Gesichter der jungen Wirtschaft: Marcus Cramer
Wo die kleinen Schlitten herkommen
Hier geht es um Spaß: Das KHW Kunststoff- und Holzverarbeitungswerk GmbH ist einer der größten Hersteller von Kunststoffschlitten und weltweit Marktführer in diesem Segment. Marcus Cramer ist hier der Geschäftsführer und arbeitet daran, Tradition und Zukunft der Kunststoffindustrie zu vereinen.
Kunststoff mit Tradition
Pfft, pfft, trrrrr, pffft. Marcus Cramer steht in seiner Produktionshalle, spricht gegen die lauten Maschinen an und strahlt. Den Produktionsprozess kann er bis ins letzte Detail beschreiben – von der Zusammensetzung des Kunststoffes bis hin zur Auslieferung. Gerade werden hier noch Rankengitter produziert, bis in ein paar Wochen die Maschinen auf die nächste Saison umgestellt werden. Neben Schlitten werden im thüringischen Geschwenda vor allem Produkte für Garten und Balkon hergestellt.
Marcus ist stolz auf das, was jedes einzelne Mitglied des Unternehmens von der Gründung bis heute geschaffen hat: „Neben den Produkten ist es das Miteinander, was den Erfolg meines Unternehmens ausmacht.“ Auch nicht selbstverständlich: Heute sind 50 Prozent des Führungspersonals der KHW weiblich.
Alles begann im Jahr 1948. Damals schlossen sich mehrere kleine Familienunternehmen im Thüringer Wald zu einer Kooperation zusammen. In den 1990er Jahren bezog man als KHW GmbH das circa 38.000 Quadratmeter große Gelände bei Geschwenda. Ihr Ziel war es, ihre Produkte gemeinsam zu vermarkten und so erfolgreicher zu werden. Offensichtlich war das der richtige Schritt. Die KHW wuchs. Und als in den 1970er-Jahren die Nachfrage nach haltbaren Kunststoffartikeln stieg, erweiterten sie ihre Produktion mit Spritzgussfertigungen. Bis heute ist sie der wichtigste Teil der KHW. „Wir laufen auch jetzt mit dieser Entscheidung sehr gut“, sagt Marcus. „Derzeit halten sich in der Produktion sogar die Gartenartikel vom Hochbeet bis zum Blumenkasten mit den rund 45 Schlittenmodellen die Waage.“ Und: Inzwischen verlassen gute 70 Prozent der Produktion die Grenzen Deutschlands.
Neben den eigenen Serien produziert man auch für Partner. Gerade läuft die Produktion für Kühlboxen durch mehrere Maschinen an der Seite der Halle. Ganze 3.000 Tonnen Kunststoff wurden in diesen Hallen im vergangenen Jahr verarbeitet. Etwa 30 Prozent davon besteht bereits aus recyceltem Kunststoff. Dieser Anteil soll in den kommenden Jahren auf mindestens 50 Prozent ausgeweitet werden – ein großer Teil davon wird direkt auf dem Gelände der KHW wieder aufbereitet. Aber auch der Anteil an biologisch basierten sowie biologisch abbaubaren Kunststoffen wird sich in den nächsten Jahren deutlich erhöhen.
Blick von der anderen Seite (des Hügels)
Im April 2019 kam Marcus mit gerade mal 31 Jahren in das Unternehmen. Eigentlich sollte es für ihn woanders weitergehen – doch dann kam das Angebot der KHW. Und das konnte er nicht ausschlagen.
Er selbst musste sich in dem Ort Geschwenda eigentlich nicht neu einfinden, denn er kommt gleich von der anderen Seite des nächsten Hügels: aus Ohrdruf bei Gotha. Sein Weg bis in die KHW war sehr stringent: Zunächst machte er eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker, dann eine zum Kaufmann im großen Außenhandel und studierte Wirtschaft an einer Abendschule. Dass er später ein Geschäftsführer für rund 90 Mitarbeiter werden sollte und so auch wieder in seiner Heimatregion landen würde, hätte er nicht unbedingt gedacht – dafür ist er aber dankbar.
Als Marcus in den Betrieb kam, war es eine seiner ersten Handlungen, nach und nach übers erste Jahr die durchschnittliche Arbeitszeit seiner Mitarbeiter in der Produktion auf 37,5 Stunden in der Woche zu reduzieren; und gleichzeitig das Gehalt so einzurichten, dass niemand vom Mindestlohn leben muss. „Erst waren alle skeptisch“, sagt er, „doch schnell haben wir alle gemerkt, dass man ausgeruhter, motivierter und kreativer an den Arbeitsplatz kommt.“
Jeder hat eine Stimme
„Eines der schönsten Dinge in der KHW ist eigentlich, dass wenn die Zeit mal knapp wird, man gar nicht erst nach Überstunden fragen muss“, sagt Marcus. Das stünde inzwischen außer Frage, denn man habe ein Verständnis füreinander. Es sei nicht die Regel, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Wochenende ins Haus kommen müssten, doch wenn der Fall der Fälle in der Hochsaison eintritt, sind alle motiviert dabei. Das könnte wohl auch daran liegen, dass dann der Chef höchstpersönlich auch mit am Fließband steht, zusammensteckt oder eben mal verpackt. „Das ergibt einfach Sinn und ist produktiv. Warum sollte ich mir dafür zu fein sein? Was wäre das für eine Botschaft in einem so übersichtlichen Betrieb?“, meint Marcus. Außerdem bringe es auch den Vorteil, dass er immer wieder die Produktionsprozesse besser kennenlerne, auch ihm so Fehler und Optimierungspotenziale auffallen und gemeinsam mit jedem einzelnen Mitarbeiter überdenken könne. In der KHW soll jeder das Gefühl haben, das man ihm zuhört, wenn man eine Idee hat.
Ähnlich wie bei den Junioren – zu den WJ Westthüringen ist Marcus 2019 über einen alten Kollegen aus dem Landesvorstand gekommen. „Dann war ich auf einer Veranstaltung hier in der Gegend, das war schon sehr bereichernd“, sagt Marcus Cramer. „Dann habe ich mich gleich auf den Vorstand beworben bei uns im Kreis.“ Als Nächstes will Marcus Kreissprecher werden.
Wenn er seine Freizeit nicht gerade bei den Junioren verbringt, zieht es ihn in die Natur. Durchatmen, auf frische Ideen kommen – und campen! Und auch in diesen Gefilden ist er unternehmerisch umtriebig: Marcus führt neben der KHW auch sein Start-up cw-solution. Die Idee: Camping nachhaltiger zu machen. Dazu hat cw-solution unter anderem ein Add-on entwickelt, das das Wasser im Tank von Wohnmobilen vor Verkeimung schützt. Dabei wird auf die Zugabe von chemischen Zusatzstoffen verzichtet. „Die Zeit der nachhaltigen Ideen und Lösungen in dem Bereich hat gerade erst angefangen!“ ist sich Marcus sicher.
Kunststoff wird nachhaltig
Die Zeit für Kunststoff scheint in der allgemeinen Wahrnehmung allerdings eher abgelaufen zu sein. Heutzutage mit breiter Brust zu sagen, dass man ein Unternehmen leitet, dass vor allem mit Plastik arbeitet, sei schwierig, sagt Marcus – spätestens seit der Fridays-for-Future-Bewegung. „Vor der Bewegung war der politische Druck nicht vorhanden, da konnten sich noch viele Unternehmen ausruhen.“ Dass Kunststoff nicht das beliebteste Material ist, wisse er. „Ich möchte später nicht mit dem Wissen in den Ruhestand gehen, dass ich zig Millionen Tonnen Plastikmüll produziert habe.“ Deshalb habe er 2020 mit Partnern und Universitäten begonnen, an Zwischenlösungen und Alternativen zu arbeiten. Außerdem gründete er das Label KHW ECO2MIND. Produkte, die das Label tragen, bestehen aus hundert Prozent recyceltem, oder biobasiertem Kunststoff.
Inzwischen arbeite er aber auch mit beispielsweise auf Holzgranulat oder getrockneten Gräsern basierten Kunststoffmischungen. Der Kunststoffanteil hierbei ist im besten Fall aus recyceltem Kunststoff. Geplant ist, dass ab 2022 man auch mit recyceltem Meeresplastik arbeitet. Daraus sollen dann beispielsweise die Zugbänder der Schlitten hergestellt werden.
Es ist eine Zwischenlösung. Die größte Hürde sei hier, dass das Material bisher nur im Gartenbereich Anwendung finden kann. Die Schlittenmodelle müssen den TÜV für Spielzeugrichtlinien bestehen. Nicht nur das Design, sondern auch das Material, also das gesamte Produkt muss am Ende zertifiziert sein. „Da haben wir hier im Betrieb schon eigene vielversprechende Tests durchgeführt“, sagt Marcus. „Und wir sind zuversichtlich, dass wir den sozusagen grünen Schlitten demnächst auf den Markt bringen können.“ Es fehle nur noch der letzte Schritt: Eben diese Tests beim TÜV durchzuführen. Doch aufgrund der Covid-19-Pandemie ruhten auch dort derzeit einige Prozesse.
Mit dem Schlitten Richtung Zukunft
Auch in der KHW hinterlässt die Pandemie ihre Spuren. Mitarbeiter waren selbst betroffen oder in Quarantäne. Außerdem haben auch sie mit starken Preisschwankungen und hohen Einkaufspreisen der Rohmaterialien zu kämpfen. „Ein Glück haben wir so viel Lagerfläche, so konnten wir zum Ende letzten Jahres noch recht günstig große Mengen an Rohmaterialien kaufen“, sagt Marcus. „Auch wir haben zwischenzeitlich Masken produziert.“ Damit hätten sie nicht wirklich Geld verdient, doch darauf käme es dabei ja auch nicht an. Es war ein Projekt mit Partnern, vor allem, um auch einfach etwas zu machen, was hilft.
„Ansonsten dürfen wir wohl sagen, dass wir zu einem der Gewinner dieser schwierigen und herausfordernden Zeit gehören“, sagt Marcus. „Die Nachfrage an unseren Produkten, gerade im Gartenbereich, ist enorm gestiegen.“ Auch deshalb sind sie derzeit dabei, ihren zweiten Onlineshop aufzubauen. Der für die Gartenprodukte ist bereits seit April online, der für die Schlitten soll im Oktober online gehen.
Ein weiteres Projekt in diese Richtung ist der Umbau des alten Lagerverkaufs. Die kleine Halle gegenüber von seinem Büro neben dem Wäldchen ist schon länger ungenutzt und inzwischen stark renovierungsbedürftig. „Da müssen wir einfach alles neu machen“, sagt Marcus Cramer und die Vorfreude auf das Projekt ist ihm direkt anzusehen. „Aber eine der Außenwände werden wir stehen lassen. Da haben sich zahlreiche Mauerbienen angesiedelt.“ Nachhaltigkeit kann auch ganz einfach sein.
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