„Zukunft muss man gestalten wollen“
Am 26. September ist Bundestagswahl. Bis dahin wollen wir in der Jungen Wirtschaft mit den Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen über die Themen sprechen, die uns heute und in Zukunft bewegen. Den Anfang macht Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD.
Herr Scholz, die letzten zwölf Monate waren geprägt von der Corona-Pandemie und von den von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen. Zuletzt lief die Antragstellung und Auszahlung der Überbrückungshilfe III nur schleppend an. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer fühlen sich vergessen, kämpfen um ihre Existenz. Warum dauert mittlerweile alles so lange?
Die wichtigste Nachricht vorweg: Inzwischen läuft es auch bei der Überbrückungshilfe III besser, seit Februar können Anträge gestellt werden und die Abschlagszahlungen werden bis zu einer gewissen Höhe automatisch beschieden, das erledigt die Software. Darin liegt auch ein Teil der Antwort auf ihre berechtigte Frage, warum es so lange dauert. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im vergangenen Sommer auf Bitten der Länder angeboten, eine zentrale IT-Plattform für diese Hilfen zu schaffen. Solche Software-Projekte dauern leider, besonders, wenn wir aufgrund der veränderten Lage die Hilfen immer wieder kurzfristig anpassen, um möglichst vielen zu helfen. Die Hilfe fließt aber – insgesamt unterstützt der Staat die Unternehmen mit 80 Milliarden Euro an Finanzhilfen und steuerlicher Unterstützung von nochmal 110 Milliarden Euro – das ist sehr viel Geld. Und wir werden diese Unterstützung fortsetzen, bis das Virus besiegt ist.
Viele junge Unternehmerinnen und Unternehmer haben kleine Kinder. Die Kinderbetreuung in Deutschland war über mehrere Monate nur Menschen in systemrelevanten Berufen vorbehalten – und diejenigen, die Unternehmen führen, zählten nicht zu dieser Gruppe. Sind Unternehmerinnen und Unternehmer nicht systemrelevant?
Die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen sind für alle sehr belastend. Gerade Familien mit Kindern sind besonders betroffen, insbesondere wenn die Eltern berufstätig sind. Deshalb ist die vorsichtige Öffnung von Kitas und Grundschulen der erste Schritt gewesen, als die Infektionszahlen das erlaubt haben. Jetzt müssen wir mit einer klugen Teststrategie und dem Impfen vorankommen, damit die Fallzahlen nicht wieder stark steigen und weitere Schritte folgen können. Es bleibt aber dabei, dass wir vorsichtig bleiben müssen.
Sie treten an, um Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Es ist nicht abzusehen, wo wir zur Amtsübergabe in der Pandemie stehen. Wie wollen Sie die deutsche Wirtschaft aus der Pandemie führen?
Ich bin zuversichtlich, dass wir bei Amtsübernahme das Schlimmste überstanden haben werden und bis dahin alle geimpft sind, die das wollen. Damit das hinhaut, müssen wir jetzt aber alle Energie aufwenden, um die Impfproduktion zu erhöhen und die Logistik zu schaffen, damit Millionen von Bürgerinnen und Bürgern jede Woche geimpft werden können. Grundsätzlich wird unser Land nach der Pandemie einen geringeren Schuldenstand haben als alle anderen G7-Staaten vor der Krise. Und der Weg zurück führt über Wirtschaftswachstum, das ist klar. In den nächsten Jahren stehen entscheidende Weichenstellungen an, damit unser Land künftig klimaneutral wirtschaftet, über gute Arbeitsplätze verfügt und weiterhin einen verlässlichen Sozialstaat hat, dessen Wert in dieser Pandemie vielen nochmal bewusster geworden ist. Wir brauchen massive Investitionen in die Mobilität, Digitalisierung und den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wer ausgerechnet an Investitionen in die Zukunft spart, setzt die Zukunft unseres Landes aufs Spiel.
Wie werden die Erfahrungen aus den letzten, außergewöhnlichen Monaten in Zukunft aus Ihrer Sicht nachwirken? Ein Beispiel: Viele Menschen haben jetzt monatelang remote gearbeitet – werden im Jahr 2022 wieder alle fünf Tage die Woche ins Büro gehen?
Krisen sind immer auch Katalysatoren des Wandels, das wird nach dieser Pandemie nicht anders sein. Viele Unternehmen haben erkannt, dass die Leistung ihrer Beschäftigten nicht nachlässt, wenn sie aus dem Wohnzimmer arbeiten. Das hat auf beiden Seiten Vertrauen geschaffen. Darüber hinaus ermöglicht es Berufstätigen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weil bei einigen die Anfahrtszeiten wegfallen oder sie die Mittagspause mit ihren Kindern verbringen können. Es schafft also mehr Flexibilität. Jetzt ist der Staat in der Pflicht den gesetzlichen Rahmen für diese Veränderungen zu schaffen. Es geht um Regeln und Rechte. Unter den richtigen Bedingungen können Arbeitgeber und Arbeitnehmer profitieren. Ich glaube aber auch, dass sich viele Beschäftigte im Moment nach ihrem gewohnten Arbeitsplatz sehnen und gerne mal wieder die heimischen vier Wände verlassen würden – das sollten wir nicht vergessen.
Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher, was die Zahl der Gründungen angeht. Laut Global Entrepreneurship Monitor 2019/2020 liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 28 – von 33. Wollen Sie das als Bundeskanzler ändern? Und wenn ja, wie?
Deutschland hat das Potenzial, in solchen Rankings deutlich aufzurücken. Um zukunfts- und wettbewerbsfähig agieren zu können, braucht es einen, der das als Chefsache in die Hand nimmt. Als Bundesfinanzminister habe ich die Start-up-Szene in den Blick genommen und mit mehreren Initiativen die Gründung solch neuer Unternehmen vorangebracht. Das ist ein erster Schritt. Neben Gründungen geht es aber auch grundsätzlicher um Wirtschaftspolitik. Sie darf sich nicht darin erschöpfen, ab und an Reden zu halten, die irgendwie nach Ludwig Erhard klingen. Wir müssen handeln und mit klaren Vorgaben Weichen stellen. Ein Beispiel: Die Autoindustrie investiert gerade Milliardensummen in elektrische Fahrzeuge, aber es gibt viel zu wenig Ladesäulen. Das ist das Henne-Ei-Problem: Was nutzt mir ein umweltfreundliches Auto, wenn ich es nicht fahren kann? Wozu soll ich Ladesäulen errichten, wenn es zu wenig E-Autos gibt. Hier ist der Staat gefragt, der die Lade-Infrastruktur stärken muss. Gleiches gilt für die Entwicklung von Apps, also technischer Lösungen, mit denen wir die den öffentlichen Verkehr deutlich verbessern können. Und Deutschland muss eine Ein-Gigabit-Gesellschaft werden – schnelles Internet für alle, überall. Die aktuelle Lage mit Home-Schooling und vielen Videokonferenzen hat die Schwachstellen deutlich aufgezeigt. Sie merken, ich will, dass wir die zaghafte Politik, die hier in den vergangenen Jahren gemacht worden ist, auch, weil zu viel auf Lobbyisten gehört wurde, hinter uns lassen. Deshalb braucht es die SPD, die den Fortschritt beherzt anpackt.
In Sachen Bildung wurden in den letzten Monaten viele Lücken offenbar. Es fehlt an Technologie und IT-Kenntnissen in den Schulen. Zugleich geht die Generation der Babyboomer in die Rente und der Fachkräftemangel hat sich in der Pandemie weiter verstärkt. Bildung im digitalen Zeitalter und im demografischen Wandel – wo wollen Sie da ansetzen?
Ich setze mich für ein Land ein, das von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Den Grundstein dafür legt ein durchlässiges Bildungssystem, das gute Berufs- und Lebenschancen für alle bietet, nicht nur für Leute mit Studium. Nur so können wir dem Fachkräftemangel entschlossen entgegentreten. Was wir brauchen ist eine digitale Lernmittelfreiheit für alle. Das heißt: Schnelle Leitungen, moderne Endgeräte und gute Lernsoftware müssen für Schülerinnen und Schüler dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen jetzt einen echten Bildungsaufbruch für Deutschland, der die richtigen Lehren aus Corona zieht.
Was ist Ihre Vision für Deutschland in vier Jahren?
Zukunft muss man gestalten wollen. Wenn man das einfach laufen lässt im Glauben, das wird schon, liegt man grundfalsch. Ich habe klare Ziele und einen Plan, wie wir sie erreichen. Ich möchte ein modernes Deutschland, mit guten Arbeitsplätzen und einer Wirtschaft, die auf Kurs geht, klimaneutral zu produzieren. Ich möchte ein einiges und starkes Europa. Und ich möchte eine Gesellschaft, in der jeder gleich viel zählt, und die von Respekt und Zusammenhalt getragen ist.
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