Vielfalt findet am Schreibtisch und der Werkbank statt

Ist von Diversity heute die Rede, fallen vielen Menschen direkt sehr sichtbare Zeichen von Vielfalt ein, Regenbogenfahnen zum Beispiel oder außenwirksame Aktionen der LGBTI* Community. Als Teil dieser Community hatte ich in den 1990ern mein berufliches Coming-out in einer Zeit, in der Sichtbarkeit von Vielfalt wenig ausgeprägt war und es wenige Vorbilder gab.

Ich habe damals in einer stark männerdominierten Branche gearbeitet. Von sichtbaren LGBTI* in den Führungsetagen keine Spur, auch sehr wenige Frauen waren unter den Führungskräften vertreten.

Themen wie Diversity und Inklusion wurden nahezu nie behandelt. Frauenförderung war als einziges Thema relevant.

Das Potenzial von Diversity-Maßnahmen erkennen

© Moritz Leik

Seit den 90ern hat sich einiges getan. Vielen Unternehmen ist bewusst geworden, welches Potenzial in den Mitarbeitenden liegt, wenn diese offen auftreten können. Daher treffe ich heute in vielen Unternehmen bereits auf eine bessere Situation, vor allem in großen Unternehmen mit eigenen Diversity-Management-Abteilungen. Diversity wird heute vielseitiger und ganzheitlicher gesehen, es geht um mehr als Frauenförderung oder Unterstützung von LGBTI* Mitarbeitenden.

Sie bildet sich in zahlreichen Dimensionen ab. Die Zielsetzung bleibt aber die gleiche: Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Gruppen im Unternehmen willkommen zu heißen und diese Unterschiede für das Unternehmen nutzbar zu machen. Hierfür wurden in den letzten Jahren viele Instrumente entwickelt, wie z. B. die Implementierung von Netzwerken, Sichtbarmachung der Diversität durch Role Modells, Einbindung von Allys und vieles mehr.

Für viele Kleine- und Mittlere Unternehmen (KMU) sind viele dieser Maßnahmen aber zu groß gedacht. Da machen Instrumente, welche große Firmen anwenden, keinen Sinn. Beispiel: Firmeninterne Netzwerke. Die sind bei KMU aufgrund der Unternehmensgröße oft wenig sinnvoll.

Deshalb haben sich z. B. hier in Nordrhein-Westfalen die CDU und FDP im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, eine Allianz für Vielfalt und Gerechtigkeit für KMU zu gründen. Hier war ich für den Völklinger Kreis im Expertengremium vertreten zur Umsetzungsberatung. Die nun gegründete Diversity-Agentur in NRW wird diese Ziele weiter fördern. Ich bin davon überzeugt, dass wir hier sehr schnell auch Ergebnisse sehen werden.

Gerade in KMUs kann Diversity schnell umgesetzt werden

Gerade in KMU bestehen viel leichter die Möglichkeiten zur schnellen Umsetzung von Maßnahmen als in größeren Unternehmen. Eine der vordersten Maßnahmen, welche Führungskräfte direkt anstoßen können und die gerade in der KMU schnell Früchte tragen, sind Maßnahmen zur Inklusion. Diese beginnt mit einem ersten Schritt von Seiten des Unternehmens, dem „sich öffnen“ als Unternehmen gegenüber bereits vorhandenen und zukünftigen Teilgruppen im Unternehmen.

Dies geschieht z. B. einfach durch den Beitritt und das Bekenntnis zur Charta der Vielfalt und die Verwendung einer inklusiven Sprache in allen Mitteilungen des Unternehmens wie z. B. Stellenausschreibungen. Bei einer solchen Stellenausschreibung hat man die Chance, Menschen aller Art willkommen zu heißen. Eine explizite Erwähnung von LGBTI*, von Migrant:innen, von Menschen mit Behinderungen und von Älteren wird entsprechenden Bewerber:innen aufzeigen, dass sie willkommen sind.

Eventuell besteht in einem Unternehmen auch schon ein gewisser Grad an Diversität. Dann sollte dieser durch das Unternehmen auch aktiv genutzt werden. Welche Religionen sind z. B. unter den Mitarbeitenden vertreten? Welchen sozialen Gruppen fühlen sich die Angestellten zugehörig? Eine Recherche hierzu eröffnet Möglichkeiten, als Unternehmen diese Werte anzusprechen und allein dadurch wertzuschätzen.

So feiert z. B. nicht jeder Weihnachten und das chinesische Neujahr ist erst im Februar. Schon allein mit einem entsprechenden Gruß an die Belegschaft zum Pride Month der LGBTI* Community oder zum Ramadanfest wird auf menschlicher Ebene viel erreicht. Die angesprochenen Kolleg:innen fühlen sich wahrgenommen, sie fühlen sich sichtbar und willkommen als die, die sie sind. So wird Inklusion ermöglicht.

Sukzessive weckt dies Vertrauen in Mitarbeiter:innen, sich und Ihre Sicht verstärkt in das Unternehmen einzubringen. In Folge steigen die Toleranz und Zufriedenheit. Diese lässt Teams und letztlich die gesamte Belegschaft besser zusammenwachsen und erlaubt die Nutzung ihrer kulturellen und sozialen Bandbreite für das Unternehmen.

Natürlich waren dies nur kleine Beispiele, aber sie zeigen auf: Eine Führungskraft kann allein durch das Setzen solcher Signale innerhalb kurzer Zeit ein Klima im Unternehmen erzeugen, welches deutlich mehr Veränderungskraft auf die Unternehmenskultur hat als betriebsinterne Vorschriften. Denn Diversity findet am Schreibtisch und der Werkbank statt. Kleine und mittlere Unternehmen sind hier klar im Vorteil.

Ich spreche aus eigener Erfahrung: Vor meinem Coming-out war mein Privatleben im Unternehmen zu einem wesentlichen Teil ausgeblendet. Ein intensiver Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen und echte Freundschaften im Job sind so nur schwer möglich, weil man sich letztlich dauernd abschirmt. Meine Erkenntnis war: Ein solches Verhalten beeinflusst deine Selbstsicherheit, es schwächt dich und letztlich schwächt es auch deine Arbeit. Der Schritt in die Sichtbarkeit war damals sehr bewusst gewählt. Er war mangels Vorbildern und Mentoren nicht einfach. Aber er hat mich gestärkt und es war die absolut richtige Entscheidung.

Um selbst Vorbild, also „Role Model“ zu sein und damit Menschen, welche heute im Spannungsfeld „Karriere machen & out im office sein“ zu unterstützen, bin ich im Völklinger Kreis engagiert, dem Berufsverband schwuler Führungskräfte und Selbständiger. Als dessen Vorstandsvorsitzender liegt mein Fokus auf Diversity. Hierfür bin ich auch im Beirat für die ganzheitlich für Diversity und Inklusion arbeitende BeyondGenderAgenda aktiv.