Gesichter der jungen Wirtschaft: Nils Passau

Die digitale Glaskugel

Nils Passau sagt Unternehmen, was der Kunde morgen will – und zwar je nach Wetterlage. Viele Bäckereien verlassen sich auf Vorhersagen seines Start-ups meteolytix. Die Karriere des Gründers dagegen verlief alles andere als vorhersehbar.

© Nils Passau © Peters & König SoulPicture

Wenn Nils Passau neue Leute trifft, weiß er, auf welches Gesprächsthema er sich einstellen muss: das Wetter. Gibt es am Wochenende Freibadwetter? Wird der Sommer wieder so verregnet? „Im Winter ist das Thema weiße Weihnacht sehr beliebt“, sagt der 38-Jährige und lacht. Meist muss er seine Gesprächspartner enttäuschen. „Viele wünschen sich einfache Antworten – aber die gibt es nicht“, sagt Passau und fügt fast verschwörerisch hinzu, „im Ernst: Ich habe gar keine Affinität zum Wetter – sondern zu Zahlen!“. Mit der Mischung aus beidem verdient der junge Unternehmer sein Geld: Passau ist Mitgründer und Geschäftsführer der Kieler Firma meteolytix. Sie sagt anderen Unternehmen, mit welcher Nachfrage sie in den kommenden Tagen zu rechnen haben – und zwar je nachdem, wie das Wetter wird. 

Bäckereien etwa erfahren, wie viele Mehrkornbrötchen am kommenden Tag vermutlich über die Theke gehen werden. Und die Deutsche Bahn lässt sich von meteolytix vorhersagen, wie viele Touristen morgen in die Züge von Lübeck nach Lüneburg steigen werden. Passaus Prognoseteam hilft quasi dabei, das Unvorhersehbare ein bisschen vorhersehbarer zu machen. Interessanterweise hatte genau das seinen Start als Unternehmer erst ermöglicht. „Vieles war Zufall …“, schmunzelt Passau.

Daheim in der Zahlenwelt

Dabei sieht es für den jungen Kieler zunächst nach einer ziemlich gradlinigen Karriere aus. Im Jahr 2000, nach Abi und Zivildienst, beschließt Passau, eine Ausbildung bei der Förde Sparkasse zu beginnen. Er ist familiär vorbelastet: Sein Großvater war als letzter Beamter bei dem Kreditinstitut tätig, Passau hat schon als Kind mit der Spielzeugausgabe des Sparkassen-Busses gespielt, einer rollenden Filiale. Gegen Ende der Ausbildung spürt der angehende Banker jedoch, dass es das nicht gewesen sein kann. „Wenn es ein Leitmotiv in meinem Leben gibt, dann Neugierde.“ Mehr wissen, mehr erleben von der Welt, da sei schon immer sein Antrieb gewesen, so der Unternehmer. Also beginnt er ein BWL-Studium an der Universität Kiel und wählt hier einen Schwerpunkt, der an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten sonst nicht gerade zu den Hits gehört: quantitative Wirtschaftsforschung. Viele Formeln, viele Zahlen – dem gehen die meisten angehenden Diplom-Kaufleute lieber aus dem Weg. Passau dagegen fühlt sich pudelwohl in der Zahlenwelt. „Das Schöne bei großen Datenmengen ist, dass man schnell sieht, ob Dinge funktionieren oder nicht.“

Der Zufall schlägt gegen Ende des Studiums zu. Zu dieser Zeit arbeitet der Bankkaufmann bei einer ortsansässigen Firma namens analytics, die Marktforschung und statistische Auswertungen für die Industrie macht. Ein Kunde, genauer gesagt: ein Bäcker, stellt dem Geschäftsführer Meeno Schrader die Frage, warum er in seinen Prognosen nicht auch das Wetter berücksichtigt. Passau durchzuckt es wie ein Blitz: Das ist es! Das ist das nächste Neuland, zu dem er aufbrechen will. Zusammen mit Schrader, der im Norden als Wettermoderator des Norddeutschen Rundfunks bekannt ist, gründet er im Jahr 2009 das Unternehmen meteolytix. „Wir hatten nur einen Laptop und SPSS (ein Statistikprogramm, d. Red.)“, lacht Passau.

Wenn es ein Leitmotiv in meinem Leben gibt, dann Neugierde.

Nils Passau

Geschäftsführer von meteolytix

Dank Predictive Analytics werden Unternehmerträume wahr

Der Zeitpunkt ist günstig. Denn das, was das junge Gründerteam vorhat, macht damals fast noch niemand: Predictive Analytics. So nennt sich die Methode, bei der mithilfe von Statistikprogrammen ein bisschen in die Zukunft geblickt wird. Sie bekommt zu diesem Zeitpunkt gerade doppelt Rückenwind: Zum einen digitalisieren immer mehr Unternehmen ihre Abläufe und häufen so große Datenberge auf, mit denen sich die Vorhersage-Algorithmen füttern lassen. Zum anderen sind PCs so leistungsfähig geworden, dass für die Prognosen eben keine Supercomputer mehr nötig sind. Dank Predictive Analytics wird erstmals der Traum jedes Unternehmers wahr: Wissen, wie viele Kunden morgen durch die Tür kommen und was sie kaufen werden. Doch längst nicht alle potenziellen Klienten, die Passau und sein Team ansprechen, sind überzeugt. „Am Anfang sah es nicht aus, als würde das skalieren“, fasst der Gründer hanseatisch unaufgeregt zusammen. Also dürre Jahre am Anfang? Der 38-jährige mit dem jungenhaften Äußeren lacht. „Es gab halt viele Oh-oh-Momente und relativ wenige Yeah-Momente.“

Heute, neun Jahre nach der Gründung, überwiegen die Yeah-Momente. meteolytix hat sich am Markt etabliert, beschäftigt 15 Mitarbeiter und wächst weiter. Die Kunden haben erkannt, dass ihnen der Blick in die digitale Glaskugel hilft. Vor allem Bäckereien nutzen die Analysen schon eifrig. Die Geschäfte liefern die Verkaufsdaten aus ihren Kassen und erhalten im Gegenzug genaue Empfehlungen für den nächsten Tag, also zum Beispiel „250 Brötchen und 20 Mehrkornbrote für Filiale 57 bestellen“. Manche Betriebe nutzen die Prognosen auch zur Produktionssteuerung, das heißt, der Datendienstleister errechnet die Mengen an Zutaten für alle zu produzierenden Backwaren.

© DIHK/Nils Hasenau

Natürlich hält sich die Realität nicht immer an die Prognose. „Am 31. Oktober 2017 zum Beispiel …“, seufzt Passau. An diesem Reformationstag war, anlässlich des 500. Luther-Jubiläums, zum ersten Mal bundesweit arbeitsfrei. Bei meteolytix ging man davon aus, dass die Folgen ähnlich sein würden wie vor jedem anderen Feiertag. Doch die Nachfrage in den Läden überstieg den Prognosewert, sodass hier und da die Kunden vor leergekauften Brotkörben standen. „Wir haben gelernt, uns vor Ereignissen, die noch nie aufgetreten sind, stärker mit den Kunden auszutauschen“, resümiert Passau.

Für die meisten Gründer sind die ersten Jahre wie ein Tunnel: man gibt Vollgas, schaut nicht nach links oder rechts, ganz einfach, weil dafür keine Zeit bleibt. Aber nicht Nils Passau. Wer seinen Namen googelt, wird mit Treffern geradezu überschüttet, und nur die wenigsten haben direkt mit seiner Firma zu tun. Ihn als „umtriebig“ zu bezeichnen, ist schon fast eine Untertreibung. Passau hält Vorträge bei Start-up-Events, engagiert sich für die Olympia-Teilnahme seiner Heimatstadt, ist auf zahllosen Branchentreffen präsent. 

„Sich an anderen Stellen Inspiration zu suchen, ist mir ein Bedürfnis“, erklärt er. Über einen Freund kommt er in Kontakt mit den Wirtschaftsjunioren – und nimmt auch hier direkt Fahrt auf: Schon beim ersten Treffen beruft man ihn in das Organisationskommitee der Hanseraum-Konferenz, bei der sich Vertreter aus den fünf nördlichen Bundesländern treffen. „Ich war für die Koordination der Shuttles zuständig – ein intensives Erlebnis“, sagt Passau augenzwinkernd. Bis heute ist er bei den Wirtschaftsjunioren aktiv.

Derzeit hält der Jungunternehmer besonders häufig Vorträge zu einem echten Hype-Thema: Künstliche Intelligenz. Passau, meist in der Start-up-typischen Kombi aus Jeans und Turnschuhen unterwegs, muss dann viele Bedenken zerstreuen. „Es ist auch nur Mathematik“, lautet einer seiner Lieblingssprüche. Aber hat er keine Angst, dass die Maschinen irgendwann schlau genug sind und sogar meteolytix überflüssig machen? Gibt es seine Firma im Jahr 2028 über-haupt noch? Passau bleibt optimistisch. Er glaubt, dass sich die Vorhersagequalität der Algorithmen weiter verbessert und immer mehr Firmen seine Dienstleistung nutzen werden. Klar, es bestehe die Chance, dass Giganten wie Microsoft oder Google in seinen Markt vordringen. Aber wer weiß? Der Gründer schmunzelt. „Prognosen sind immer schwer, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Oder das Wetter.

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