Wirtschaft oder Politik? Beides!

In der Politik sind zahlreiche Unternehmer:innen zu finden. Diese Doppelrolle bringt große Herausforderungen mit sich, aber auch enorme Chancen. Wir haben WJD-Mitglieder gefragt, warum und wie sie ihren Weg in die Politik gefunden haben, welche Hürden sie dabei überwinden mussten und wie sie ihre unternehmerischen Fähigkeiten in der politischen Arbeit nutzen. Drei ganz persönliche Einblicke.

YANN ARETIN EGGERT
Aktiv in der Lokalpolitik, Experte für mobile Datenübertragung und Eisenbahn

Der Wunsch, politisch aktiv zu werden, entwickelte sich schrittweise. Als Wirtschaftsjunior lernte Yann in seinem Heimatkreis Bonn/Rhein-Sieg dank der vielen bundesweiten Projekte, Dinge anzupacken und zu verändern, Netzwerke zu knüpfen und Menschen von Ideen zu überzeugen.

Dies setzte er auch in seinem neuen Wohnort Barmstedt um, besonders während der Pandemie. „Ich habe schnell gelernt, dass ich Anliegen nur über den politischen Weg und Mehrheiten in der Stadtvertretung und in den Ausschüssen angehen kann“, begründet Yann sein wachsendes Interesse an politischer Beteiligung.

Yann wurde früh durch sein Elternhaus politisiert. Zunächst sei er bei den Jusos gewesen – aber nicht aktiv –, dann aus Frust über politischen Stillstand Mitglied bei DIE PARTEI: „Ich fand es gut, wie Sonneborn mit Satire informiert und Gesetzesänderungen anstößt.“

2020 wurde Yann Vater, es folgten Krisen wie die Pandemie, der Ukraine-Krieg, und die Klimakrise. Auch die schleppende Verkehrs- und Energiewende führten dazu, dass Yann sich ernsthafter mit politischer Beteiligung beschäftigte. Dann habe er die Grünen vor Ort kennenlernte und gemerkt: „Meine Ziele und die der WJ aus den letzten 15 Jahren passen ganz gut mit deren zusammen: Auf ehrbares Unternehmertum setzen, Beruf und Familie leben, in Bildung investieren, nationale und internationale Netzwerke knüpfen, innovationsstark und ressourcenbewusst handeln.“

Mit seinem Fachwissen und seiner Zeit während der Elternzeit engagierte er sich im Bundestagswahlkampf und trat schließlich am Tag der Bundestagswahl den Grünen bei.

Die größte Herausforderung sei immer wieder, Ehrenamt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Trotzdem schätzt Yann seine Doppelrolle: „Ich darf mitentscheiden. Ich lerne tolle Menschen kennen, ich muss mich mit neuen Themenfelder beschäftigen und verbessere mich weiter im freien Reden vor Publikum und Presse.“ Diese Erfahrungen fließen auch in seinen beruflichen Alltag ein, insbesondere da er viel mit kommunalen Verwaltungen und politischen Entscheidern zusammenarbeitet.

Yanns Rat an WJ-Mitglieder, die in die Politik gehen möchten: „Nehmt an den Know-how-Transfers in eurer Landeshauptstadt, Berlin und Brüssel teil und tauscht Euch mit den Junioren und Fördermitgliedern aus, die bereits in der Politik aktiv sind.“

KRISTINE LÜTKE
Unternehmerin & seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages

© privat

Ihr unternehmerischer Weg begann während ihres Studiums, als sie in das Familienunternehmen in der stationären Altenpflege einstieg. Seit 2016 ist sie geschäftsführende Gesellschafterin des Pflegeheims und der zugehörigen Dienstleistungsgesellschaft.

Kristines politisches Engagement wurde durch die täglichen Herausforderungen im Pflegebereich geweckt. Die ständige Konfrontation mit den Auswirkungen politischer Entscheidungen motivierte sie, selbst aktiv zu werden. „Die Erkenntnis, wie tiefgreifend politische Entscheidungen das Unternehmertum beeinflussen können, motivierte mich, politisch aktiv zu werden und Veränderungen selbst mitzugestalten“, sagt sie.

Ihre ersten politischen Schritte machte Kristine durch die Mitarbeit im Branchenverband und den Eintritt bei den Wirtschaftsjunioren (WJ). Dort stieg sie schnell auf, von der Kreissprecherin zur Ressortverantwortlichen für Bildung und schließlich zur Bundesvorsitzenden. Über den Know-how- Transfer lernte sie die Arbeit in Parlamenten kennen.

Die größte Herausforderung bei der Vereinbarkeit von Unternehmertum und politischem Engagement sieht Kristine in den unterschiedlichen Dynamiken der Entscheidungsprozesse. Während im Unternehmen schnelle Entscheidungen notwendig sind, sind politische Prozesse oft langwierig und von Kompromissen geprägt. Zudem erfordert politisches Engagement eine erhebliche Zeitinvestition, was die Balance zwischen beruflichen und politischen Verpflichtungen erschwert.

Ihre doppelte Perspektive – als Unternehmerin und Politikerin – erlaubt es ihr, realistische und praktikable Lösungen zu entwickeln, die sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich von Vorteil sind.

Ihre Erfahrungen bei den Wirtschaftsjunioren und als Unternehmerin haben ihr gezeigt, wie wichtig Netzwerke und gemeinsames Arbeiten an Zielen sind. „Die Fähigkeit, strategisch zu denken und Menschen zu motivieren, sind ebenso entscheidend in der politischen Arena“, betont sie. Auch die Erfahrung, Verantwortung für ein Unternehmen und einen Verband zu übernehmen, hilft ihr, politische Entscheidungen mit Augenmaß zu treffen und auch unpopuläre Entscheidungen zu vertreten, wenn sie notwendig sind. Kristines Rat an WJ-Mitglieder, die in die Politik gehen möchten: „Die politische Landschaft kann zunächst entmutigend sein, aber euer Engagement ist entscheidend für die Gestaltung unserer Zukunft. Nutzt Formate wie den Know-how- Transfer, um Einblicke in den Politikbetrieb zu bekommen. Es muss nicht immer gleich die Landes- oder Bundespolitik sein – gerade in der Kommunalpolitik kann man Dinge ganz unmittelbar verändern.“

MICHAEL JOITHE
Zunächst Geschäftsführer eines Familienbetriebs, dann Bürgermeister in Vollzeit

© privat

Über die Wirtschaftsjunioren kam Michael immer wieder mit der Kommunalpolitik in Berührung. Die parteipolitischen Lagerkämpfe, besonders um eine neue Gesamtschule, frustrierten ihn. Dieses Vorgehen widersprach seinem unternehmerischen Denken, bei dem Sachargumente und Effizienz im Vordergrund stehen. „Jedes Unternehmen, welches so geführt würde, wäre in kurzer Zeit vom Markt verschwunden“, so Michael.

Der Einstieg in die etablierte Parteipolitik kam für Michael nicht infrage. Die Strukturen und Abläufe auf Landes- und Bundesebene empfand er als zu weit entfernt von der Basis. 2016/17 sprach ihn ein Freund, ebenfalls Unternehmer und WJ- Mitglied, an, ob sie nicht gemeinsam eine neue politische Bewegung in ihrer Stadt starten sollten. Nach intensiver Vorbereitung gründeten sie 2018 eine kommunale Wählergemeinschaft und traten 2020 erfolgreich zur Kommunalwahl an. „Es reiche eben nicht, nur zu meckern, man müsse auch bereit sein, es selber besser zu machen“, begründet Michael seine Entscheidung.

Michael zog sich nach seiner Wahl zum Bürgermeister aus dem operativen Geschäft seines Unternehmens zurück, zeitlich ließ sich nicht beides miteinander vereinbaren. „Wobei ich mich nicht wirklich als Politiker sehe, sondern als erster Bürger der Stadt“, so Michael. Für ihn ist heute noch die größte Herausforderung, die unterschiedlichen Denkweisen von Unternehmertum und Politik zu vereinen. Während Unternehmen langfristig planen und effizient arbeiten, ziele Politik oft auf kurzfristige Erfolge und parteipolitische Vorteile ab.

Michael wünsche sich, dass mehr Unternehmerinnen und Unternehmer den Schritt in die Politik wagen. Leider dominiere das politische System von Berufspolitikern, die das „politische Spiel“ perfekt beherrschen. Er sei dabeigeblieben, weil seine Zeit bei den Wirtschaftsjunioren ihn gelehrt habe, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Seine unternehmerischen Fähigkeiten bringe er heute in der neuen Rolle des Bürgermeisters in die Politik ein. Sein Rat an WJ-Mitglieder, die in die Politik gehen wollen: „Überlegt gut, auf welcher Ebene ihr aktiv werden wollt. Seid bereit für einen langen Atem und erhebliche Frustrationstoleranz.“

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