You can say you to me

Erlauben Sie mir, dass ich Dich in den folgenden Minuten einfach mal duze. Als Experiment. Duzen wird ja gefühlt immer häufiger. Die Radiowerbung zum Beispiel duzt mich andauernd. Oder denken wir mal an die Aufschnittmarke „Du darfst“. Die wenigsten von uns würden sich wohl von einem Päckchen magerer Schnittlauchleberwurst auf den Schlips getreten fühlen. Es ist eben ein abstraktes Marketing-Du.

Ganz eigene Regeln gelten bei den sozialen Medien. Ich kenne das aus meinem Job so: Im Fernsehen sage ich Sie, bei Facebook schreibe ich Ihr, bei LinkedIn mal so, mal so. Und privat? Während in den 70er-Jahren sich sogar Studierende des eigenen Semesters untereinander gesiezt haben, ist man heute als Mitte 40-Jähriger ja schon gekränkt, wenn man bei Starbucks nicht geduzt wird. Andererseits: Kaufe ich eine Stulle beim klassischen Bäcker um die Ecke: eher siezen. Im Fitnessstudio du, im Sportgeschäft irgendwie eher Sie. So!

Wirtschaftsjunioren duzen sich, wie ich weiß, ganz selbstverständlich untereinander. Aber was ist mit der hauptamtlichen Kreisgeschäftsführerin in der IHK? Da wird es dann schon schwieriger. Und jetzt die Gretchenfrage: Wie hältst Du es im eigenen Unternehmen?

In den meisten Unternehmen hierzulande wird immer noch gesiezt. Und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden das gut. Denn der zwischenmenschliche Umgang lebt von Normen. Je besser Menschen einander kennen und je mehr sie sich gegenseitig schätzen, desto weniger wichtig sind diese gesellschaftlichen Regeln allerdings. Mehr Vertrauen – weniger Unsicherheit – weniger Gerüst.

Aber gerade im Geschäftsleben, wo wir höflich mit Menschen umgehen wollen, von denen eben die meisten Kollegen sind, nicht Freunde, da geben uns diese Regeln Sicherheit. Siezen als wohlige Respekt-Grundlage. Duzen kann dann schnell anmaßend wirken. Ein Du schafft andererseits mehr Vertrautheit, motiviert zu offenerer Kommunikation und sorgt durch gefühlt abflauendes Hierarchiedenken für ein stärkeres Teamgefühl. Also: Wann duzen? Wer schlägt es vor? Darf man das Du ablehnen? Und gibt es ein Zurück?

1. Im Job zählt die Duz-Hierarchie

Im Beruf schlägt der oder die Ranghöhere vor, aufs Du zu wechseln. Angenommen, Du bist Geschäftsführer oder Firmeninhaberin, dann kannst Du zum Beispiel mit einem Duz-Generalangebot an alle die Firmenkultur prägen. Heikel wird es, wenn Du als Chef oder Chefin das Du als Auszeichnung verteilst. Wenn nur die aus dem Team das Du angeboten bekommen, mit denen Du besonders gut klarkommst. Das spaltet die Belegschaft: „Oho, du duzt den Chef. Was musstest du denn dafür tun?“ Und: Rechne beim generellen Du auch mit einer etwas distanzloseren Kommunikation zwischen Tür und Angel. Die ja sehr aufrichtig und damit hilfreich sein kann.

2. Alteingesessen geht vor Neuankömmling

In Unternehmen, in denen sich die Leute duzen, kann es taktvoll sein, Neue erst einmal zu siezen. Dann können alle das Du persönlich anbieten. Sozusagen als das Siegel: Du gehörst zu uns. Ausnahme sind hier natürlich Branchen, in denen Duzen längst Standard ist, wie etwa in den Medien. Hier wäre notorisches Siezen Einzelner einfach ausgrenzend. Im Zweifel gilt: Diejenigen mit mehr Dienstjahren haben das Du-Angebots-Vorrecht. Aber letztendlich zählt das Fingerspitzengefühl. An allen alten Etikette-Regeln vorbei kann auch die Neue fragen: „Ich merke, Sie duzen sich alle. Darf ich auch oder wollen wir erst noch ein bisschen warten?“

3. Darf man das Du ablehnen?

Antwort: Ja. Wer ein Du als zu nah empfindet, sollte das Angebot allerdings nicht ablehnen mit: „Sie duzen? Was kommt als nächstes? Ein Heiratsantrag?“ Ist ja klar. Ist ein sensibles Thema. Und als der oder die Anbietende sollten wir bei einer höflichen Ablehnung nicht gekränkt sein. Allerdings fühlt es sich trotzdem komisch an. Ich habe das selber mal erlebt: Da habe ich dem Pförtner das Du angeboten, weil sonst fast alle im Team mich geduzt haben. Seine Antwort dann in etwa: „Ach, Herr Werner, vielen Dank. Aber ich würde lieber beim Sie bleiben. Es ist ja mein Job. Und da halte ich es immer so.“

Wer so höflich ablehnt, macht meist nichts kaputt. Dennoch: Eine Ablehnung kann für die Zurückgewiesenen peinlich sein. Wer ein Du ablehnt, sollte darauf vorbereitet sein, dass das Nein als Kränkung empfunden wird.

4. Gibt es ein Zurück zum Sie?

Es ist schon verrückt. Wenn wir einfach so duzen, könnte das respektlos wirken. Aber wenn wir jemanden plötzlich wieder siezen, den oder die wir seit langem geduzt haben, dann ist es auch wieder ein Affront.
In den Fällen, in denen man aus Verletzung oder Ärger heraus nicht mehr ertragen kann, jemanden zu duzen oder eben geduzt zu werden, dass man sagt: „Ab heute wieder Sie“, muss so viel vorgefallen sein, dass ich Dir an dieser Stelle keine allgemeinen Ratschläge dazu geben möchte.

5. In eine Richtung Du, in die Gegenrichtung Sie?

Klare Antwort: nein. Das geht nur zwischen Kindern und Erwachsenen. Im Job ist das ein Zeichen von Unterwürfigkeit des siezenden Geduzten und von Überheblichkeit des duzenden Gesiezten. Entweder beide Du oder beide Sie. Ich hatte das mal: Einer von mir gecoachten jungen Frau hatte ich direkt das Du angeboten, weil wir uns in einem beruflichen Umfeld kennengelernt hatten, wo Duzen üblich war. Sie hatte fröhlich eingewilligt, mich danach aber ständig gesiezt. Nach einigen Malen habe ich dann selber den Rückzug angetreten und habe sie wieder gesiezt. Für eine Kommunikation auf Augenhöhe.

Und damit die Frage an Dich: Wie fühlt es sich an, hier von mir geduzt zu werden? Möchtest Du, dass ich Sie wieder sieze? Okay. Und jetzt stellen wir uns diesen Text bitte mal auf Englisch vor.

Marcus Werner ist Fernsehmoderator, Romanautor, Kolumnist bei der WirtschaftsWoche und Berater für Kommunikation. Und gerne auch Ihr und Euer Moderator für mitreißende Podiumsdiskussionen und Events: www.marcuswerner3000.de.