„Wenn er laufen könnte, würden wir ihn einstellen…“

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Wie steht es um das Thema Inklusion im deutschen Bankengewerbe? Ein Erfahrungsbericht von Mindset-Experte und Podcast-Host Sebastian Wächter blickt hinter die Kulissen und zeigt Probleme, Chancen und mögliche Lösungen auf.

Zufälligerweise treffen wir uns in der Stadt. Gut vier Monate zuvor habe ich meine Stelle als Aktienanalyst bei einer Privatbank gekündigt, nun stehe ich dem Personalchef ebendieser Bank gegenüber. Wir haben uns „im Guten getrennt“ und unterhalten uns über meine berufliche Selbstständigkeit und aktuelles Geschehen im Bankbetrieb.

Gegen Ende des Gesprächs kommen noch Erinnerungen an mein damaliges Bewerbungsgespräch auf. Da beugt sich der Personalchef zu mir und sagt: „Wissen Sie überhaupt, Herr Wächter, dass wir Sie damals trotz ihrer großartigen Bewerbung um ein Haar nicht eingestellt hätten?“ „Nein, warum?“, erwidere ich. „Der Vorstand hatte starke Bedenken aufgrund ihrer Querschnittslähmung. Krankheit, Schwierigkeiten im Falle einer Kündigung und nötige Umbaumaßnahmen machten ihm Sorgen. Ich stellte ihm schließlich die Frage: ‚Würden Sie Herrn Wächter anstellen, wenn er laufend ins Vorstellungsgespräch gekommen wäre?‘“, berichtet mir der Personalchef.

Quoten-Regulierung ist nicht die Lösung

Der Vorstand der besagten Bank ist nicht allein. Eine Statistik, die in dieses Bild passt, liefert das Inklusionsbarometer 2020 (Fußnote: herausgegeben von Handelsblatt Research und Aktion Mensch e.V.): Trotz gesetzlicher Vorgaben für Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeiter:innen, besetzt über jeder vierte dieser Arbeitgeber in Deutschland keinen einzigen Arbeitsplatz mit einem oder einer schwerbehinderten Arbeitnehmer:in.

Werden die Vorgaben nicht erfüllt, so sind Strafzahlungen in Höhe von 140 € bis 360 € monatlich pro nicht besetztem Arbeitsplatz fällig. Nun lässt sich trefflich streiten, ob diese gesetzlichen Vorgaben Sinn machen und ob sie ihren Zweck erfüllen. Die Zahlen jedenfalls belegen, dass 60,4 % der Arbeitgeber lieber die Strafzahlungen in Kauf nehmen. Es braucht also eindeutig mehr als Quoten des Gesetzgebers, um Inklusion in unserer Arbeitswelt zu verankern.

Wie lassen sich Inklusion und vor allem die sich daraus ergebenden Vorteile nachhaltig voranbringen?

In meinem speziellen Fall war es so, dass ich der erste Mitarbeiter mit einer Körperbehinderung in der Privatbank war. Wenn Erfahrungswerte fehlen, tendieren wir Menschen dazu, auf Vorurteile zurückzugreifen. Getreu dem Motto: Verurteilen ist einfacher als beurteilen. Welche Vorurteile fallen Ihnen zu Rollstuhlfahrer:innen ein? Diese Vorurteile jedoch führen häufig zu einer einseitigen Gesprächsführung. Denn in diesem Fall sind die Betroffenen meist damit beschäftigt, diese Vorurteile zu entkräften beziehungsweise Einwandbehandlung zu betreiben.

Deshalb ist Inklusion vor allem eines: Eine Grundhaltung! Geht man offen und interessiert ins Gespräch, egal wer der oder die Gegenüber ist, entsteht eine positive Dynamik. Nur mit einem inklusiven Betriebsklima werden auch offen Bedürfnisse seitens der Betroffenen geäußert – ein wichtiger Schlüssel, damit der Arbeitsalltag gelingt und die Mitarbeiter:innnen ihr volles Potenzial abrufen können.

Team-Chemie einmal ganz anders

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„Sebastian, tatsächlich habe ich bisher keinerlei Erfahrungen mit Rollstuhlfahrern. Kannst Du mir bitte sagen, was Du brauchst und wie ich Dir eventuell helfen kann?“ Diese offene und aufrichtige Aussage kam von einem meiner neuen Kollegen im Portfoliomanagement und hat mich positiv überrascht. Gleichzeitig fragte ich mich selbst: „Wie häufig – oder selten – wird wohl solch eine selbstlose Unterstützung Teamkolleg:innen ohne Handicap angeboten?“

Es ist genau dieser Perspektivwechsel des besagten Kollegen, der eine gute Zusammenarbeit fördert und der leider selten geschieht. Denn häufig schließen wir von uns auf andere, mit den entsprechenden Folgen, wie Missverständnis, Unmut und Konflikten. Genau an dieser Stelle kann Inklusion ein entscheidender Bestandteil sein, um den Perspektivwechsel aktiv zu fördern.

Schließlich fällt es schwerer von sich auf unsere Gegenüber zu schließen, wenn sich diese ganz offensichtlich in einer völlig anderen Lebenssituation, wie etwa dem Rollstuhl, befinden. Je länger ich in der Bank tätig war, desto leichter fiel dieser Perspektivenwechsel meinen Teammitgliedern:

– Ist der Drucker für Sebastian erreichbar?

– Wie kommt Sebastian zum Kundentermin?

– Ist das Restaurant für das gemeinsame Mittagsessen barrierefrei?

In der Folge geschieht dann jedoch etwas Spannendes. Denn das beschriebene, rücksichtsvolle Verhalten wird immer natürlicher und geschieht nicht nur in Verbindung mit meinem Handicap, sondern auch bei den Kolleg:innen untereinander. Die Frage „Was brauchst Du und wie kann ich Dir eventuell helfen?“ wird häufiger gestellt. Dadurch verbessert sich das Arbeitsklima insgesamt und die Leistungsbereitschaft steigt. Dieses Beispiel aus eigener Erfahrung zeigt, welche Möglichkeiten Diversity und Inklusion bieten.

Inklusion ist keine Einbahnstraße

Sicherlich lag im bisherigen Verlauf des Artikels der Fokus auf der Seite des Arbeitgebers, insbesondere welche Voraussetzungen zu erfüllen sind. Jedoch ist Inklusion eben keine Einbahnstraße und ein großer Teil des Erfolgs bei einer Anstellung eines Mitarbeiters mit Handicap, hängt auch von den Mitarbeitenden selbst ab. Allen voran steht die Offenheit und Klarheit bezüglich das, was man zu leisten im Stande ist, wo Schwierigkeiten entstehen können und in welchen Bereichen Hilfe benötigt wird. Ein Freibrief aufgrund eines Handicaps ist hier die falsche Herangehensweise.

Letztlich war die Frage des eingangs beschriebenen Personalchefs, nämlich ‚Würden Sie Herrn Wächter einstellen, wenn er laufend ins Vorstellung sprechen kommen wäre?‘, entscheidend, um ein Umdenken beim Vorstand zu bewirken. Am Ende stand eine vier Jahre lange, erfolgreiche Zusammenarbeit für beide Seiten. Das wiederum soll nicht heißen, dass dies bei jeder Anstellung von Mitarbeitern mit Handicap der Fall ist. Aber es nicht weniger oder mehr wahrscheinlich als bei anderen Menschen, in all ihren Facetten. Deshalb geht es um eine offene Haltung fernab von Vorurteilen gegenüber jedem einzelnen Menschen, um einer inklusiven Gesellschaft näher zu kommen – mit all ihren vielfältigen Vorteilen.

​​​​​​​Autorenprofil

Im Alter von 18 Jahren erlebt Sebastian Wächter seinen persönlichen Schicksalsschlag. Er stürzt beim Wandern und bricht sich sein Genick. Inzwischen verbindet er die Erfahrungen aus seiner Querschnittslähmung mit seinem Wissen als langjähriger Aktienanalyst und unterstützt damit Unternehmen als Redner und Coach, Diversity und Inklusion in der Unternehmenskultur zu verankern.

Weitere Informationen gibt es unter www.barrierefrei-im-kopf.de.