner, 100 Mitarbeiter im Rathaus. Erzähl mir etwas über Deine Stadt, das Wikipedia nicht weiß!
Drei wissenswerte Dinge über Haßmersheim: Erstens, Haßmersheim liegt geografisch gesehen zwischen Heidelberg und Heilbronn, in einer wirtschaftlich ziemlich starken Region. Bei uns findet man sehr starke Arbeitgeber, Audi zum Beispiel oder Lidl mit seinem Headquarter. Gewerbefläche ist hier momentan etwas Rares. Zweitens: Unser Prunkstück ist die Burg Guttenberg, auf der man auch heiraten kann – tatsächlich kommen sogar Paare aus Hamburg hierher und das spricht für sich. Solche Feiern kommen natürlich auch der heimischen Wirtschaft – vor allem der gastronomischen – zu Gute. Und was man, drittens, vielleicht auch nicht so von Haßmersheim denkt: Dadurch, dass wir hier sehr kleine Verwaltungsstrukturen haben, ist der Bürgermeister ziemlich nah an der Wirtschaft dran. Ich sag’s jetzt mal krass: Wir haben fast die gleiche Kompetenz wie der Oberbürgermeister in Stuttgart und es ist tatsächlich zu beobachten, dass Unternehmen aus größeren Städten abwandern in die kleineren Regionen, weil sie hier einfach einen direkteren Bezug zur Verwaltung haben.
Du bist nicht nur Bürgermeister, du bist auch Sprecher des Netzwerks der Jungen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen. Was tut Ihr als Netzwerk?
Ich glaube, dass das Netzwerk schon Themen anspricht, die ein bisschen versäumt wurden. Wir haben ein gravierendes Nachwuchsproblem im öffentlichen Dienst: 711.000 Stellen werden in den nächsten fünf Jahren unbesetzt bleiben. Die sind da, die sind auch finanziert, aber wir werden die Leute nicht ausgebildet haben. Also werden wir Quereinsteiger benötigen. Mit dem Netzwerk wollen wir auch zeigen, dass sich das Berufsbild des Bürgermeisters sehr verändert hat. Früher war es tatsächlich so: Irgendwer musste der Letzte sein, der aus dem Gasthaus rausgeht und sozusagen noch die Straßenlaterne abdreht, bevor er nach Hause geht. Heute hat der Bürgermeister eher Management-Funktionen, man muss netzwerken, die Aufgaben sind komplex. Im Netzwerk können wir uns gegenseitig unterstützen und beraten, wir stehen durch die Überregionalität und die parteiübergreifende Zusammenarbeit auch nicht in Konkurrenz zueinander.
Heute hat der Bürgermeister eher Management-Funktionen.
Aktuell ist die Lage in vielen Kommunen ja angespannt, die Corona- Krise hat viele Regionen schwer getroffen. Welche Auswirkungen hat die Krise auf Haßmersheim?
Wir haben zum Beispiel bei der Gewerbesteuer allen Stundungsanträgen gleich stattgegeben, was dafür gesorgt hat, dass die Gemeindekasse dann kurz auf null war. Aber das hat sich schon wieder relativiert. Die Krise macht insofern zu schaffen, als dass wir als Kommune natürlich immer der direkte Ansprechpartner der Eltern sind. Und egal ob das die Schulen sind oder ob das die Kindergärten sind, es ist notwendig, dass die Kinder qualitativ hochwertig versorgt werden. Leider merkt man auch hier in Baden-Württemberg, dass es der Landesregierung nicht immer gelingt, das in der Verordnung umzusetzen, was Sie über die Presse ankündigt.
Schön ausgedrückt. Werfen wir mal einen Blick zurück: Du bist schon seit 2014 Bürgermeister, damals warst du gerade 25 Jahre alt und der jüngste Bürgermeister Deutschlands. Wie ist das, wenn man so ein Amt in so einem Alter übernimmt?
Mein Vorgänger war 24 Jahre im Amt und ist für eine weitere Legislaturperiode angetreten – doch er wurde abgewählt. Das war schon spannend, weil natürlich auch die Bevölkerung meine Wahl mit gemischten Gefühlen aufgenommen hat. Jetzt kommt ein junger Bürgermeister, weiß der, was er da macht und wie das alles funktioniert? Der kommt auch noch von auswärts, das sollten wir genau beobachten! Aber ich muss sagen, wenn man sein Handwerkszeug gelernt hat, dann weiß man durchaus wie Verwaltung funktioniert. Ich habe über verschiedene Stationen sowohl die Landesverwaltung als auch die Bundesverwaltung und die Kommunalverwaltung kennenlernen dürfen, sodass ich da schon schnell gewusst hab, wie der Hase wo läuft. Aber es ist schon ein Unterschied und aus meiner Sicht spürbar, ob eine jüngere Hausleitung oder ob ein gewisser Trott vorhanden ist.
Von den ländlichen Regionen sagt man ja oft, dass es mit der Digitalisierung nicht ganz so weit her sei – einfach, weil es kein vernünftiges Internet gibt. Wie steht es um die Digitalisierung in Haßmersheim, habt Ihr Glasfaser?
Wir sind gerade dabei, mit einer Firma hier vor Ort Glasfaser an jedes Haus anzubieten. Wir brauchen eine Teilnahmequote von fast 40 Prozent aller Haushalte. Die Firma ist auch bereit, hier quasi die Anschlüsse kostenfrei zu verlegen. Es gibt eine einmalige Aufschaltgebühr von 100 Euro und dann die ganz klassischen Gebühren, aber da sind wir tatsächlich dran. Wir haben jetzt gerade ein Neubaugebiet entwickelt, da kommt ein großer Supermarkt hin, betreutes Wohnen, eine Pflegeeinrichtung und 44 bezahlbare Wohnungen im KFW 55 Standard, plus 88 Einfamilienhäuser – und die haben alle direkte Glasfaser. Also in den Neubaugebieten ist das zumindest Standard, der Bestand soll bald nachziehen. Also wenn alles gut läuft, sollten wir so in zwei Jahren fertig sein. Das ist ein langer Zeitraum.
Ein langer Zeitraum! Und wie digital ist Deine Verwaltung?
Digital, wie soll ich sagen? Digital ist ja nicht nur digital, weil ich jetzt ein iPad vor mir stehen hab, sondern digital heißt ja, du solltest auch damit umgehen können. Und ich glaub schon, dass es hier nochmal wichtig ist, die Leute zu mitzunehmen. Wir werden in diesem Jahr noch ein digitales Ratsinformationssystem einführen. Damit können die Bürger einfach auf Drucksachen zugreifen und die Gemeinderäte bekommen direkt auf dem Tablet Unterlagen zur Verfügung. Allerdings bin ich immer so ein bisschen hin und her gerissen, gerade wenn es heißt, „demnächst können Sie Ihr Auto vom Sofa aus anmelden und dann kann man wieder eine Stelle einsparen“. Meine Erfahrung zeigt, sowohl in der Flüchtlingssituation als auch in der Corona-Krise, dass die Verwaltungen total ausgedünnt sind und dass wir eigentlich mit dem Tagesgeschäft schon am Limit sind. Eigentlich sollen wir auch Krisenvorsorge betreiben, wir sollten bei Hochwasser agieren können, wir sollten bei Corona oder bei Lebensmittelengpässen agieren können – aber wenn ich jetzt das Personal, das gerade das Tagesgeschäft noch hinkriegt, auch noch rationalisiere, weil ich durch die Digitalisierung vermeintlich Stellen einspare, sehe ich eine ganz große Gefahr.
Das Thema Nachwuchsmangel bei Bürgermeistern hatten wir schon. Wie ist es mit dem Nachwuchs in Haßmersheim? Könnt Ihr alle Eure Ausbildungsplätze besetzen oder ist Bildungsabwanderung ein Problem?
Also Bildungsabwanderung kann ich nicht feststellen. Wir haben die Duale Hochschule Baden-Württemberg um die Ecke in Mosbach, wir haben durch das baden-württembergische Schulkonzept auch eine Gemeinschaftsschule direkt hier am Ort. Das Problem ist eher der demografische Wandel. Die Leute können sich aussuchen, wo sie arbeiten. Und wenn sie sagen, ich gehe zu Audi, weil ich da 300 Euro mehr in der Ausbildung kriege und übers Wochenende ein Auto, das können wir bei der Gemeindeverwaltung eben nicht bieten. Auch wenn wir vielleicht die spannenderen Stellen haben, weil wir in der Verwaltung die größte Dienstleistungspalette anbieten, die man sich vorstellen kann. Meiner Meinung nach ist der Öffentliche Dienst der größte Gemischtwarenladen der Republik.
Mal ganz provokant gefragt: Was ist denn bei Euch in Haßmersheim möglich, was in Berlin nicht möglich ist?
Wie ich vorhin schon sagte, ich glaube, man kommt viel schneller an die Politik, man kann viel schneller gestalten, wir haben ein größeres Sozialgefüge und in Krisenzeiten hat man im Zweifelsfall auch noch einen Garten, wo man ein bisschen Essen anbauen kann. Oder sich während des Lockdowns mal draußen die Füße vertreten kann, was in einer Penthouse-Wohnung im 20. Stock vielleicht am Anfang noch ganz schön ist – aber spätestens, wenn der Weinvorrat zu Ende geht, wird es, glaube ich, langweilig.
Und es geht noch weiter: Den zweiten Teil dieses Gesprächs kann man hören – im Podcast* des Netzwerks Junger Bürgermeister* innen „WirKommunalen – nachgefragt“:
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